Das Erbe. Wolfgang Ziegler
Читать онлайн книгу.und Amis sich bei ihrem Vordringen in Österreich und Deutschland an anderen Orten die Zähne ausbeißen und glauben, sie hätten nun entscheidende Funde gemacht und alles ausgehoben. In „Gigant“, dem Geheimobjekt, das als aufgegebene Baustelle bekannt war und wo man mittels scheinbarer Auslagerungen erfolgreich den Anschein erweckte, hier wäre alles verlassen und unfertig stehen geblieben, lag die eigentlich letzte Bastion des Dritten Reiches in Mitteleuropa.
Hahnfeld konnte noch immer nicht ein schadenfreudige Grinsen unterdrücken, wenn er daran dachte, wie die Sieger staunend und ratlos vor gewaltigen technischen Hinterlassenschaften gestanden haben mochten, im Glauben, nun alles gefunden und erobert zu haben. Die nach Kriegsende weltweit in die Schlagzeilen geratene V-Waffen-Fabrik bei Nordhausen war z.B. ein solcher Ort oder die ausgedehnten Anlagen der Heeresversuchsanstalt Peenemünde ... Natürlich waren den Alliierten auch ungeheure Werte in die Hände gefallen. Doch auch hier täuschte das häufig nur installierte Bild ...
Seit Kriegsende saß Hahnfeld jedenfalls schon in der Basis im Eulengebirge und wartete hier auf letzte entscheidende Befehle hinsichtlich des Einsatzes hier befindlicher Technik. Anfangs war er lange nicht so einsam gewesen wie heute. Eine große Gruppe Werwölfe hatte bei ihm ihren Standort gehabt und von hier aus operiert. Doch leider waren die Jungs draußen immer mehr aufgerieben worden oder von Einsätzen einfach nicht zurückgekehrt. Ihr rätselhaftes Ausbleiben hatte ihm große Sorgen bereitet. Als auch der letzte dieser Männer für immer verschwand, hatte er sich persönlich nach draußen begeben und den Zugang verschlossen und gesichert, den die Werwölfe bis dahin nutzten. Das war nun über ein Jahr her... Vielleicht hatten es viele von ihnen auch einfach satt gehabt. Auch das konnte Hahnfeld nun langsam verstehen.
Ein schrilles Klingeln riß ihn plötzlich aus seinen Betrachtungen. Sein Verbindungsmann mit der Außenwelt meldete sich überraschend. Eine kurze Serie von Punkten und Strichen zeichnete die absichtlich einfache, aber todsichere Morsetechnik auf dem Papierstreifen auf. Der ehemalige Adjutant des Objektkomman-danten schickte eine Warnung. Nach dem vereinbarten Codesystem, das keineswegs dem normalen Morsealphabet entsprach, teilte er nach dem obligatorischen Kennungscode kurz mit, es nähere sich höchstwahrscheinlich eine Person dem Berggebiet, in dessen Tiefe die von ihm gewartete und bewachte Basis lag. Sehr beunruhigt nahm Hahnfeld die ungewöhnliche Nachricht zur Kenntnis. Da mußte er unbedingt alle aktiven Sicherungsanlagen überprüfen. Das duldete nun keinen Aufschub mehr.
Von den Zugängen in den geheimen Bereich der eigentlichen Basis konnte so gut wie niemand wissen. Die Werwölfe hatten nur die unterirdische Kaserne gekannt, deren geheimes Tor in die Außenwelt Hahnfeld eigenhändig unzugänglich machte. Auch der einzige innere Zugang war von ihm versperrt worden, als sie ausblieben. Würde sich jemand von der äußeren Talseite her zu schaffen machen, ertönten innen die Alarmglocken. Dann wäre der Eindringling aber auch schon tot ... Dieser Fall war jedoch noch nie eingetreten. Außerdem war dieser Außeneingang zur Kaserne sehr gut getarnt und offenbar bis heute nicht verraten worden. Die Gegend der Basis war außerdem bei der Bevölkerung des Landstrichs am Gebirgsrand bewußt in Verruf gebracht worden. Nur ungern hielten sich die Einheimischen in diesen Wäldern auf. In den Jahren nach Kriegsende waren hier mehrere Holzfäller spurlos verschwunden, und die Leiche des letzten Försters hatte man übel zugerichtet in einer Schlucht am Gebirgsrand gefunden ... Seitdem lastete ein regelrechter Alb auf den Gebirgsbauern, Zapfenpflückern und Holzfällern. Die wildesten Gerüchte gingen um, und jeder hielt sich tunlichst von der unheimlichen Gegend um das Steinbergmassiv fern.
