Das Erbe. Wolfgang Ziegler

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Das Erbe - Wolfgang Ziegler


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Männer aus dem so unendlich fernen Eiskontinent würden die Flugscheibe abholen. Ihm oblag es nur noch, die wichtigen Materialien zur Mitnahme bereitzustellen, die Gebirgsbasis vollends zu sichern und stillzulegen oder aber für ihre vollständige Vernichtung zu sorgen... Die entsprechenden Befehle würden ihm aus dem exotisch-fernen Hauptquartier mitgebracht.

      Noch einmal schaute er sich in der hohen Grotte um. Die Lampen auf dem stählernen Rundgang, der in Höhe des oberen Drittels der Flugscheibe wie eine Galerie um die kuppelförmige Felsenhalle führte, brannten gleichmäßig und warfen ihr gelbsamtiges Licht fast schattenlos auf den gewaltigen Schiffsleib. Da alles so erschien wie es sein sollte, sah er keinen Anlaß, noch länger hier zu verweilen. Dr. Hahnfeld machte sich auf den Rückweg in die Zentrale. Während er sich dem Aufzug wieder näherte kam ihm jedoch der Gedanke, auch nochmals einen Blick in den Stollen zu werfen, der seit Kriegsende einen riesigen LKW-Konvoi barg. Was diese ominöse Fahrzeu-gkolonne alles im Einzelnen als Ladung hatte, dies wußte er selbst nicht genau. Er hatte bei seinen seltenen Kontrollen in diesem Bereich nie die Planen zurückgeschlagen, geschweige die Ladung näher untersucht. Bekannt waren ihm nur die Nummern von zwei Fahrzeugen und deren genauer Platz in der Kolonne, so daß sie ohne große Sucherei auffindbar wären. Diese beiden Laster bargen Gut, das bei der Evakuierung der Basis unbedingt mitgeführt werden mußte.

      Er fuhr nun mit dem Fahrstuhl zu einer tieferen Ebene hinab. Der Stollen mit den Fahrzeugen lag etwa in halber Bergeshöhe, aber nicht unter dem Gipfel, der den Hangar mit der Flugscheibe barg. Somit mußte er nochmals eine der zahlreichen unterirdischen Kleinbahn-strecken benutzen, um schnell in den entfernten Ostteil der Basis zu gelangen. Überirdisch befand sich dort ein weiterer dunkelwaldiger Gipfel des Eulengebirges, der in seiner Tiefe ein mehretagiges Labyrinth von Tunnels und Hallen barg, die mit den anderen Systemen verbunden waren. Die deren äußere Zugänge waren alle gesprengt und das Gelände so getarnt worden, daß Außenstehende keine Chance bekamen, auch nur die Andeutung verborgener Anlagen aufzuspüren. So hatten Spezialkommandos auf die eingesprengten Stollenmundlöcher rigoros schon kräftig ausgebildete Bäume gepflanzt. Weiter wurde angeschütteter Mutterboden mit in Thüringen speziell gezüchteten gefährlichen Dornenhecken, wildwachsenden Unkräutern und reichlich Grassamen versetzt ausgebracht. Das wucherte innerhalb des Frühjahrs/Sommers 1945 auch tatsächlich alles sehr schön zu, wie er sich selbst hatte überzeugen können.

      Nach einer etwa 15 Minuten währenden Fahrt erreichte der einsame Mann ohne Zwischenfall den Fahrzeugstollen. Die unliebsamen Roboterwesen aus dem Labortrakt schienen bislang keine weiteren Aktivitäten zu entwickeln. Wieder hatte er die Elektrodraisinenbahn benutzt, deren zentraler Knotenpunkt sich in der Nähe seiner Zentrale befand. Von diesem konnten die kleinen, nicht allzu schweren Schienenfahrzeuge sogar auf die Gleisanlagen der verschiedenen Ebenen gefördert werden.

      Im Fahrzeugtunnel angelangt, wie er diesen recht langen Stollen für sich nannte, stellte sich alles unverändert dar. Die schier unendliche Reihe der tarnfarbenen Lastwagen hob sich mit ihren massigen, dunklen Umrissen kaum von der rechten Felswand ab, an deren Seite sie sorgsam geparkt waren. Unheimlich glänzten die dunklen Scheiben der verlassenen Führer-häuser im Schein seines starken Handscheinwerfers. Das Ende der Fahrzeugkolonne verschwand in der Dunkelheit des Stollens, in den ihre Fahrer sie vor Jahren direkt hineinlenkten. Die LKW-Fahrer hatten kurz darauf die Basis über einen ganz anderen Ausgang wieder verlassen. Da der geheime Transport zudem kurzfristig nachts stattfand, hatten sie nicht die mindeste Orientierung bekommen, in welchem Abschnitt des wilden Gebirges sie sich überhaupt befanden. Und noch in jener Nacht verschloß ein Trupp die Stolleneinfahrt in bewährter Weise wieder unauffindbar.

