Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1. Augustinus von Hippo

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Zweiundzwanzig Bücher über den Gottesstaat, Band 1 - Augustinus von Hippo


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die christlichen Frauen, die ähnliches erduldeten und gleichwohl noch leben und nicht am eigenen Leib ein fremdes Verbrechen gerächt haben, damit sie nicht den Untaten anderer noch eigene hinzufügten, wenn sie deshalb, weil Feinde an ihnen aus Gier Notzucht verübt hatten, nun an sich aus Scham Selbstmord verüben würden. Sie haben eben innerlich den Ruhm der Keuschheit, das Zeugnis des Gewissens; sie haben ihn aber vor den Augen ihres Gottes und sie suchen da nichts, wo ihnen die Möglichkeit, recht zu handeln, benommen ist, damit sie nicht, um mit Unrecht dem Anstoß des Verdachtes in den Augen der Menschen auszuweichen, in den Augen Gottes von den Vorschriften seines Gesetzes abwichen.

      

       20. Keine Schriftstelle gewährt den Christen das Recht des freiwilligen Todes, in welcher Lage immer sie sich finden.

      

      Denn nicht umsonst kann man in den heiligen und kanonischen Büchern nirgends ein göttliches Gebot noch auch die Erlaubnis ausgesprochen finden, sich selbst das Leben zu nehmen, um das unsterbliche Leben zu erlangen oder irgend ein Übel zu meiden oder zu beseitigen. Vielmehr ist das Verbot hieher zu beziehen: „Du sollst nicht töten“[52] , wie es im Gesetze heißt; um so mehr als nicht hinzugefügt ist: „deinen Nächsten“ wie bei dem Verbot des falschen Zeugnisses: „Du sollst kein falsches Zeugnis geben wider deinen Nächsten“[53] . Gleichwohl darf man nicht glauben, von dieser Sünde frei zu sein, wenn man gegen sich selbst falsches Zeugnis ablegte. Denn die Selbstliebe wurde als die Richtschnur für die Nächstenliebe aufgestellt, da ja geschrieben steht: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“[54] . Wenn sich demnach der, der über sich selbst Falsches aussagt, des falschen Zeugnisses nicht weniger schuldig macht als wer es wider den Nächsten tut, während doch in dem Gebote, welches das falsche Zeugnis betrifft, nur vom Nächsten die Rede ist, was dahin mißverstanden werden könnte, es sei nicht verboten, daß man wider sich selbst als falscher Zeuge auftritt, wieviel mehr gilt dies dann von dem Verbot des Selbstmordes, da klar zu Tage liegt, daß, wenn es ohne Zusatz heißt: „Du sollst nicht töten“, jedermann als Objekt des Verbotes bezeichnet ist, auch der also, an den das Gesetz gerichtet ist. Darum suchen manche[55] dieses Gesetz sogar auf Tiere, wilde und zahme, auszudehnen, so daß es uns danach nicht erlaubt wäre, sie zu töten. Warum dann nicht auch auf die Kräuter und was sonst mit der Wurzel im Erdboden Nahrung und Halt sucht? Denn auch diese Art von Wesen hat, wenn auch der Empfindung bar, ein Leben, wie man sich ausdrückt, und kann demnach auch sterben, somit auch bei Anwendung von Gewalt getötet werden. Daher sagt der Apostel, wo er von solchen Samen spricht: „Was du säest, lebt nicht auf, wenn es nicht zuvor stirbt“[56] , und im Psalm[57] heißt es: „Er tötete mit Hagel ihre Weinstöcke“. Werden wir also, wenn wir vernehmen: „Du sollst nicht töten“, es für Sünde halten, Strauchwerk auszureißen und, töricht genug, dem Irrtum der Manichäer beistimmen? Weg mit solchem Wahn! Wenn wir also das Verbot des Tötens nicht auf die Pflanzen beziehen, weil sie der Empfindung entbehren, und nicht auf die vernunftlosen Lebewesen, die fliegenden, schwimmenden, laufenden, kriechenden, weil sie uns nicht durch die Vernunft gleichgestellt sind, die mit uns gemeinsam zu haben ihnen nicht gewährt ist[58] , so bleibt nur übrig, das Verbot: „Du sollst nicht töten“ vom Menschen zu verstehen: Weder einen andern noch dich sollst du töten. Denn wer sich selbst tötet, tötet eben auch einen Menschen.

