Das Erbe. Wolfgang Ziegler
Читать онлайн книгу.herabstürzender Gesteinsbrocken vernehmen. ‚Wahrscheinlich nur wieder irgendein Tier‘, merkte Hahnfeld auf, blieb aber noch am Bildschirm.
Vorsichtig kletterte Wolf den steinigen Abhang hinab. Er wählte nicht den schmalen Wildpfad als Abstieg, sondern wollte auf kürzesten Weg wieder zum ehemaligen Arbeitsplateau der verlassenen Baustelle gelangen. Fast wäre er hinabgeschlittert, als sich plötzlich das lose Gestein unter seinen Füßen löste. Im letzten Augenblick konnte er sich abfangen und blieb erleichtert auf dem Hosenboden sitzen. Rechts neben ihm glänzte in einer Felsnische plötzlich etwas kurz auf. Vorsichtig schaute er in diese Richtung und glaubte, im Schatten des Gesteins, so etwas wie das Okular eines Fernglases oder Winkelbeobachtungsgerätes gesehen zu haben.
Spielten ihm jetzt seine Nerven einen Streich? Oder da war wirklich eine Art Beobachtungsgerät? Doch wer, in Gottes Namen, sollte es heute noch bedienen? Stimmte etwa die Mär, daß die ‚Alten‘ noch immer über ihre Geheimnisse wachten?
Sicherheitshalber schmiegte er sich dichter an die warmen Felsbrocken und schob sich vorsichtig nach links weg. Er mußte hier keinesfalls vorzeitig entdeckt werden, von wem auch immer. Erst als er wieder durch den Wald die ehemalige Bahntrasse erreicht hatte, fühlte er sich wieder etwas sicherer. Bis dahin kam es ihm irgendwie vor, als spüre er einen unheimliche Beobachter in seinem Rücken ...
Nach dem er auch den verwilderten Bahndamm hinter sich hatte und den Umschlagplatz inmitten der Bergwälder erreichte war er froh, sein Auto an dem Ort vorzufinden, an dem er es vor rund zwei Stunden zurückließ. Erneut schaute sich Wolf aufmerksam um. Doch er konnte kein Lebewesen entdecken. Das mußte jedoch hier nichts bedeuten. Die felsigen Hänge ringsum, der dichte Wald und das unübersichtliche Lagerplatz- und Bahngelände boten einem heimlichen Beobachter genügend Möglichkeiten, sich unauffindbar zu verbergen. In der Geborgenheit des Wagens fröstelte es Wolf ein wenig. Ein unbehaglicher Schauer lief ihm über den Rücken, wenn er an die noch bevorstehenden Abenteuer dachte. Mit leise brum-menden Motor und verminderter Geschwindigkeit fuhr er das Fahrzeug durch die desolaten Barackenreste und verrottenden Materialstapel zurück in Richtung Waldstraße. Erst als er die dunklen Bäume links und rechts des Wagens sah und er die leicht abfallende Bergstrasse in Richtung des noch fernen Burgstadts rollte, machte sich wieder so etwas wie ein Gefühl von Sicherheit in ihm breit.
Vorkehrungen ...
Major Hahnfeld betrachtete mißtrauisch die Anzeigen des schmalen Bedienpultes in dem kleinen Raum, den eigentlich nur noch eine etwa meterbreite Felswand von der Welt draußen trennte. Nochmals warf er einen Blick auf den trüben Bildschirm und lauschte angestrengt den Außengeräuschen, die über den staubigen Lautsprecher an seine Ohren deutlich drangen. Im Hinterkopf spukte die Warnung seines Verbindungsmannes. Irgendetwas sagte ihm, daß da draußen nicht alles so war, wie sonst. Hahnfeld besaß den sicheren Instinkt eines Wolfes. Und das der ihn noch nie trog und er ihm mehr als einmal sein Leben zu verdanken hatte, war ihm mehr als gegenwärtig. Nervös nestelte er am Pistolenhalfter herum. Doch hier drin gab es nichts zu schießen. Hier herrschte Stille und Sicherheit. Die Gefahr lauerte ausschließlich da draußen. War da nicht ein schattenhafter Umriß in der ehemaligen Transportschneise verschwunden? Oder täuschte ihn schon die Wahrnehmung? Nochmals blickte er auf das Bild, das die Außenkamera auf den Bildschirm übertrug, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Doch um seine Ruhe war es vorerst geschehen. Mit hastigen Griffen schaltete er die Beobachtungseinrichtungen ab und verschwand in der dämmrigen Beleuchtung des Bahnsteiges Richtung der dort wartenden Elektrodraisine.
Wieder in der Zentrale angekommen, aktivierte er die Kabelverbindung zu Pawlek. Mittels eines Codes teilte er knapp mit, daß dieser sich unverzüglich bei ihm einzufinden hätte. Solche Treffen wurden aus Sicherheitsgründen auf ein Mindestmaß reduziert. Doch jetzt wollte Hahnfeld den Mann direkt sprechen.
Er befahl seinen Verbindungsmann gegen Mitternacht zu sich. Ort des Treffens war wie immer die geheime Personenschleuse mit einem dahinter liegenden Vorraum zum eigentlichen Tunnelsystem. Hahnfeld hatte mit der Botschaft gleich noch frische Lebensmittel angefordert und einige andere Verbrauchsartikel. Ungeduldig schaute er auf die große Uhr über dem Kommandopult. Sie zeigte jedoch erst eine späte Vormittagsstunde an. Es war also noch viel Zeit, bis sein Besucher kam.