      Hahnfeld konnte mit der Draisine in diesen Tunnel direkt hineinfahren. Alles war so angelegt, daß das kleine Schienenfahrzeug auf seinem Gleis parallel neben der abgestellten Reihe von Fahrzeugen bis zu ihrem Ende entlangrollen konnte. Der Tunnel war entsprechend breit ausgelegt und die sinnreiche Gleisanlage bis hierhin gezogen. Das vereinfachte natürlich auch die Kontrolle des Stollens und seines Inhalts sehr. Eine Übernahme von Ladung auf das interne Schienensystem der Basis war so natürlich ebenfalls bestens gewährleistet. Immerhin gab es auch spezielle Trans-portdraisinen, die schwere Lasten befördern konnten. Sie standen ebenfalls auf dem Knotenpunkt des Kleinbahnsystems bereit. Hahnfeld überzeugte sich, daß auch die beiden speziellen Lastwagen unversehrt waren. Ihre Planen zeigten sich gut verplombt und, wie nicht anders zu erwarten, unangetastet. Nach dem notwendigen Halt, beim letzten zu kontrollierenden Lkw legte er schließlich den Fahrschalter seines Vehikels um und trat die Rückfahrt an. Wieder am Ausgangsbahnhof angekommen warf er die mitgeführten Waf-fen schnell in einen dort befindlichen Stahlschrank und begab sich zurück zum Fahrstuhl, der ihn wieder auf die Ebene der Zentrale bringen würde.

       Kennwort Thor

      Es war soweit. Sie mußten nun hinein. Das kleine Biwak in der grasigen Mulde am Berghang wurde schnell und lautlos abgebrochen. Alles sah wieder so aus, wie sie es angetroffen hatten. Auch das schärfste Auge hätte kaum eine Spur von dem kleinen Lager gefunden.

      „Hier begegnen sich eh‘ nur Fuchs und Eule, sollte man denken“, brummte Seidel vor sich hin. „Wenn da nicht diese beiden Idioten aufgetaucht wären.“

      „Sicher nur harmlose Polen“, meinte Hase, „die glauben, hier noch was Brauchbares finden zu können. Aber die können einem schon ganz schön die Tour vermasseln. Nun gut, jetzt sind sie unschädlich. Und nach ihrem Auftauchen hat sich ja nichts wieder getan.“

      Die beiden Männer schulterten ihre schweren Rucksäcke und begaben sich, vorsichtig durch das dichte Grün des steilen Hanges pirschend, hinab zu dem verwaisten Lager- und Umschlagplatz. Eilig schritten sie hier auf das desolate Garagentor zu. Während Seidel es öffnete, sicherte Hase ihn. Man konnte ja nie wissen. Gerade jetzt durfte es zu keinem weiteren Zwischenfall kommen. Doch alles blieb ruhig. Die beiden Männer verschwanden in dem düsteren Raum, schalteten Handlampen an und zogen das Tor hinter sich wieder sorgfältig zu. Während Hase ihr Gepäck im Auto verstaute, machte sich sein Partner daran, den verborgenen Mechanismus in Gang zu setzen, der ihnen Einlaß in die unterirdischen Refugien der Basis geben würde. Mit einem surrenden Geräusch öffnete sich tatsächlich die Rückwand des überaus schmutzigen und verwahrlost wirkenden Garagen-raumes. Es zeigte sich eine Fläche, die gerade Platz genug für den Kraftwagen bot. Mit gedrosseltem Motor rollten sie hinein. Dicht neben der Fahrertür war ein Hebel an der Wand angebracht. Ein aufgemalter Pfeil daneben wies nach unten. Hase öffnete das Fahrerfenster, zog an ihm und schon begann ihre Fahrt in die Tiefe. Sie dauerte nicht lange. Nach etwa acht Sekunden des lautlosen Sinkens hielt der Aufzug mit einem scharfen Ruck. Die aufgeblendeten Scheinwerfer des Autos leuchteten eine kleine, leere Halle aus. Sie brauchten nur geradewegs in sie einzufahren. Am Boden befanden sich große weiße Markierungslinien, die pfeilartig einen Weg wiesen. Dieser führte aus der Halle in einen Tunnel Richtung Bergesinneres, in dem bequem auch ein kleiner Lkw hätte fahren können. So rollten sie los. Während Seidel fuhr, nahm sein Begleiter eine Art kleines Funkgerät zur Hand und untersuchte es. Zufrieden nickend legte er es schließlich wieder auf die Ablage zurück. Der Wagen fuhr langsam in die Tiefe des unterirdischen Systems hinein.

      „Wir müssen wieder in einer kleineren Halle ankommen“, sagte Seidel leise und schaute auf einen kleinen Faltplan, der vor ihm auf dem Schoß lag. Die Scheinwerfer des Autos entrissen der Dunkelheit vorerst jedoch nur gerade, weiterführende Tunnelwände. Vorsichtig steuerte Hase den Wagen in der Mitte der unterirdischen Trasse entlang. „Wir werden schon richtig ankommen“, murmelte er. Der Plan ist jedenfalls genau. Die geben uns ja keinen Scheiß mit. Die Sache ist zu wichtig, und unsere Anreise war auch nicht gerade ein Pappenstiel.“

      Als hätten seine Worte einen unbekannten Gönner gefunden, tauchte im Scheinwerferlicht eine Tunnelerweiterung auf, die sich als die gesuchte Halle erwies. Sie stoppten das Fahrzeug und sahen sich durch alle Fenster genau um. Doch offenkundig waren sie allein. Der große Raum lag dunkel und ruhig da. An den grauen Betonwänden zogen sich zahllose Leitungskabel und Rohre entlang. Wasser tropfte irgendwo zu Boden, ansonsten herrschte absolute Stille, nachdem der Automotor verstummt war. Sich dennoch mit den Waffen gegenseitig sichernd verließen die beiden Männer das Fahrzeug. „Hier muß es sein“, flüsterte Hase und wies auf eine Nische, in der eine metallische Halterung angebracht war.


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