      

       21. Fälle, in denen die Tötung von Menschen nicht das Verbrechen des Mordes in sich schließt.

      

      Einige Ausnahmen jedoch von dem Verbot, einen Menschen zu töten, hat eben jener göttliche Wille selbst gemacht. Von denen aber abgesehen, die Gott zu töten befiehlt, sei es durch gesetzliche Anordnung, sei es jeweils mit Bezug auf eine bestimmte Person durch ausdrücklichen Befehl - in solchen Fällen tötet nicht der, der dem Befehlenden diesen Dienst schuldet wie ein Schwert dem, der es führt, Hilfe schuldet; daher haben jene, die auf Gottes Geheiß Kriege führten oder im Besitze der öffentlichen Gewalt gemäß den Gesetzen Gottes d. i. nach dem Befehl der allgerechten Vernunft Verbrecher mit dem Tode bestraften, nicht wider das Gebot: „Du sollst nicht töten“ gehandelt; und Abraham, weit entfernt, des Verbrechens der Grausamkeit beschuldigt zu werden, wurde vielmehr gerühmt ob seiner Frömmigkeit, weil er seinen Sohn rein nur aus Gehorsam, nicht in frevelhafter Absicht töten wollte[59] ; und mit Recht zweifelt man, ob es für einen Auftrag Gottes zu halten sei, daß Jephte seine Tochter, die ihm entgegeneilte, tötete, lediglich weil er gelobt hatte, das was ihm bei der siegreichen Rückkehr aus der Schlacht zuerst entgegenkommen würde, Gott zu opfern[60] und auch Samson, der sich selbst mitsamt den Feinden unter den Trümmern eines Hauses begrub, findet nur darin eine Entschuldigung, daß ihm der Geist, der durch ihn Wunder tat, dies heimlich befahl[61] also abgesehen von denen, die entweder ein gerechtes Gesetz ein für allemal, oder Gott, der Quell der Gerechtigkeit, in besonderen Fällen zu töten befiehlt, macht sich des Verbrechens des Mordes jeder schuldig, der einen Menschen — sich oder sonst jemand — tötet.

      

       22. Kann der freiwillige Tod jemals als Zeichen von Seelengröße gelten?

      

      Wer immer Selbstmord verübt, ist vielleicht wegen Seelengröße zu bewundern, nicht aber verdient er Lob wegen gesunden Sinnes. Obwohl bei genauer Überlegung nicht einmal von Seelengröße die Rede sein kann, wenn man, unfähig ein hartes Geschick oder fremde Sünden zu ertragen, sich selbst das Leben nimmt. Als schwach vielmehr zeigt sich ein Geist, der eine schwere Knechtung seines Leibes oder die törichte Meinung der Menge nicht zu ertragen vermag, und die größere Seele verdient die genannt zu werden, die ein mühseliges Leben, statt ihm aus dem Weg zu gehen, vielmehr zu ertragen und das Urteil der Menschen, vorab das der Menge, das zumeist in das Dunkel des Irrtums gehüllt ist, gegenüber dem Lichte des reinen Gewissens zu verachten weiß. Wenn daher je der Selbstmord auf Seelengröße zurückzuführen ist, so entdeckt man solche eher an Theobrotus, der sich nach der Lektüre von Platos Buch, das von der Unsterblichkeit der Seele handelt, von einer Mauer hinabgestürzt haben und so aus diesem Leben zu einem anderen, das er für das bessere hielt, hinübergewandert sein soll[62] . Ihn bedrängte kein Mißgeschick, kein Verbrechen, weder ein wirkliches noch ein eingebildetes, dem er, unfähig es zu ertragen, aus dem Weg gegangen wäre; lediglich Seelengröße bestimmte ihn, sich für den Tod zu entscheiden und die süßen Bande des irdischen Lebens zu zerreißen. Daß er damit freilich mehr groß als gut gehandelt hat, hätte ihm gerade Plato, den er las, bezeugen können; denn der hätte das doch vor allem selbst getan, ja es sogar vorgeschrieben, wenn er sich nicht die Überzeugung gebildet hätte, daß dies in dem Sinne, wie er die Unsterblichkeit der Seele ansah, durchaus nicht geschehen, vielmehr selbst verhindert werden soll.

      Allerdings haben viele Selbstmord begangen, um nicht den Feinden in die Hände zu fallen. Aber an dieser Stelle handelt es sich nicht darum, ob das vorgekommen ist, sondern darum, ob es hätte vorkommen sollen. Eine gesunde Logik geht nämlich auch über Beispiele, und mit ihr stimmen hinwieder ebenfalls Beispiele überein und zwar solche, die umso nachahmungswürdiger sind, als sie mit hervorragender Frömmigkeit verbunden erscheinen. Solches taten nicht die Patriarchen, nicht die Propheten, nicht die Apostel; denn Christus der Herr selbst hätte sie, da er sie anwies, von Stadt zu Stadt zu fliehen, wenn sie Verfolgung erleiden würden, ebenso anweisen können, Hand an sich zu legen, um nicht ihren Verfolgern in die Hände zu fallen. Wenn also er den Seinigen keinen Befehl oder Rat erteilte, auf solche Weise aus dem Leben zu scheiden, da er ihnen doch nach ihrem Hingang ewige Wohnungen zu bereiten verhieß, so mögen die Heiden, die Gott nicht kennen, Beispiele anführen soviel sie wollen: es ist dennoch klar, daß solches den Verehrern des einen wahren Gottes nicht erlaubt ist.

       23. Wie ist das Beispiel zu beurteilen, das Cato durch seinen Selbstmord ob des Sieges Cäsars gab?

      

      Übrigens finden auch unsere Gegner außer der Lucretia,


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