Das Erbe. Wolfgang Ziegler
Читать онлайн книгу.nicht länger im Feindesgebiet lassen können. Außerdem ist da noch unser letzter Wächter, der soll ja auch unbeschadet sein neues Zuhause erreichen. Und eines kann ich Ihnen versprechen. Ich weiß, daß dies schon lange ihre heimlichster Wunsch ist. Wenn ihr beide diesen Auftrag erfüllt, werdet ihr auf dem Flug nach Cydonia dabeisein, an vorderer Stelle versteht sich.“ Strese blickte mit leicht verklärtem Blick nach oben und nahm den unwillkürlich gehobenen Zeigefinger wieder herunter. „Also, meine Herren. Hals und Beinbruch! Kommen Sie mir alle wieder heil zurück.“
Mit dem seit Jahrzehnten üblichen Gruß verließen Seidel und Hase das geräumige Besprechungszimmer mit der großen Weltkarte hinter dem blauen Vorhang. Anschließend nahm sie sofort der Flugeinsatzleiter in Empfang. Auch hier waren keine anderen Personen zugegen.
„Nach unserer Einweisung werden sie bis zum Beginn der eigentlichen Operation alleine Quartier im B-Sektor beziehen. Das ist kein Mißtrauen gegen sie beide oder gegen andere Kameraden. Ihr Auftrag ist einfach zu wichtig, als daß er auch nur durch irgendetwas gefährdet werden dürfte“, fiel Einsatzchef Oberst Alfred Graue gleich mit der Tür ins Haus. „Außerdem ist das ja ein Befehl vom Chef.“
Sie verbrachten fast einen halben Tag mit der Erörterung der Details ihrer Mission. Dabei wurde Imbiß, Kaffee und alles gereicht, was das Herz begehrte. Auch die folgenden Tage gestaltete man ihnen so angenehm wie möglich. Dann wurde es ernst. Der Kommandant befahl sie, wie auch alle anderen, die eine besonders wichtige Order außerhalb der Basis zu erfüllen hatten, zur Meditation in die „Krypta“.
Sie verließen die bewohnten Bereiche der gigantischen Basis unter dem kontinentalen Eis. Die Einschienenhängebahn glitt mit ihnen rasch und geräuschlos durch leere, endlose Gänge und Tunnel, deren Decken gerundet waren und an deren Wänden sich nur hin und wieder techn. Wartungstüren zeigten. Dann glitt die Gondel direkt ins Eis des uralten Kontinents. Eine Art wehende Kälte machte sich breit, aber da war auch schon das Ende der Fahrt erreicht. Sie stiegen aus und standen in der absoluten Stille der Blauen Grotte. Überall schimmerten hier die unvorstellbar dicken Eisschichten wie ein einziger blauer Brillant. Der kristallklare Boden führte in einen langen, weiten Tunnel hinein. Mächtige Eissäulen strebten links und rechts hinauf zu glitzernden, romanisch-schlicht geschnittenen Kuppelgewölben des geradezu märchenhaft gestalteten Weges, dessen Ende sich schließlich nochmals zu einer Art Balustrade erweiterte. Hier waren wenige Sitzgelegenheiten dezent drapiert. Doch sitzend war hier noch niemand gesehen worden. Man trat ein paar Schritte auf eine niedrige, balkonartige Erweiterung und erstarrte. Dies jedoch nicht vor Kälte. Das, was sich hier bot, ließ auch härteste Gemüter in Ehrfurcht stillhalten. Mit Betreten des Erkers verlosch allmählich das Licht im Hintergrund der ewigen Eisschichten. Das strahlende, glänzende Blau ging in ein graues Leuchten über. Dafür erglänzte vor den Augen der Besucher ein unwirkliche, gigantische Eiskrypta, die anscheinend schwerelos in einem Raum dunkler, unbekannter Größe schwebte ...
Eingebettet in einen eisigen Sarkophag, umgeben von nordischen Symbolen, lag hier kein anderer, als der tote Führer des Dritten Reiches.
Aufgebahrt für alle Zeiten und Ewigkeiten, die diesem Planten noch bevorstehen mochten; tief unten in den blauen Kristallgründen des ehemaligen atlantischen Kontinentes. Dunkle Orgelmusik drang schwer aus unsichtbaren Sphären herauf und verlieh dem Schauspiel den entsprechenden akustischen Hintergrund. Wie im Trance verharrten dann die Besucher der einzigartigen Kultstätte. Vor ihren Augen zogen lange Minuten die phantastischsten Bilder und Visionen dahin, von denen sie später nicht mehr zu sagen wußten, woher sie in ihre Hirne drangen und was sie bewirkten ...
