Das Erbe. Wolfgang Ziegler
Читать онлайн книгу.„Sie werden das Ding ja bald auch im Flug erleben, Kommandant“, unterbrach ihn Hase. „Wir haben zuvor allerdings eine Menge zu tun“, sagte er, stand auf und klopfte seinem Gastgeber kameradschaftlich auf die Schulter. „Hier ist aber erstmal eine kleine Überraschung für Sie.“ Mit diesen Worten zog er lächelnd einen braunen Papierumschlag hervor und reichte ihn Hahnfeld. „Unser beider herzlicher Glückwunsch gleich mit dazu.“
Hahnfeld hob die Augenbrauen und öffnete das Kuvert mit fragendem Blick. Es enthielt nichts anderes, als seine Beförderung zum nächsthöheren Dienstgrad. Der Chef der so unendlich fernen Eisbasis hatte noch ein paar persönliche Zeilen angefügt, worin er mitteilte, sich zu freuen, seinen Kameraden bald persönlich kennenzulernen.
Der Beförderte zeigte sich nun sichtlich gerührt. „Nein, daß ich dies noch erlebe. Meine Herren, ich danke Ihnen. Sie haben mir eine sehr große Freude bereitet. Hat man uns in der Heimat doch nicht vergessen. Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll.“
„Sie haben es sich mehr als verdient. Mehr als viele andere“, antwortete Hase. „Schließlich haben Sie zuletzt ganz allein hier die Stellung gehalten und sehr Wichtiges gut und zuverlässig bewacht. Das wird sicher nicht immer ganz einfach gewesen sein.“
„Nun, genug davon“, der frisch beförderte Oberstleutnant zeigte sich wieder energisch und war ganz der Alte. „Wie lautet Ihre Order, meine Herren?“
„Wir müßten als erstes die Flugscheibe und den Startraum überprüfen. Dann wäre die Ladung zu sichten und zum Aggregat zu schaffen. Die Verladung des Gutes nimmt auch einige Zeit in Anspruch. Wir haben hier genaue Listen, was alles mitgenommen wird. Die Basis selbst bleibt bestehen. Es wird in bestimmten Zeiträumen einen Besuch geben, der die technische Unversehrtheit und Sicherheit der Anlage überprüft. Immerhin läuft hier ja auch alles über einen Atommeiler“, informierte Seidel in kurzen Worten. „Sie sollen übrigens die gesamten technischen Unterlagen zur Basis mitnehmen. Es darf nichts davon hier bleiben. Und dann muß vor unserem Abflug noch die Funkfernzündung für den Reaktor aktiviert werden. Nur für alle Fälle. Wir sind dann in der Lage, die Vernichtung der Basis sogar bei einem sehr hohen Überflug zu aktivieren, so jedenfalls die Anweisung.“
„Da bin ich ja vorerst beruhigt“, atmete Hahnfeld auf. „Ich dachte schon, es würde alles zum Teufel ...“
„Nein, nein“, unterbrach Hase ihn. „Die Anlage ist noch immer zu wertvoll, um sie zu opfern“, entschied man im Stützpunkt. „Und das hier sind wichtige Papiere, in denen alles genau aufgelistet ist, was wir an Bord von ‘Thor‘ bringen müssen“, fuhr Hase weiter fort und zog dabei einen kleinen Schnellhefter unter seiner Wetterjacke hervor. „Es sind wirklich sehr wichtige Dinge, Herr Oberstleutnant. Und Sie müßten darüber unterrichtet sein und vor allem Bescheid wissen, wo das Material in der Basis genau lagert.“
„So ist es“, bestätigte der Angesprochene. „Ich weiß, was Sie meinen, nehme ich jedenfalls an. Wir haben einen ganzen LKW-Konvoi im Berg. Zwei Fahrzeuge davon enthalten Ladung, die für die Basis 211 bestimmt ist.“
„Völlig richtig. Die Dinge gehen alle mit.“ Hase steckte sich eine Zigarette an und blies den Rauch genießerisch über das Kontrollpult. Dann stellte er Hahnfeld eine Frage, die ihn schon lange beschäftigte. „Wie haben Sie es eigentlich die ganze Zeit hier so allein ausgehalten, die ganze Zeit so alleine?“
„Nun, erstens hatte ich meine Befehle, - zweitens meldete ich mich ja freiwillig. Und drittens waren wir ja am Anfang noch ein paar Leute mehr hier im Berg. Das hat sich aber leider alles etwas verloren. Sie verstehen. Die Einsätze draußen kosteten Opfer. Und viele kamen wohl dann auch einfach nicht mehr zurück.“
„Verluste, Deserteure ...?“ Seidel schaute nun seinerseits den Gastgeber fragend an.
