Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert


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war.

      Bei­de blie­ben ste­hen und sa­hen Tho­mas an, der jun­ge Mann zer­streut und noch mit sei­ner Be­weis­füh­rung be­schäf­tigt, das Mäd­chen auf­merk­sam und ohne Ver­le­gen­heit.

      Tho­mas woll­te mit ei­ner leich­ten Ver­nei­gung zur Sei­te tre­ten, doch blieb er ste­hen, nahm den Hut ab und sag­te zu bei­den ge­wen­det, er sei Tho­mas Orla, der neue Fi­scher.

      Wäh­rend der jun­ge Mann sich über­rascht ver­beug­te und einen un­ver­ständ­li­chen Na­men mur­mel­te, neig­te das Kind auf eine al­ter­tüm­li­che Wei­se den Kopf, ohne die Au­gen von sei­nem Ge­sicht zu las­sen, und frag­te: »Wie heißt du?«

      Tho­mas wie­der­hol­te sei­nen Na­men.

      »Ist das ein Name aus ei­nem Mär­chen­buch?«

      Nein, das sei sein wirk­li­cher Name.

      Das Kind ließ die lin­ke Hand nach­denk­lich über die schwar­ze Holz­per­len­ket­te glei­ten, die es um den Hals trug. »Ich hei­ße Ma­ri­an­ne von Pla­ten«, sag­te es. »Alle Mäd­chen hei­ßen so bei uns. Und das ist mein Leh­rer, Herr Ber­gen­grün … aber ›Or­la‹ habe ich noch nie­mals ge­hört … wirst du mit Chri­stoph zu­sam­men fi­schen?«

      Nein, Chri­stoph gehe fort. Er wer­de al­lein auf der In­sel le­ben.

      Chri­stoph sei ein ar­mer Mann, sag­te das Kind. Er habe im­mer böse zu ihr sein wol­len und sei im­mer freund­lich ge­we­sen.

      Ob es nicht bes­ser sei als um­ge­kehrt, frag­te Tho­mas.

      Das wohl, aber am bes­ten sei es doch, freund­lich sein zu wol­len und es auch zu sein, nicht wahr?

      Da habe sie si­cher­lich recht.

      »Herr Ber­gen­grün«, fuhr Ma­ri­an­ne fort, »sagt im­mer, alle Men­schen sind an­ders, als sie aus­se­hen. Aber ich glau­be das nicht. Herr Ber­gen­grün sieht im­mer aus wie ein auf­ge­schreck­ter Wich­tel­mann, und so ist er auch, nicht wahr, Herr Ber­gen­grün?« Ein lei­ses Lä­cheln be­weg­te ih­ren Mund, und sie leg­te ihre rech­te Hand mit ei­ner zärt­li­chen Be­we­gung auf den Arm des ver­le­ge­nen Kan­di­da­ten.

      »Das sind so un­se­re Scher­ze«, sag­te er ent­schul­di­gend, »doch wür­de es uns wohl tun, wenn wir dann und wann auf die In­sel kom­men könn­ten. Mit Chri­stoph hat­te es sei­ne Son­der­hei­ten …«

      Mit dir auch, mein Gu­ter, dach­te Tho­mas und sag­te, dass es ihn freu­en wer­de, sie bei sich zu se­hen.

      »Und wirst du dort wirk­lich fi­schen?« frag­te das Kind.

      »Ja, ich habe Chri­stoph ge­sagt, dass ich den Fisch mit der gol­de­nen Kro­ne fan­gen wer­de.«

      »Gibt es den?«

      »Die Mär­chen sa­gen es.«

      »Und dann?«

      »Dann will ich ihn dir schen­ken.«

      Sie at­me­te ein­mal tief auf, und Tho­mas sah, wie die Per­len­schnur über der zar­ten Keh­le sich ein­mal be­weg­te.

      Dann ver­neig­te er sich ernst­haft wie vor­her und stieg die Trep­pe hin­un­ter.

      Im Wal­de erst, als er sei­ne Pfei­fe stopf­te, kam ihm zum Be­wusst­sein, dass es nun ge­sche­hen war, ja dass er dar­über hin­aus ge­lobt hat­te, vor dem Fein­de zu fal­len, wenn es nö­tig sei, und eine gol­de­ne­ne Kro­ne zu ver­schen­ken, wenn er sie ge­wän­ne.

      Er saß auf ei­nem Baum­stumpf in der Son­ne und be­gann zu rech­nen. Er war im­mer or­dent­lich in die­sen Din­gen ge­we­sen und wuss­te, was ei­nem Mann an Brot, an Fleisch, an Ta­bak und Klei­dung zu­kam. Er wuss­te auch, was er hier nicht brau­chen wür­de und wo die Gren­ze zwi­schen ge­woll­ter Ein­fach­heit und er­zwun­ge­ner Ärm­lich­keit lag. Es zeig­te sich, dass sei­ne Pen­si­on den Sei­ni­gen ohne Ab­zug blei­ben konn­te und dass ihm je­den Mo­nat eine ge­rin­ge Sum­me üb­rig­blei­ben wür­de, um ein paar Bü­cher zu kau­fen oder einen Gar­ten an­zu­le­gen. Dass also selbst in dem grau­en Hau­se Schön­heit oder Freu­de ein­keh­ren dürf­ten, wenn ihn da­nach ver­lang­te. Ja, dass er so­gar Gäs­te mit An­stand wür­de auf­neh­men kön­nen, das ernst­haf­te Fräu­lein, das wahr­schein­lich aus ei­nem Gol­d­rah­men in der Hal­le her­un­ter­ge­stie­gen war, und den bib­li­schen Beglei­ter, der so fei­er­lich sprach, als wäre er schon mit den Erz­vä­tern durch die Wüs­te ge­zo­gen.