Als die letzten sphärenhaften Orgeltöne verklangen und das indirekte Licht im Zugangstunnel wieder auf aufglomm, schüttelten die beiden Männer ihre Benommenheit ab, schauten nochmals auf die sich jetzt verdunkelnde mystische Erscheinung und machten sich auf den Rückweg. Nun waren sie eingestimmt auf ihr Unternehmen, das sie Tausende Kilometer von ihrer neuen, sicheren Heimat wegführen sollte und dessen Ausgang einzig in ihren Händen lag. Wenige Tage später gingen sie im unterseeischen Hafen der Basis an Bord eines der leistungsstärksten Fern-U-Boote. Das graue Schiff zog nach dem Ablegen noch ein Stück in den schmalen Eiskanal hinein, tauchte ab und nahm in der Tiefe Fahrt auf. Die Crew steuerte es in die von der Natur geschaffene Warmwassertrasse, die vor über über 20 Jahren erste Versorgungsschiffe zufällig entdeckten. Mit nördlichem Kurs zog das Boot durch eine untermeerische kontinentale Spalte, in der immer eine leichte warme Strömung herrschte. Dieser natürliche Riss im Kontinent war in diesem Bereich etwa 500 Meter breit. Ab und an verengte er sich, erweiterte er sich dann aber unvermittelt zu vielen Kilometer langen höhlenartigen Grotten und eisigen Domen. Doch auch diese blieben von oben unentdeckt, denn der offensichtlich tektonische Riß zog sich zur Oberfläche des Kontinents hin wieder zusammen, wo dann die gewaltigen südpolaren Eisdecken folgten und alles sicher bedeckten. Einen idealeren Schlupfwinkel hätte man nicht finden können.
An Bord des hochtechnisierten U-Bootes genossen Seidel und Hase zumindest den Luxus, jeweils eine Ein-Mann-Kabine bewohnen zu können. Die Reise dauerte ja, trotz der erstaunlichen Geschwin-digkeit des Unterwasserfahrzeuges, ihre Zeit.
Die Schatzsucher
Golzew und sein Kumpan Martyn saßen im Anbau eines unauffälligen, fast baufälligen Schuppens zusammen. Im schummrigen Licht einer Petroleumlampe lagen Karten und verschiedene Skizzen ausgebreitet vor ihnen auf dem rohen Holztischchen. An den Wänden stapelten sich in windschiefen Regalen verschiedene Gegenstände, die sie bei ihren heimlichen Touren in die versprengten deutschen Anlagen schon gefunden und mitgebracht hatten. Neben wenig brauchbarem Werkzeug lagen da auch verschieden Waffen und einige desolate Munitionskisten. Diese enthielten aber mehr Ramsch, als wie scharfe Patronen oder ähnliche Dinge. Gerade schlug Martyn mit der Faust auf den Tisch, daß die halbgefüllten Wodkagläser gefährlich wackelten.
„Wir müssen endlich den Stollen mit den Fahrzeugen finden, du Idiot. Was nützt es, in den Gängen weiter irgendwelchen wertlosen Mist zusammenzulesen. Eines Tages fällt uns der ganze Kram überm Schädel zusammen und wir haben gar nichts davon!“
„Gib endlich Ruhe!“ konterte Golzew. „Ich weiß selbst, wo der Hase im Pfeffer liegt. Wir müssen eben noch etwas Geduld haben und uns diesen Abschnitt hier“, er deutete mit dem schmutzigen Zeigefinger auf die fleckige Karte, „näher ansehen.“
„Wer sagt dir überhaupt, daß dieses Ding echt ist“, maulte daraufhin sein Gegenüber.
„Nun mach aber mal einen Punkt. Die Karte habe ich selbst gestibitzt, als die sich aus den Bergen verpißten. Wer soll den da was gefälscht haben? Da war doch gar keine Zeit zu so was.“
Die Männer, beide etwas über 50 Jahre alt, schmächtig gebaut und in schmuddelige Bauernkleidung gehüllt, legten keinen gesteigerten Wert auf Äußerlichkeiten. Sie stammten aus den armen Dörfern am Gebirgsrand und kannten seit ihrer Kindheit nur schwere Arbeit und dann den Militärdienst. Mit Mühe konnten sie die Beschriftungen auf den Karten entziffern. Ihre spärlichen Deutschkenntnisse hatten sie sich bei der Zwangsarbeit erworben. Wer schnell verstand, überlebte da in der Regel eher.
„Wir haben bald die ganzen begehbaren Tunnel und zugesprengten Stollen soweit untersucht, wie es möglich war. Und gefunden haben wir da nur wertlosen Müll“, Golzew deutet mißmutig in das Regal hinter ihnen.
„Der Tunnel mit den Fahrzeugen muß in diesem Bereich liegen. Und da waren wir noch nicht.“ Martyns Finger wiesen auf die dichten Linien einer Bergwand. Die Karte zeigte hier auch den Verlauf einer Waldstraße. „Die Stollen im Berg werden doch irgendeine Verbindung dahin haben. Und wenn es nur ein einziger Gang ist. Anders kann ich es mir nicht vorstellen. Schließlich war alles miteinander verbunden. Wir müssen vom Einstieg zielgerichtet in dieses Gebiet vordringen und dürfen nicht wahllos in den bekannten Gängen umhertappen, wie bisher. Und gleich morgen geht‘s noch mal los!“ Mit Nachdruck setzte Martyn die flache Hand auf den Kartenbereich, wo sich seiner Meinung nach der geheimnisvolle Stollen verbarg.
„Wenn du mich fragst, ich glaube bald immer mehr, der wichtigste Bereich der Anlage, ihr Herzstück sozusagen, liegt weiter unbeschadet im Gebirge“, sinnierte nun Golzew. „Die angefangenen und zugesprengten Stollen und das ganze