„Das kann ich Ihnen alles nicht mit letzter Sicherheit beantworten. Die Jungs gingen, kämpften draußen noch, kamen zurück. Doch es gab leider eine Menge Verluste. Und es waren ja auch nicht viele. Jedenfalls wurden es immer weniger. Den Auftrag, das ganze Gebiet unwirtlich zu machen, haben sie jedenfalls erfüllt. Bis heute wagt sich kaum jemand mehr in die Gegend. Eines Tages war ich dann aber allein, und die unterirdischen Kasernen stehen nun schon lange Zeit leer. Von draußen kam niemand mehr zurück. Was da alles im einzelnen geschehen ist - ich weiß es nicht. Ich mußte ja in der Anlage bleiben. Nur eins kann ich versichern: Verrat wurde nicht begangen.“
„Sie sollen noch einen V- Mann haben?“ fragte Hase weiter. „Ist der in Ordnung?“
„Das ist kein Thema“ erwiderte Hahnfeld. „Auf ihn ist absolut Verlaß. Er war die ganze Zeit mein Draht zur Außenwelt.“
„Dann ist es ja gut. Er soll aber hier vor Ort bleiben. An seinem Wohnsitz, versteht sich. Den würden wir auch kaum mitnehmen können. Der Mann ist mit dieser Gegend regelrecht verwurzelt und kann hier sicher noch bessere Dienste leisten, als anderswo.“
„Aber Sie freuen sich doch hoffentlich, sich mal wieder Wind um die Ohren wehen zu lassen? lachte Seidel.
„Das will ich wohl meinen. Es ist aber doch ein etwas eigenartiges Gefühl für mich, einfach alles verlassen zu müssen. Immerhin brachte ich einige Zeit hier zu“, Hahnfelds Stimme nahm einen nachdenklichen Klang an. „Aber ich bin ein schlechter Gastgeber“, setzte er gleich darauf energisch hinzu. „Nun will ich Sie erstmal bewirten. Entschuldigen Sie, aber das ist mir in der Situation doch glatt entgangen. Sicherlich wird ein starker Kaffee und ein guter Weinbrand nicht ausgeschlagen. Da will ich doch gleich mal in die Küche schauen, was ich da zu bieten habe.“
„Danke, sehr gerne. Aber lassen Sie sich Zeit. Wir müssen erst noch mal an unser Fahrzeug und einige Sachen holen“, rief Seidel dem Davoneilenden nach.
„Dann muß ich die Schleusen wieder entsichern, sonst kommen Sie nicht in die Halle“, sagte Hahnfeld, wobei er wieder umdrehte und zurück zum Pult ging, um dort einige Schalter zu betätigen. Während seine beiden Besucher in Richtung des nun wieder passierbaren Personentunnels liefen, machte er sich nochmals am Kontrollpult zu schaffen, bevor er endgültig in Richtung der Wirtschaftsräume verschwand.
Hase und Seidel holten ihre persönliche Ausrüstung aus dem Auto in der Halle. Bald danach saßen alle drei Männer in gemütlicher Runde im kleinen Aufenthaltsraum neben dem Küchentrakt. Die Tür zum zentralen Steuerraum blieb geöffnet, so daß Hahnfeld keine der optischen oder akustischen Anzeigen entgehen konnte.
Die Unterhaltung bei dem ausgiebigen Imbiß, der Gastgeber hatte alles aufgetafelt, was sein Magazin an guten Vorräten hergab, drehte sich um die bevorstehenden Aufgaben.
„Zuerst, wie gesagt, überprüfen wir ‚Thor‘“, erläuterte Seidel. „Dann müssen wir unverzüglich das Material aus den beiden Kraftwagen in die Halle zur Flugscheibe schaffen. Die Ladearbeiten dort nehmen ja dann auch einige Zeit in Anspruch. Es muß nämlich alles sehr sicher und sorgfältig verstaut werden, damit beim Flug keine Probleme auftreten. Und Sie können inzwischen ihre Sicherungsarbeiten durchführen, sagte er zu Hahnfeld gewandt.“
Die Männer saßen noch fast zwei Stunden zusammen. Anschließend begab man sich gemeinsam in den Flughangar unter der Bergkuppe. Seidel und Hase überprüften dort alle Funktionen von ‚Thor‘. Nachdem sie über die von Hahnfeld ausgefahrene Metallbrücke das schräge Rund der Scheibe betreten hatten, öffneten sie mit einem Spezialschlüssel das Mannluk und verschwanden in ihrem oberen Aufbau. Im Steuerraum angekommen, machten sie es sich in den mit schwarzem Leder bezogenen Pilotensitzen bequem und brachten, nach gründlicher Funktionsprüfung, die Flugscheibe versuchsweise sogar kurz zu einem leichten Schwebeflug in der geräumigen Halle, wobei ‚Thor‘ etwa zehn Meter hoch von seinem Sockel abhob.
Sichtlich zufrieden verließen sie nach einer halben Stunde das Gerät wieder. Hahnfeld, der draußen in der Halle geblieben war, hatte mit Bewunderung den für ihn recht eindrucksvollen Test verfolgt.
„Hervorragend, meine Herren, einfach hervorragend“, er klatschte begeistert in die Hände. „Ich sehe, es funktioniert alles?“
„Ja, es ist alles bestens.“ Seidel rieb sich