Gestohlene Identität - Roland Benito-Krimi 5. Inger Gammelgaard Madsen
Читать онлайн книгу.Rücken zu und holte ihren Laptop aus dem Rucksack. Er würde sonst sehen können, dass sie log.
»Worüber schreibst du? Hast du mehr über diese Geisteskranke herausgefunden?«
»Ja, sie wurde wegen Mordes an ihrem eigenen Sohn verurteilt. Er war erst drei Monate alt.«
»Verdammt noch mal! Es werden mehr Kinder von ihren eigenen Eltern getötet als von Kampfhunden.«
»Worauf willst du damit hinaus? Sollen die Leute dann als ungesetzliche Eltern gelistet werden?«
»Ja. Oder der Nachwuchs eingeschläfert«, spann sie den Gedanken weiter.
Er lächelte schief und reichte ihr einen Stapel handbeschriebener Papiere.
»Dann kannst du stattdessen einen Artikel über die Gefangenenflucht schreiben anhand der Notizen hier, falls du sie lesen kannst.«
Sie öffnete ihren Laptop und schaltete ihn an, während sie versuchte, seine Hieroglyphen zu entziffern. Dann setzte sie sich hin und begann zu schrieben. Lange war nur das Geräusch zu hören, das sie so lange vermisst hatte, das beste Geräusch der Welt; Finger, die im Takt auf Tasten hauten und Worte zusammensetzten; Nachrichten, Skandale, Enthüllungen. Sie zündete eine Zigarette an und schaute in Nicolajs sommersprossiges, konzentriertes Gesicht am Bildschirm ihr gegenüber.
»Werden diese niedlichen Welpen wirklich einfach getötet?«
Er nickte.
8
»Bist du auf dem Heimweg?«, rief Roland, als er Mikkel Jensens Schatten an seiner halb geöffneten Tür vorbeihuschen sah.
Mikkel steckte den Kopf herein. »Ah, du bist von den Toten zurückgekehrt. Wie lief die Obduktion?«
»Widerlich, wie gewöhnlich. Leander hat den Todeszeitpunkt auf 21 bis 22 Uhr eingegrenzt. Musst du los, oder …?«
Mikkel sah schnell auf seine Armbanduhr und betrat Rolands Büro. Er machte seine Jacke zu als Signal, dass er wirklich auf dem Sprung war.
»Sind die anderen gegangen?«
»Ja, schon lange. Wir kommen hier ja nicht weiter.«
»Setz dich kurz. So eilig hast du es doch sicher nicht? Wie lief es mit der Hundestreife? Haben sie etwas gefunden?«
»Nichts. Die gesamten 80 Hektar des Riis-Waldes wurden minutiös durchkämmt und sie haben sich nur die Schnauzen auf dem Asphalt bei der Gerichtspsychiatrie wund gescheuert. Sie muss ein Auto auf dem Parkplatz stehen gehabt haben, oder vielleicht hat jemand sie abgeholt.« Er schob Rolands Papierstapel beiseite und setzte sich auf den Rand des Schreibtisches.
»Aber wer, Mikkel?«
»Das versuchen wir ja herauszufinden. Kim und Dan haben im ganzen Viertel geklingelt, aber niemand hat irgendetwas gesehen oder gehört um diese Zeit an dem Abend.«
»Das überrascht mich nicht.«
»Aber wir haben eine interessante Information von einem Taxifahrer bekommen, der eine Kundin im Bækkelundsweg abgesetzt und ungefähr um 21.45 Uhr nach dem Kreisel den Skovagerweg zurückgenommen hat. Er sah ein verdächtiges Auto um die Ecke biegen.«
»Und hat natürlich das Kennzeichen aufgeschrieben?«
»Nicht ganz, so verdächtig war es dann wohl auch nicht, aber er konnte berichten, dass es ein silberfarbener Chevrolet Spark war.«
»Herrlich. Das meistverkaufte Auto Dänemarks. Warum war es denn verdächtig?«
»Er sagte, es habe zwei Mal angehalten, und es sah aus, als wenn etwas in dem Auto passierte, eine Tür knallte und dann nahm es die Kurve viel zu schnell.«
»Wie kamt ihr ausgerechnet auf ihn?«
»Eine Frau aus der Nachbarschaft hatte berichtet, dass sie am Abend mit dem Taxi nach Hause gekommen sei. Da es zu dem Zeitpunkt passte, zu dem die Flucht stattgefunden haben könnte, war es eine gute Idee zu hören, was er gesehen hatte.«
»Aber der weibliche Fahrgast hatte also nichts gesehen?«
»Nein, das passierte erst, als der Taxifahrer zurück in die Stadt fuhr.«
»Wir müssen noch mal mit den Nachbarn sprechen, Mikkel. Es kann nicht sein, dass niemand etwas beobachtet hat. Setze einen anderen als Dan an die Aufgabe, er kann alles durcheinanderbringen.«
»Dan hat das heute ganz gut gemacht. Tatsächlich war er derjenige, der den Taxifahrer gefunden hat. Er ist echt in Ordnung.«
Roland schaute Mikkel verwundert an, der sonst nie ein gutes Haar an dem hoffnungslosesten Beamten des Präsidiums, Dan Vang, gelassen hatte.
