Tropenkoller. Georges Simenon

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Tropenkoller - Georges  Simenon


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die Kurven so kühn zu nehmen, dass die Passagiere jedes Mal gegeneinanderfielen.

      Zu beiden Seiten des Weges sah man einige Lichter, dann irgendwann nichts mehr. Weiter entfernt tauchte ein Feuer auf, in dessen Schein die schwarzen Kegel der Eingeborenenhütten zu erkennen waren.

      »Zu Maria?«, fragte jemand.

      »Zu Maria.«

      Mit einem Mal fühlte sich Timar wie in einem Albtraum. Es war das erste Mal, dass er in der Nacht durch Libreville fuhr. Der Mond gab den Dingen ein fremdartiges Aussehen. Er wusste weder, wo er war, noch, wohin er fuhr. Im Vorbeifahren tauchten Schatten auf, zweifellos Schwarze, die sofort mit dem Wald verschmolzen. Die Bremsen quietschten. Bouilloux stieg als Erster aus, ging auf eine in Dunkelheit getauchte Hütte zu und trat mit dem Fuß gegen die Tür.

      »Maria! … He, Maria! … Steh auf!«

      Die anderen stiegen nun ebenfalls aus. Timar hielt sich weiter an Maritain, der ihm ähnlicher war als die anderen.

      »Wer ist Maria? Eine Prostituierte?«

      »Nein. Sie ist eine Schwarze wie alle anderen. Die wollen nichts weiter, als von den Weißen besucht zu werden. Da es in Libreville kein Lokal gibt, blieb uns heute Abend nichts anderes übrig.«

      Trotz der nächtlichen Stunde war es immer noch heiß. In den anderen Hütten rührte sich nichts. Die Tür besagter Hütte öffnete sich, und ein nackter schwarzer Mann tauchte auf, deutete eine Verbeugung an und verschwand in das tiefe Dunkel des Dorfs.

      Timar begriff erst später, dass es der Ehemann war, Marias Ehemann, der weggeschickt wurde, während man seine Frau besuchte.

      Ein Streichholz flammte auf, mit dem eine Petroleumlampe in der Hütte entzündet wurde.

      »Tretet ein«, rief Bouilloux und ließ seine Gefährten vor.

      Drinnen war es noch heißer als draußen, die ekelerregende Hitze menschlicher Körper. Ein scharfer Geruch nahm ihm fast den Atem, ein Geruch, den Timar bisher nur beiläufig wahrgenommen hatte, wenn er an schwitzenden Schwarzen vorüberging.

      Die Frau, die eben die Lampe angezündet hatte, hatte sich mit einer Hand ein Tuch um ihren nackten Körper geschlungen, aber Bouilloux riss es ihr wieder vom Leib und warf es in eine Ecke der Hütte.

      »Hol deine beiden Schwestern! Vor allem die kleine, kapiert!«

      Die Weißen benahmen sich hier wie zu Hause, außer Maritain vielleicht, der sich nicht ganz so ungeniert verhielt.

      Die Einrichtung bestand aus einem Tisch, zwei alten Liegestühlen und einem hässlichen Feldbett, das noch zerwühlt und feucht von den Körpern war.

      Dennoch setzten sich drei der Männer auf die daraufliegende Pferdedecke.

      »Setzt euch, Kinder!«

      Noch nie, selbst zur Mittagszeit nicht, war es Timar so heiß gewesen. Diese Hitze schien ihm ungesund zu sein, eine Fieberhitze, eine Krankenhaushitze. Er spürte einen körperlichen Widerwillen, irgendetwas zu berühren, sogar die Wände. Und er klammerte sich mit dem Blick an Maritain, der weiter in die Hütte hineingegangen, aber auch stehen geblieben war.

      »Das kann mit Adèle natürlich nicht mithalten«, rief Bouilloux ihm zu.

      »Los, trink … Das wird dir guttun.«

      Ein Glas ging von Hand zu Hand bis zu Timar, eines von drei Gläsern, die niemand gespült hatte. Bouilloux benutzte das zweite und der einäugige Holzfäller das dritte.

      »Auf Adèles Wohl!«

      Es war reiner, unverdünnter Pernod. Timar schluckte ihn hinunter, weil er nicht den Mut hatte, sich den fünf Männern zu widersetzen. Er trank und kniff sich dabei die Nasenlöcher zu, so sehr widerten ihn das Glas und die Flüssigkeit an.

      »Es ist sehr nobel, so zu tun, als würde man nicht verstehen, aber da wir alle mit ihr …«

      In diesem Augenblick wäre es zu einem Zwischenfall gekommen, wenn sich die Tür nicht geöffnet hätte.

