Das Erbe. Wolfgang Ziegler

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Das Erbe - Wolfgang Ziegler


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ertastete er ein verwinkeltes System niedriger Gänge. Es war eine stinkende Masse aus Wasser, halb Schlamm, in der er kroch. Sein Schädel schmerzte wahnsinnig. Mit ihm war er beim Absturz sehr heftig gegen die recht harte Wand geprallt. Nun wurde ihm auch noch übel. Alles drehte sich. Was war nur mit Martyn geschehen? Doch schon diesen einfachen Gedanken konnte er nicht beenden. Mit einer Welle Dunkelheit brach die Bewußtlosigkeit gnädig über ihn herein.

      Fluchend nahm Hase den Vorfall zur Kenntnis. In der Sekunde, wo er das nächste Geschoß auf den zweiten Mann abfeuerte verschwand dieser mit einem Aufschrei geradewegs im Boden! Damit konnte niemand rechnen. Rasch lief er zu dem von ihm Getroffenen. Der wenigstens lag reglos am Boden. Der Pfeil steckte in einer leicht blutenden Wunde in seinem Rücken. Das Opfer würde sich für die nächsten 24 Stunden nicht mehr bewegen. Aber wo war der andere hin? Der blieb indes wie vom Erdboden verschluckt. Sollte dieser in irgendeinen Spalt am Boden gekrochen sein? Des Rätsels Lösung fand Hase schließlich nach wenigen Schritten in Form eines dunklen Wasserschachtes, durch dessen maroden Deckel sein zweites Opfer gebrochen war.

      Doch direkt unter dem nicht sehr tiefen Loch war niemand. Hase fluchte abermals leise vor sich hin. Wenn ihm der Typ entkommen war! Das könnte eine Katastrophe für das ganze Unternehmen bedeuten! In dem Moment kam Seidel aus ihrem Versteck. Geduckt lief er den Hang hinab, überquerte vorsichtig das Gelände und erreichte den unglücklichen Schützen nur wenige Minuten nach dem Vorfall.

      „Ich habe es gesehen. Wo steckt der Kerl?“ fragte Seidel aufgeregt. Hase deutete in das Loch. „Er ist da hinabgestürzt. Ausgerechnet genau in dem Moment, wo ich schoß. Ich kann aber von ihm nichts sehen. Er muß da unten irgendwo weggekrochen sein.“ Mit einer von Seidel geistesgegenwärtig mitgebrachten Lampe leuchteten sie die Kanalisation aus. Als auch so nichts sichtbar wurde, nahm Hase die Lampe und stieg selbst hinunter. Im Lichtkegel erkannte er schließlich am Ende des niedrigen Ganges so etwas wie einen Schuh. „Ich glaube, ich habe ihn“, tönte es dumpf zu Seidel nach oben. „Dann wirf eine Granate! Wir können nichts riskieren, der muß weg“, kam die Antwort von der Erdoberfläche. Mit einem lauten Platschen schlug der kleine Sprengkörper Momente später am Ende des niedrigen Tunnels in den Schlamm. Dort, glaubte Seidel, mußte der zusammengebrochene Mann liegen. Nach dem Wurf hechtete er schnell aus dem Kanalisationsloch, aus dem Sekunden später ein starker Explosionsknall drang. Dreckspritzer flogen den beiden Männern um die Ohren, eine bläuliche Rauchwolke verzog sich - dann war es wieder still auf dem Platz inmitten der Wälder.

      „Ich glaube, wir können den Deckel jetzt schließen“, ließ sich Hase mißmutig vernehmen. Den anderen Mann durchsuchten und knebelten sie und legten ihm schließlich eine mit Zeitschaltuhr versehene stählerne Handfessel an, die ihn an stabile Metallverstrebungen im Inneren eines der verfallenen Schuppen fesselte. Erst nach eingestellten 48 Stunden würde sich die Fessel aktivieren und von alleine wieder öffnen. Bis dahin mußte sich der Gefesselte gedulden. Unruhig eilten sie zurück in ihr Biwak. Dort fanden sie jedoch alles in Ordnung und unverändert vor.

       Am Ziel ...

      Mit klopfendem Herz stieg Wolf langsam das letzte Stück der Betontrepppe hinab. Eine dunkle Türöffnung zeigte sich. Im Schein seiner Lampe tauchte ein dahinter liegender Tunnel. Vorsichtig betrat er ihn. In der einen Hand die Waffe und in der anderen den Handscheinwerfer stellte er jedoch fest, daß auch hier vorerst keine Gefahr drohte. Der Tunnel war nicht sehr breit, ein schmaler Schienenstrang führte in ihm entlang, der in beiden Richtungen sich in der Dunkelheit verlor. Ein paar Meter entfernt war so etwas wie ein schmaler Bahnsteig. Dort stand einladend und anscheinend fahrbereit eine Draisine. Der Fahrthebel des Gefährts war provisorisch in einer Richtung blockiert. Sollte dies dem Nutzer verdeutlichen, er möge sich damit nur die freie Richtung fortbewegen? Langsam ließ Wolf sich auf die schmale Sitzbank gleiten. Ganz leicht bewegte sich die Draisine, als er den Hebel nach vorn schob. Er freute sich, nun so bequem voranzukommen. Das Klopfen der Räder auf den Schienen war das einzige Geräusch, das ihn auf seiner Fahrt in die Dunkelheit des scheinbar endlos langen Tunnels begleitete. Er konnte nicht viel erkennen. Nur in größeren Abständen leuchteten trübe Elektrolampen in massiven Glas-gehäusen etwas von den Tunnelwänden und dem schmalen Gleiskörper aus. Ab und an glaubte er dunkle Seitenstollen zu erkennen, war sich aber nachher nicht mehr ganz sicher. Aufmerksam registrierte er, daß die Bahn nicht nur gradlinig ins Gebirge rollte. Es gab unterwegs mehrfach langgezogene Kurvenabschnitte. Als etwa fünf Minuten der etwas unheimlichen Fahrt vergangen waren, wurde die Draisine von alleine deutlich langsamer. Es ging in einen wieder etwas breiteren Tunnelabschnitt, in dem beim Hineinrollen plötzlich eine Reihe Glühlampen aufflammten, die wohl über einen Schienenkontakt angesprochen wurden. Auch hier befand sich wieder ein kleiner Bahnhof, wie ihn Wolf nun schon von seiner Abfahrtsstelle her kannte. Ohne sein Zutun hielt die Draisine direkt an dem schmalen, betonierten Bahnsteig. Es herrschte gespenstische Stille, die nur von irgendwo unsichtbar fallenden Wassertropfen unterbrochen wurde.