»Es war spätabends, Roland. Die Leute haben ferngesehen oder waren schon im Bett. Wenn heute niemand etwas gesehen hat, haben sie es morgen doch wohl auch nicht?«
»Trotzdem. Versucht es noch mal. Hat sich Mai Andersen noch mal wegen der Besucher gemeldet, wie sie es versprochen hat?«
»Nein, wir haben nichts von ihr gehört. Ich werde das morgen weiterverfolgen.«
»Nein, das brauchst du nicht, Mikkel. Ich werde selbst mit ihr sprechen.« Roland lehnte sich zurück und verschränkte die Hände im Nacken. »Hat diese Mutter wirklich ihren Sohn ermordet? Das ist ein ungewöhnlicher Fall. Es ist glücklicherweise nicht der häufigste in der Statistik, dass Mütter ihre Säuglinge töten.«
»Abgesehen von Abtreibungen.«
»Ja, falls man die als Mord bezeichnen kann. Einige Kinder sollten nie geboren oder den Familien überlassen werden, in denen sie wohnen.«
Mikkel wurde still. Er wusste, an welche Fälle Roland dachte.
»Wie geht es Olivia? Wird sie nicht bald Mutter?«
Roland nickte und versuchte die gemischten Gefühle zu verbergen, die dieses Thema in ihm auslöste. Natürlich freute er sich darauf, zum zweiten Mal Opa zu werden. Aber Olivia wohnte so weit weg. Über zweitausend Kilometer. Wie gut würde er das Kind überhaupt kennenlernen? Hätte er Olivia doch nur überreden können, wieder nach Hause nach Dänemark zu ziehen. Sie war als 19-Jährige in sein Land gereist, das er als Vierjähriger verlassen hatte. Beide waren sie zu jung gewesen, um ihr Vaterland zu verlassen. Er auf der Flucht vor der Camorra, zusammen mit seiner eingeschüchterten Mutter, die gerade Witwe geworden war – Olivia von einem ganz anderen Gefühl getrieben – l’amore. Und nun hatte sie Giuseppe geheiratet, erwartete ihr gemeinsames Kind und war italienischer geworden als ihr dort geborener Vater.
»Dann ist das nächste Fest in Italien wohl die Taufe?«, lächelte Mikkel.
Roland nickte wieder und fürchtete bereits die Reise mit Irene und dem Rollstuhl. Italien war nicht das geeignetste Land für dieses Transportmittel.
»Es ist während der Obduktion wohl nichts anderes aufgetaucht?«
»Nee, aber die Sache ist ja auch ziemlich eindeutig. Der Schädel war halb zertrümmert von mehreren harten Schlägen mit dieser Buddhafigur. Der erste Schlag kam von hinten, sicher ein Überraschungsangriff, dann muss sich die Krankenschwester, die übrigens erst 29 und Mutter zweier Kinder war, umgedreht und die übrigen Schläge an die Schläfe gekriegt haben. Ganz sicher die Todesursache, sagte Henry. Dass mehrere Male post mortem zugeschlagen wurde, ist wohl bloß ein Zeichen dafür, dass Sara Dupont sie nicht mehr alle hat.«
»Ja, wer schlägt sonst einfach auf einen bereits toten Menschen ein?«
»Da ist bloß etwas, das nicht stimmt, Mikkel. Ich will noch mal mit der Oberärztin Mai Andersen sprechen. Beide Freundinnen sind anscheinend der Meinung, dass Sara, so vollgepumpt mit Medikamenten, wie sie sagen, nicht zu besonders viel in der Lage wäre. Wie ist sie dann imstande, einen so gewalttätigen Mord zu begehen und zu flüchten – im Auto, wenn sie diejenige war, die der Taxifahrer gesehen hat?«
»Was meint denn ihr Mann? Isabella war nicht besonders angetan von ihm.«
»Kasper Dupont ist natürlich