      Maria kam als Erste herein, ein gefügiges Lächeln auf den Lippen. Hinter ihr erschien eine zierliche, blutjunge Schwarze, die sofort von dem neben der Tür sitzenden Weißen gepackt wurde.

      Das Übrige ereignete sich in wildem Gedränge, denn die Hütte war für all diese Menschen nicht groß genug. Man trat sich gegenseitig auf die Füße.

      Die schwarzen Frauen sprachen fast nichts. Hier und da ein paar vereinzelte Wörter, Fetzen unvollendeter Sätze. Meistens lachten sie, und man sah ihre weißen Zähne blitzen. Maria holte unter der Matratze eine Flasche Pfefferminzlikör hervor, die nach dem Pernod geleert wurde.

      Es gab nur einen Augenblick der Verlegenheit. Der einäugige Holzfäller hatte gefragt:

      »Was sagt man im Dorf über Thomas’ Tod?«

      Die drei schwarzen Gesichter verloren ihr Lächeln, ihre Herzlichkeit, ja, selbst den Ausdruck der Unterwürfigkeit. Die Frauen schwiegen und blickten zu Boden. Und so stellte Bouilloux die gute Stimmung wieder her, indem er ausrief:

      »Alles gut, alles bestens! Was schert uns schon dieser schmutzige Neger! Auf euer Wohl, Kinder! Wisst ihr, was ich euch vorschlage? Wir werden alle zusammen eine Spazierfahrt im Wald machen.«

      Wie schon während des Abendessens wurden Blicke gewechselt, die Timar vermuten ließen, dass diese Worte eine besondere Bedeutung hatten, dass es sich um einen vorgefassten Plan handelte.

      »Einen Augenblick. Hör mal zu, Maria! Du bekommst hundert Franc, wenn du irgendwo eine Flasche Whisky oder etwas Ähnliches auftreibst!«

      Sie fand sie in diesem Dorf, in dem alles zu schlafen schien, in dem nicht ein Geräusch, nicht einmal ein Flüstern zu hören war und nirgends ein Licht brannte, in dem man aber sicher in allen Hütten vernehmen konnte, was hier vorging.

      Satzfetzen flogen durch die Luft, während man drängend und schubsend wieder auf den Wagen stieg.

      Erst im letzten Augenblick bemerkten sie, dass neben einem Kapokbaum noch eine Schwarze stand.

      »Steig auch auf!«

      In dem Lärm, den der Wagen beim Anlassen und Anfahren machte, war nichts weiter zu hören.

      Timar wollte nichts sehen. Er blickte beharrlich hinauf in die vorübergleitenden Baumkronen, die sich im Mondschein vom Dunkel abhoben. Sie fuhren auf sandigem Boden, und unaufhörlich wurde der Gang gewechselt.

      Man drückte ihm die halb leere, warme Whiskyflasche in die Hand, der Flaschenhals war ganz verklebt. Es war ihm unmöglich, zu trinken. Als er so tat, als ob, rann ihm der Alkohol über Kinn und Brust.

      »… da wir alle mit ihr …«

      Er wurde von einer quälenden Ungeduld gepackt. Er hatte nur diesen einen Gedanken: diesem Bouilloux mit dem Metzgergesicht gegenüberzutreten und eine Erklärung zu verlangen. Denn es stimmte nicht! Es war nicht möglich! Bouilloux zum Beispiel war niemals Adèles Liebhaber gewesen, auch der Einäugige nicht, und auch nicht …

      Er war zwischen Wut und Verzweiflung hin- und hergerissen. Einen Augenblick dachte er daran, den Wagen anhalten zu lassen und auszusteigen. Aber er wusste nicht einmal, wo er war, und so blieb ihm nichts anderes übrig, als bis zum Ende bei den anderen zu bleiben.

      Er rechnete aus, dass sie mindestens fünfundzwanzig Kilometer gefahren sein mussten. Der Wagen hielt dort, wo der Weg aufhörte, am Rand einer Lichtung, die an einem Fluss lag. Wieder Gedränge. Laute Stimmen und Gelächter.

      »Die Flasche! Die Flasche nicht vergessen!«, rief jemand.

      Unbemerkt blieb Timar allein bei dem Lieferwagen zurück. Vor ihm bewegten sich, mal im Licht, mal im Schatten, schemenhaft torkelnde Gestalten, Geflüster, Gemurmel und aufgeregtes Gelächter waren zu hören.

      Der erste Schatten, der sich zu ihm gesellte, war die lange Gestalt Maritains, der ihn etwa einen Meter entfernt plötzlich entdeckte und verlegen stammelte:


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