Zu Vermieten. John Galsworthy

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Zu Vermieten - John Galsworthy


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und er nahm die Täfelung unter die Lupe. Er war sich nicht sicher, ob sich ein Anstrich bei Timothys Alter noch lohnte. Das war immer das modernste Zimmer im Haus gewesen, und nur ein schwaches Lächeln verzog Soames’ Lippen und Nasenflügel. Die Wände über der Eichentäfelung waren von sattem Grün, ein schwerer Metallkronleuchter hing an einer Kette von einer Decke herab, die von imitiertem Gebälk unterteilt war. Die Bilder hatte Timothy vor sechzig Jahren bei Jobson gekauft, ein Schnäppchen – drei Stillleben von Snyders, zwei blass kolorierte Zeichnungen von einem Jungen und einem Mädchen, ganz hübsch, die die Initialen »J. R.« trugen – Timothy hatte immer geglaubt, sie könnten sich als Werke von Joshua Reynolds erweisen, aber Soames, der diese bewunderte, hatte herausgefunden, dass sie nur von John Robinson waren, und ein fraglicher Morland, der ein weißes Pony zeigte, das gerade beschlagen wurde.

      Tiefrote Plüschvorhänge, zehn hochlehnige, dunkle Mahagoni­stühle mit tiefroten Plüschpolstern, ein türkischer Teppich und ein Mahagoniesstisch, der so groß war wie der Raum klein – so sah das Zimmer aus, das sich in Soames’ Erinnerung seit seinem vierten ­Lebensjahr weder in seiner Atmosphäre noch in seiner Einrichtung verändert hatte. Er sah sich besonders die beiden Zeichnungen an und dachte: Die will ich bei der Nachlassversteigerung kaufen.

      Vom Esszimmer ging er weiter in Timothys Arbeitszimmer. Er konnte sich nicht erinnern, jemals in diesem Zimmer gewesen zu sein. Es war vom Boden bis zur Decke mit Büchern gefüllt und er sah sie sich neugierig an. Eine Wand schien Lehrbüchern gewidmet zu sein, die Timothys Verlag vor zwei Generationen veröffentlicht hatte – manchmal ganze zwanzig Exemplare eines Buches. Soames las ihre Titel und schauderte. An der mittleren Wand waren genau die gleichen Bücher, die auch bei seinem eigenen Vater in der Park Lane gestanden hatten, was ihn schließen ließ, dass James und sein jüngster Bruder wohl eines Tages zusammen losgezogen waren und ein Paar kleiner Bibliotheken gekauft hatten. Der dritten Wand näherte er sich gespannter. Hier konnte man bestimmt Timothys persönlichen Geschmack finden. Konnte man. Die Bücher waren Blindbände. Die vierte Wand bestand komplett aus Fenster, verdeckt von schweren Vorhängen. Und dorthin gewandt stand ein großer Sessel mit einem Lesepult aus Mahagoni daran, auf dem noch immer eine vergilbte und zusammengefaltete Ausgabe der Times vom sechsten Juli 1914, dem Tag, an dem Timothy, wie in Vorbereitung auf den Krieg, zum ersten Mal nicht heruntergekommen war, lag, als ob sie auf ihn wartete.

      In einer Ecke stand ein großer Globus jener Welt, die Timothy nie bereist hatte, da er der festen Überzeugung war, dass nur England tatsächlich real war, und außerdem machte ihn das Meer immer sehr nervös, dort war ihm an einem Sonntagnachmittag 1836 auf einem Vergnügungsdampfer mit Juley und Hester, Swithin und Hatty Chessman in Brighton sehr übel geworden, alles wegen Swithin, der sich immer irgendwelche Dinge in den Kopf setzte, und dem, Gott sei Dank, auch übel geworden war. Soames wusste alles darüber, er hatte die Geschichte mindestens fünfzig Mal von dem einen oder anderen von ihnen gehört. Er ging zu dem Globus und gab ihm einen Stups, er gab ein leises Quietschen von sich, bewegte sich ein paar Zentimeter und brachte einen Weberknecht in sein Blickfeld, der auf dem vierundvierzigsten Breitengrad gestorben war.

      Mausoleum!, dachte er. George hatte recht! Und er ging aus dem Zimmer und die Treppe nach oben. Auf dem Treppenabsatz blieb er vor dem Schaukasten mit den ausgestopften Kolibris stehen, die ihm als Kind immer so gefallen hatten. Sie sahen keinen Tag älter aus, wie sie da an Drähten über Pampasgras hingen. Wenn man den Kasten aufmachen würde, würden die Vögel nicht anfangen, umherzuschwirren, sondern wahrscheinlich würde das ganze Ding zerbröseln. Es würde sich nicht lohnen, das mit in die Nachlassversteigerung aufzunehmen! Und plötzlich packte ihn eine Erinnerung an Tante Ann – die gute alte Tante Ann –, wie sie ihn vor jenem Kasten an der Hand gehalten und gesagt hatte: »Schau nur, Soamey! Sind die nicht hübsch und schön bunt, die süßen kleinen Kolibris?« Soames erinnerte sich an seine Antwort: »Aber die summen ja gar nicht, Tantchen.« Er musste sechs gewesen sein und trug einen schwarzen Anzug aus Rippsamt mit hellblauem Kragen – er erinnerte sich noch gut an diesen Anzug! Tante Ann mit ihren Löckchen und ihren spinnenartigen, gütigen Händen und ihrem würdevollen, alten, adlerähnlichen Lächeln – eine feine alte Dame, die gute Tante Ann!