Hahnfeld verließ den halbrunden Raum mit dem Befehlsstand und ging durch eine Stahltür in einen anschließenden Gang. Nur wenige Schritte weiter führte eine Eisentreppe in eine große Halle hinab. Hier, im Licht nur weniger Lampen, die automatisch aufflammten, als Hahnfeld sie betrat, zeigten sich allerlei große technische Anlagen. Mit verschiedenen Farben markierte Rohrleitungen, dicke Träger für Elektrokabel, hohe Schaltkästen, mächtige Tanks und eine Vielzahl anderer Aggregate standen in der mächtigen unterirdischen Grotte, ohne diese jedoch auszufüllen. Es war noch genug Platz für breite Gänge, in denen sich auf markierten Fahrbahnen kleine Elektrofahrzeuge bewegen konnten, die jetzt allerdings schon lange abgeschaltet in ihren dunklen Nischen standen. Hahnfeld würdigte dieses Wunderwerk an Ingenieurleistung keines Blickes. Er eilte durch den dämmrigen, breiten Hauptgang zwischen den technischen Systemen, der sich in Form eines weiten Halbkreises unter dem bedeckenden Gebirge hinzog. Endlich kam er an einer weiteren Stahltür an, die im dunklen Fels eingelassen war. Er gab einen Code in die Zahlentafel, und brummend fuhr die lukartige Abdeckung zur Seite. Dahinter flackerten automatisch trübe Lampen auf, als er den benachbarten Raum betrat. Es war ein langgezogener Felstunnel mit zwei schmalen, glänzenden Stahlgleisen auf dem spärlich geschot-terten Boden. Hier wehte kühle Zugluft, und es roch undefinierbar nach Brackwasser, feuchtem Gestein und altem Öl. Hahnfeld ging mit unheimlich in der Dunkelheit hallenden Schritten zu dem kleinen Bahnsteig des unterirdischen Haltepunktes und erreichte schließlich eine Elektrodraisine, die dort immer bereit stand ...
Die Baustelle
Sonnenstrahlen lugten hinter den zerzausten Bergkämmen hervor. Wind kam auf und wehte die letzten Nebelschleier weg. Der wüste Platz in dem Waldtal bot einen umso trostloseren Anblick. Wolf raffte sich auf. Schließlich war er nicht hier, um die traurigen Überbleibsel der Vergangenheit in dieser einsamen Gebirgsgegend zu begutachten. Er mußte weiter. Der Weg sollte sich jetzt auf der Bahnlinie fortsetzten, die von hier aus noch tiefer in die Berge führte. Da auf der schmalen Trasse die Gleise abgeräumt waren, Schotter und zerborstene Balken einen mehr als unebenen Untergrund bildeten, mußte er den Pkw hier zurücklassen. Er tat es ungern, doch hier oben schien er wirklich der einzige Mensch zu sein. Da dürfte nichts passieren, dachte er. Außerdem war es nach den Angaben der Karte nicht mehr weit. Einen halben Kilometer noch, dann endete die Bahnlinie fast auf der Spitze des Berges. Und dort mußte es schließlich irgendwie hinein gehen. Laut Meurat beginne an diesem Ort ein sehr großes Stollensystem, das mit dem auf der Zeichnung identisch sei. Der Lageplan müßte ab dort den weiteren Weg weisen. Die darin eingetragene Linie begann zumindest unmittelbar an dem Stolleneingang, den er jetzt zu erreichen hoffte. Meurat hatte zumindest versichert, daß dies auch wirklich die Öffnung wäre, die auf der technischen Zeichnung als weiterführend angegeben war.
Derart ermutigt machte sich Wolf auf seinen einsamen Weg. Unter den Füßen knirschte der aufgewühlte Schotter und verbogene Gleisenden ragten mitunter gefährlich spitz aus dem Boden. Auch allerlei Schrott lag anfangs noch am niedrigen Bahndamm, der dann allerdings verschwand und hohem Unkraut Platz machte. Als eine sich schlängelnde Schneise zog die schmale Trasse durch den dichten Bergwald. Nach einer letzten sanften Biegung sah der Wanderer endlich ihr vorläufiges Ende. Eine spärlich bewachsene, zerklüftete und steile Felswand erhob sich plötzlich am Ende des letzten geraden Streckenabschnittes. Davor lag ein größerer Lagerplatz auf dem es ähnlich dem Ort aussah, von wo er gerade kam. Ein Fuchs schnürte über die große Lichtung und verschwand schnell im grünen Dickicht, das den Bauplatz von drei Seiten umgab. Wolf stieg am Rande auf eine umgekippte Kabeltrommel und hielt Ausschau. Für einen Moment glaubte er eine kurze Reflexion, eine Art Aufblitzen in den oberen Felspartien des vor ihm liegenden Hanges wahrzunehmen. Aber eine genaue Absuche mit seinem mitgeführten Fernglas zeigte nichts. Dennoch wurde Wolf noch vorsichtiger. Er pirschte mehr, als das er zwischen den verlassenen Baustellen- und Lagerplatz-überresten aufrecht ging. Anscheinend hatten die Polen schon alles einigermaßen Brauchbare abgeräumt und aus dem Gebirge transportiert. Dennoch lagen hier noch genügend Überbleibsel herum, die einen deutlichen Eindruck von der einstigen Größe der Baumaßnahme gaben. Zielstrebig näherte er sich nun den aufstrebenden grauen Felswänden und suchte die Stelle, wo die Gleise der Schmalspurbahn endeten oder besser noch, in sie hineinführten.
Das von Rost fast dunkelbraune Tor lag in einer schwachen Senke. Tatsächlich führte die ehemalige Trasse, nach einigen Verzweigungen auf dem Baugelände, dorthin. Es war ein wirklich mächtiges Tor. Aber die Entdeckung hatte einen Haken. Eine gewaltige Sprengung begrub das Stahltor einst. Unter Felsmassen verschüttet schaute nur seine schmale Oberkante aus dem angehäuften Steingewirr heraus. Zweifellos war es aber der von ihm gesuchte Stolleneingang. Wolf kletterte auf den schräg am Hang liegenden Haufen zerborstenen Gesteins, den die Detonation abgerissen hatte. Da war nichts zu machen. Die Felstrümmer lagen ineinander