      Er sah nun al­les so weit, als hät­ten sich Jah­re da­vor­ge­scho­ben: das Haus mit den Kie­fern im Vor­gar­ten, die don­nern­den Züge der Un­ter­grund­bahn, den Strom mit den Schiffs­lam­pen, ver­trau­te und frem­de Ge­sich­ter. Er be­dach­te, wie leicht es war, sich von al­lem zu lö­sen, au­ßer von dem Kin­de, und er­schrak dar­über. Ein brü­chi­ges Ge­we­be, das un­ter den Hän­den zer­fiel. Es konn­te nicht nur so sein, dass er von al­lem Ab­schied ge­nom­men hat­te, als sie aus­fuh­ren da­mals, in den ers­ten Näch­ten des großen Krie­ges, dass sie die Fä­den auf­ge­löst hat­ten, die sie mit der Zeit ver­ban­den. Denn sie woll­ten doch wie­der­keh­ren, das hat­ten sie doch alle ge­hofft. Aber es war wohl so, dass sie nun mit an­de­ren Au­gen wie­der­kehr­ten, er we­nigs­tens, und die alte Welt ih­nen selt­sam ver­än­dert war, Men­schen, Mei­nun­gen, selbst das Ge­lieb­tes­te der Erde. Das alte Glück war kein Glück mehr, ein wel­ker Strauß stand da, und man ging um ihn her­um, sah, dass es nicht an Was­ser fehl­te, nicht an Son­ne, und doch blieb er welk. Dies war es: der wel­ke Strauß! Man warf ihn nicht fort, wo die fri­schen Blu­men wuch­sen, ganz an­de­re und noch un­be­kann­te, und den an­de­ren schi­en er auch nicht welk, son­dern glü­hend und leuch­tend wie zu­vor. Sie sa­hen den Wurm nicht, aber er sah ihn. Et­was muss­te falsch ge­we­sen sein, von An­fang an, aber er konn­te es nicht er­klä­ren. Er hat­te ge­fühlt, dass er den Bo­den ver­lor, und nichts war da, an das er sich klam­mern konn­te.

      Nun also wür­de er fort­ge­hen, und nur als von ei­nem Nar­ren wür­de von ihm ge­re­det wer­den. Sein Va­ter wür­de es wis­sen, aber sein Va­ter war tot. Man muss­te es nun al­lein wis­sen. Sich abends mit fro­hem Her­zen nie­der­le­gen kön­nen, das war viel­leicht das gan­ze Ge­heim­nis. Froh, wenn man an den ge­we­se­nen Tag, und froh, wenn man an den kom­men­den Tag dach­te. Kei­ne Er­leb­nis­se, kei­ne Hel­den­rol­le, kein Glanz um die Stirn. Die Net­ze aus­le­gen und wie­der ein­zie­hen, Haus und In­sel sau­ber­hal­ten, ein paar Sei­ten le­sen und abends am Was­ser sit­zen und in die Ster­ne se­hen. Den Ver­trag er­fül­len, den man un­ter­schrie­ben hat­te.

      Wann war er froh ge­we­sen zur Nacht? Er leg­te Jahr auf Jahr bei­sei­te und kam wie­der bis zu sei­ner Kin­der­zeit. Der Va­ter, der gute Nacht sag­te, das of­fe­ne Fens­ter, durch das die lei­sen Geräusche des Guts­ho­fes ka­men, der Zi­gar­ren­rauch aus dem Ne­ben­zim­mer, wo der Va­ter noch über den Rech­nungs­bü­chern saß oder in ei­nem Band Fon­ta­ne las. Die Bil­der, die sich im­mer mehr ver­wirr­ten … der Wei­zen­schlag mit der bren­nen­den Son­ne … der Wald­see mit den al­ten Hech­ten … das Pferd, das er ritt, im­mer mit et­was klop­fen­dem Her­zen … die Uhr auf dem Hof, die ihre Schlä­ge über die neb­li­gen Fel­der schick­te, und der letz­te Schlag tön­te lan­ge nach, Wel­le auf Wel­le, im­mer mehr erster­bend … fro­hen Her­zens, so war er ein­ge­schla­fen und wie­der auf­ge­wacht.

      Aber dann nicht mehr. Nicht als Ka­dett und nicht als Leut­nant. Dienst und Pf­licht im­mer wie eine Rüs­tung auf der Brust, und manch­mal schmerz­te die Rüs­tung … die Se­gel, der Mast­korb und dann die Ge­schüt­ze, die Na­vi­ga­ti­on,


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