      Die Metalltür in der nahen Wand, war nicht zu übersehen. Sonst zeigte sich auch kein anderer Weg vom leeren Bahnsteig her. Neben der stabilen Stahltür hing eine Konsole mit zahlreichen Druckknöpfen an der rauhen Betonoberfläche. Die mit den Zahlen von eins bis zehn beschrifteten Knöpfe wurden durch ein darüber angebrachtes schmales Blech wohl vor herabtropfendem Wasser geschützt. Die Tür selbst hatte nur einen massiven Handgriff. Keine Klinke, kein Stellrad. Und sie war zu!

      „Das ist ja eine schöne Bescherung“, murmelte Wolf vor sich hin. Was sollte das? Wie kam er hier weiter? Zweifellos mußte hier ein Zahlencode eingegeben werden. Und was passierte, wenn er falsche Zahlen eingab? Wo hatte er nur Zahlen gesehen? Er stellte den Rucksack ab und zog vorsichtig den Plan heraus. Mit der Taschenlampe leuchtete er das Papier ab und versuchte die Stelle auf der Zeichnung zu finden, an der er sich jetzt befand. Ja, da war der gewundene Fahrstollen. Selbst die Haltepunkte waren angegeben. Dieser hier trug die Zahl 4.

      Sie stand, wie auch überdeutlich auf der Karte seines Vaters, ebenfalls an der Wand über dem Bahnsteig mit weißer Farbe exakt als römische Ziffer angezeichnet. Somit konnte er sich wenigstens sicher sein, am richtigen Ort zu weilen, da er diesen mittels Kartenvergleich genau identifizieren konnte. Das war ja schon etwas. Er versuchte es also einfach mit der Ziffer 4. Nach dreimaliger Eingabe löste sich tatsächlich etwas klickend in dem hinter dicken Stahlplatten verborgenen Türmechanismus. Wolf atmete auf. Sein alter Herr hatte aber auch eine Gabe, ihm Rätsel aufzugeben.

      Mit einem leicht schürfenden Geräusch öffnete sich die Tür. Dahinter zeigte sich nun ein kleiner, schmaler Gang, in dem zuckend Lichter angingen. An seinem Ende befand sich wiederum ein Schott. Dieses hatte allerdings ein Drehrad und zwei Handhebel. Als Wolf auch diese Tür geöffnet hatte, stand er kurz darauf in einem großen Raum, dessen Einrichtungen an die moderner Labors chemischer Fabriken erinnerten. Überall standen Apparaturen, Anlagen, Meßgeräte, zahlreiche Gerätschaften für chemikalische Unter-suchungen und weitere technische Einrichtungen, zu denen er sich auf die Schnelle keinen Reim machen konnte. Seitab lag ein verglaster, kontorähnlicher Raum. In ihm war offensichtlich das Büro untergebracht. Schreibtische, Aktenschränke und andere Einrichtungsgegenstände wiesen darauf hin.

      An der geriffelten Glastür war ein Name zu lesen: „Ebeland“. Er war schnell und eilig mit schwarzer Farbe hingemalt worden. Doch selbst in diesem kurzen Schriftzug erkannte er die Handschrift seines Vaters. Er trat ein. Vom Schreibtisch glänzte ihn ein dicker, blanker Messingschlüssel an. Nun brauchte er nur noch das entsprechende Schloß zu suchen, das dieser Schlüssel öffnen würde.

      Der Safe war ganz schlicht hinter einem großen Kalender verborgen, der das Frühjahr 1945 datierte. In seinen beiden Fächern lagen verschiedene Gegenstände. Hervorstechend darunter ein kleiner Stahlblechbehälter von signalroter Farbe. Weiterhin Aktenordner, die mit zahlreichen abgehefteten Papierseiten dicht gefüllt waren und die rote Markierungen trugen. Außerdem lag noch ein versiegelter Umschlag dabei. Auch er hatte ein Signum mit roter Farbe. Neben diesen Gegenständen lagen in den beiden Stahlfächern nur noch eine Pistole o8 mit zugehöriger Munition, Waffenreinigungsgerät und eine für damalige Verhältnisse hochmoderne, mit großen, fast viereckig geformten Augengläsern versehene Gasmaske.

      „Wenn Du das hier findest, war es mir nicht mehr möglich, an diesen Ort zurück zu kommen. Dann


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