      Er ging weiter nach oben zur Tür des Empfangszimmers. Dort hingen links und rechts davon die Gruppen von Miniaturen. Die würde er ganz sicher kaufen! Die Miniaturen seiner vier Tanten, eine von seinem Onkel Swithin als junger Mann und eine von seinem Onkel Nicholas als Kind. Sie waren alle von einer jungen Freundin der Familie gemalt worden, um 1830, als Miniaturen als sehr vornehm galten, und außerdem als sehr haltbar, da sie auf Elfenbein gemalt waren. Viele Male hatte er die Geschichte jener jungen Dame gehört: »Sehr talentiert, mein Lieber, sie hatte eine rechte Schwäche für Swithin, und kurz darauf ist sie an Schwindsucht erkrankt und gestorben, ganz wie Keats – wir haben oft darüber gesprochen.«

      Nun, da waren sie alle! Ann, Juley, Hester, Susan – als ganz kleines Kind, Swithin, mit himmelblauen Augen, rosa Wangen, blonden Locken und weißer Weste – wie er leibte und lebte, und Nicholas, wie Amor, den Blick zum Himmel gerichtet. Wenn er so darüber nachdachte, war Onkel Nick eigentlich immer so gewesen – ein wundervoller Mann bis zum Schluss. Ja, sie musste talentiert gewesen sein, und Miniaturen bewahrten sich immer einen gewissen ihnen eigenen Wert, blieben von den wettbewerbsbedingten Strömungen an der Kunstbörse wenig beeinflusst. Soames öffnete die Tür zum Empfangszimmer. Der Raum war staubfrei, die Möbel unbedeckt, die Vorhänge zurückgezogen – ganz so, als ob seine Tanten dort noch immer säßen und geduldig warteten. Und es kam ihm ein Gedanke: Wenn Timothy sterben würde – warum nicht? Bestünde nicht fast eine Pflicht, dieses Haus zu erhalten – wie das Haus von Thomas Carlyle – und eine Tafel aufzustellen und es zu zeigen? »Musterbeispiel einer mittelviktorianischen Wohnung – Eintritt ein Shilling, inklusive Katalog.« Immerhin war es das Vollständigste und vielleicht auch das Überholteste im heutigen London. Vollkommen in seinem speziellen Geschmack und seiner Kultur, das hieß, wenn er die vier Bilder der Barbizon-Schule, die er ihnen geschenkt hatte, abnahm und seiner eigenen Sammlung hinzufügte.

      Die noch immer himmelblauen Wände, die grünen, mit roten Blumen und Farn gemusterten Vorhänge, der bestickte Kaminschirm vor dem gusseisernen Feuerrost, die Mahagonianrichte mit Glasfenstern, voll mit lauter kleinem Nippes, die perlenbesetzten Schemel, Keats, Shelley, Southey, Cowper, Coleridge, Der Korsar von Lord Byron (aber sonst nichts von ihm) und die viktorianischen Dichter im Bücherregal, der mit mattrotem Plüsch ausgelegte Marketerie-Schrank, gefüllt mit Familienreliquien: Hesters erster Fächer, die Schnallen der Schuhe des Vaters ihrer Mutter, drei Skorpione in Flaschen und ein sehr gelber Elefantenstoßzahn, den Großonkel Edgar Forsyte, der im Jutehandel tätig gewesen war, aus Indien geschickt hatte, ein aufgestelltes Blatt Papier mit spinnenartiger Schrift darauf, die Gott weiß was berichtete!

      Und die Bilder, die die Wände füllten – alles Aquarelle außer jenen vier Barbizon-Bildern, die hier wie die Ausländer wirkten, die sie waren, und fragwürdige noch dazu – heitere und anschauliche Bilder, Telling the Bees, Hey for the Ferry! und zwei im Stile Friths, mit Becherspiel und Reifröcken, die Swithin ihnen geschenkt hatte. Ach, viele, viele Bilder, die Soames tausende Male mit verächtlicher Faszination angestarrt hatte, eine wundervolle Sammlung glänzender, glatter Goldrahmen.

      Und der Boudoir-Flügel, schön abgestaubt, hermetisch verschlossen wie immer, und Tante Juleys Album mit gepresstem Seegras. Und die Stühle mit den vergoldeten Beinen, die stärker waren, als sie aussahen. Und auf einer Seite des Kamins das Sofa aus karmesinroter Seide, auf dem Tante Ann und nach ihr Tante Juley immer gesessen hatte, kerzengerade, das Gesicht zum Licht. Und auf der anderen Seite der einzige wirklich bequeme Stuhl, mit dem Rücken zum Feuer, für Tante Hester.

      Soames kniff die Augen zusammen, ihm schien, als würde er sie dort sitzen sehen. Ach, und die Atmosphäre! – auch jetzt noch, von zu vielem Krimskrams und gewaschenen Spitzenvorhängen, Lavendel in Säckchen und getrockneten Bienenflügeln. Nein, dachte er, so etwas gibt es nirgendwo sonst mehr, es sollte bewahrt werden. Und, Gott, die Leute mochten darüber lachen, aber was den Standard vornehmen Lebens anbetraf, von dem niemals abgewichen wurde, den Anspruch, Haut, Augen, Nase und Gefühl anzusprechen, da übertraf das die heutige Zeit bei Weitem – die heutige Zeit mit U-Bahnen und Autos, ununterbrochenem Gerauche, Mädchen, die mit überschlagenen Beinen und bloßem Nacken dasaßen, sodass man bis zu den Knien hinauf und bis zur Taille hinunter


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