So erhob sich der einsame Mann und ging durch etliche Gänge in den Sportraum, der unweit der Unterkünfte lag. Dort zog er sich um und leistete sein tägliches Pensum an Übungen. Dazu standen allerlei Sportgeräte zur Verfügung. Eiserne Selbstdisziplin war ihm schon immer eigen gewesen. Und nur diese befähigte ihn schließlich dazu, hier alleine die Stellung zu halten. Nach einer halben Stunde anstrengender Betätigung zog es ihn in die Baderäume, wo er sich eine ausgiebige Dusche gönnte. Derart erfrischt nahm er einen Imbiß, zog sich dann eine nagelneue Arbeitskombi über und machte sich auf den Weg zur zentralen Energieversorgung der Anlage „Gigant“. Dazu benutzte er wieder die Elektrobahn.
Allerdings fuhr er nun mit der Draisine in die andere Richtung, es ging diesmal tief in den Berg hinein. Mit mäßigem Tempo rollte Hahnfeld wieder durch lange Tunnel. Sein Ziel erreichte er nach etwa zehn Minuten Fahrt. Am Bahnsteig standen diesmal eine Reihe großer Metallschränke. Aus einem von ihnen nahm er einen robusten Schutzanzug mit Vollhelm heraus. Mühsam streifte er die schwere Montur über, griff sich jedoch sicherheitshalber aber noch eine der starken Handlampen aus einem Regal und begab sich rasch zu einem dunklen Schott in der Tunnelwand.
Schwerfällig tappend durchquerte er sich dahinter anschließende enge und mit schwerem Metall verkleidete Gänge, die wiederum zu einer letzten massiven Druckschleuse führten. Deren Schotten waren so schwer, daß sie sich nur mittels Hydraulik öffnen ließ. Er gab erneut eine komplizierten Zahlenkombination ein, worauf er zurücktrat und wartete, bis sich das schwere Luk aufgeschoben hatte. Hier lag die energetische Seele der ganzen unterirdischen Anlage und zugleich eine einzigartige wissenschaftliche Errungenschaft und großes Geheimnis aus der Zeit lange vor Kriegsende - der Atommeiler.
Im Zentrum einer großen, vom monotonen Summen der Aggregate erfüllten Felsenhalle erhob sich der dunkle, metallisch glänzende Reaktorkörper, umgeben von Leitungen, Druckbehältern, War-tungsstegen und zahlreichen anderen technischen Einrichtungen. Mißtrauisch äugte Hahnfeld auf ein Meßgerät, das er nun in den Händen hielt. Er war zwar hartgesotten, aber hier beschlich selbst ihn immer ein unheimliches Gefühl. Eilig ging er zum Kontrollpult und überprüfte bestimmte Anzeigenwerte mit einer Tabelle, die dort lag. Zufrieden schritt er noch einmal aufmerksam kontrollierend um den tief im Bergesinneren brummenden Meiler, richtete dabei den starken Lichtstrahl seiner Handlampe auf diese und jene Stellen, konnte aber keine sichtbaren Defekte oder andere Mängel feststellen. Alle so geprüften Leitungen zeigten sich dicht. Nirgends trat irgendwelche Flüssigkeit aus. Diese spektakuläre Technik sorgte praktisch für die weitere Funktion der Basis, bis in die nächsten Jahrzehnte hinein. So hatten es zumindest die ihn einweisenden Techniker erläutert, bevor sie für immer die Anlage verlassen mußten. Drängen hier Unbefugte ein, käme es zur Katastrophe. Die Sicherheitssysteme waren derart ausgefeilt, daß allein das gewaltsame Eindringen in den den vorderen Zugangsstollen ein atomares Inferno auslösen täte, was in Sekunden nicht nur die gesamte Basis vernichtete, sondern wahrscheinlich den ganzen Bergzug samt Umland hinwegfegen würde. Außerdem gab es hier eine Zündeinstellung, die, am zentralen Kommandopult einmal aktiviert, nach der vorgegebenen Zeitspanne den Reaktor zur Explosion brächte ...
Schwitzend zwängte sich der Major zurück durch die verschiedenen Tunnel mit ihren Schotten und Schleusen. Hinter ihm waren alle Zugänge nun wieder regelrecht versiegelt. Er war froh, nach seinem unheimlichen Ausflug zurück am Bahnhof zu sein und endlich die schwere Schutzbekleidung ablegen zu können. Nachdem er Meßgeräte, Helm und Anzug sorgfältig in den verschließbaren Schrank zurückgelegt hatte ließ er sich schnaufend in die Sitze der Draisine fallen und schob den Fahrthebel nach vorn. Ratternd nahm das kleine Vehikel erneut seine einsame Fahrt durch die unterirdischen Tunnellabyrinthe auf. Während es dahinrollte überlegte sein Passagier, ob er noch einen Abstecher zum Flughangar und LKW-Stollen machen sollte, verschob das Vorhaben aber schließlich auf den nächsten Tag.
Die Tür im Fels
Pawlek durchstieg