Zu Vermieten. John Galsworthy

Читать онлайн книгу.

Zu Vermieten - John Galsworthy


Скачать книгу
sprechen?«

      »Wegen dem alten Timothy, er könnte jeden Moment den Löffel abgeben. Ich nehme an, er hat sein Testament gemacht.«

      »Ja.«

      »Nun, du oder irgendwer sollte ihm mal einen Besuch abstatten – ist der letzte von der alten Truppe, hundert ist er jetzt. Er soll wie eine Mumie sein. Wohin willst du ihn denn stecken? Er hätte eine Pyramide verdient.«

      Soames schüttelte den Kopf. »Highgate, in die Familiengruft.«

      »Nun, die alten Mädels würden ihn wohl vermissen, wenn er irgendwo anders wäre. Er soll noch immer Interesse am Essen haben. Er könnte es auch noch länger machen. Kriegen wir denn gar nichts für die alten Forsytes? Zehn von ihnen – Durchschnittsalter achtundachtzig – ich hab’s ausgerechnet. Das ist doch in etwa wie Drillinge.«

      »Wäre das alles?«, fragte Soames. »Ich muss weiter.«

      Ungeselliger Kerl!, schienen Georges Augen zu sagen. »Ja, das wäre alles. Besuch ihn in seinem Mausoleum – vielleicht will der alte Junge ja irgendwas verkünden.« Das Grinsen erlosch auf seinen fleischigen Gesichtszügen und er fügte hinzu: »Habt ihr Anwälte denn noch keinen Weg erfunden, diese verdammte Einkommenssteuer zu umgehen? Die setzt dem ererbten festen Einkommen höllisch zu. Früher habe ich zweitausendfünfhundert pro Jahr gehabt, jetzt habe ich nur noch mickrige fünfzehnhundert, und die Lebenshaltungskosten sind doppelt so hoch.«

      »Ah!«, murmelte Soames, »die Pferderennen sind bedroht.«

      Verteidigender Spott blitzte kurz in Georges Gesicht auf.

      »Naja«, sagte er, »ich wurde zum Nichtstun erzogen, und nun steh ich hier und werde immer älter und mit jedem Tag ärmer. Diese Kerle von der Labourpartei wollen doch alles haben. Wie willst du dir deinen Lebensunterhalt verdienen, wenn es soweit kommt? Ich werde sechs Stunden pro Tag arbeiten und Politikern beibringen, wie man einen Witz erkennt. Hör auf meinen Rat, Soames, geh ins Parlament, sichere dir deine vierhundert – und stell mich an.«

      Und als Soames ging, nahm er wieder seinen Platz im Erkerfenster ein.

      Tief in Gedanken über die Worte seines Cousins versunken, ging Soames die Piccadilly entlang. Er selbst hatte immer gearbeitet und gespart, George hatte immer nichts getan und ausgegeben. Dennoch, wenn die Konfiszierung einmal begann, dann wäre er es – der Arbeiter und Sparer –, den man ausnehmen würde! Das war die Negation jeder Tugend, die Umkehrung aller Forsyte’schen Prin­zipien. Konnte die Zivilisation auf irgendwelchen anderen basieren? Er glaubte es nicht. Nun, seine Bilder würden sie nicht konfiszieren, da sie nicht wüssten, was sie wert waren. Aber was würden sie noch wert sein, wenn diese Verrückten einmal anfingen, Kapital abzuzapfen? Sie würden sich nicht mehr verkaufen. Um mich mache ich mir keine Sorgen, dachte er, ich könnte von fünfhundert pro Jahr leben, ohne einen Unterschied zu merken, in meinem Alter. Aber Fleur! Dieses so vielfältig investierte Vermögen, diese mit so großer Sorgfalt ausgewählten und zusammengetragenen Kunstschätze, all das war für sie! Und wenn sich nun herausstellen sollte, dass er das nicht geben oder hinterlassen konnte – nun, dann hatte das Leben keinen Sinn, und welchen Zweck hatte es dann, hierhinzugehen und sich dieses verrückte futuristische Zeug anzusehen, um zu beurteilen, ob es eine Zukunft hatte?

      Als er jedoch in der Galerie in der Nähe der Cork Street ankam, zahlte er seinen Shilling, nahm sich einen Katalog und ging hinein. Um die zehn Leute streiften umher. Soames ging ein paar Schritte und stieß auf etwas, das für ihn wie ein durch eine Kollision mit einem Omnibus verbogener Laternenmast aussah. Es stand etwa drei Schritte von der Wand entfernt und wurde in seinem Katalog als Jupiter bezeichnet. Er betrachtete es neugierig, da er seit Kurzem auch Skulpturen einen Teil seiner Aufmerksamkeit widmete. Wenn das Jupiter ist, dachte er, dann frage ich mich, wie Juno wohl aussieht. Und plötzlich sah er sie, gegenüber. Sie wirkte auf ihn bestenfalls wie eine Pumpe mit zwei Schwengeln, leicht mit Schnee bedeckt. Er starrte sie noch immer an, als zwei der umherstreifenden Besucher zu seiner Linken stehen blieben. »Stark!«, hörte er einen von ihnen sagen.

      »Quatsch!«, knurrte Soames leise.

      Die jungenhafte Stimme des anderen erwiderte: »Du hast es nicht verstanden, mein Lieber, er führt dich hinters Licht. Als er Jupiter und Juno geschaffen hat, hat er gesagt: Mal schauen, was diese Idioten alles schlucken. Und sie haben alles brav geschluckt.«

      »Du Banause! Wospowitsch ist ein Neuerer. Siehst du nicht, dass er Satire in die Bildhauerei eingeführt hat? Die Zukunft der plastischen Kunst, der Musik, der Malerei, sogar der Architektur gründet nun auf Satire. Es musste so kommen. Die Leute sind müde – der Gefühlsseligkeit wurde der Boden entzogen.«

      »Also ich fühle mich durchaus in der Lage, ein wenig Gefallen an Schönheit zu finden. Ich habe den Krieg erlebt. Sie haben Ihr ­Taschentuch fallen lassen, Sir.«

      Soames sah, dass ihm ein Taschentuch entgegengestreckt wurde. Er nahm es mit einem natürlichen Maß an Misstrauen und hielt es sich an die Nase. Der Duft stimmte – es roch leicht nach Eau de Cologne – und in der Ecke standen seine Initialen. Etwas beruhigt blickte er zu dem Gesicht des jungen Mannes auf. Er hatte ziemlich spitze Ohren, einen lachenden Mund, über dem an jeder Seite ein halber Schnäuzer wuchs, kleine, lebhafte Augen und war durchschnittlich gekleidet.

      »Danke«, sagte er, und irgendwie aufgebracht, fügte er hinzu: »Freut mich, zu hören, dass Sie Schönheit mögen, das ist heutzutage eine Seltenheit.«

      »Ich vergöttere sie«, sagte der junge Mann. »Aber Sie und ich sind da die letzten der alten Garde, Sir.«

      Soames lächelte.

      »Falls Sie sich wirklich für Bilder interessieren«, sagte er, »hier ist meine Karte. Ich kann Ihnen ein paar wirklich gute zeigen, wenn Sie an einem Sonntag mal unten am Fluss sind und Lust haben, vorbeizuschauen.«

      »Sehr nett von Ihnen, Sir. Da komme ich ganz sicher mal vorbei. Mein Name ist Mont – Michael.« Und er zog seinen Hut.

      Soames, der sein impulsives Handeln bereits bereute, hob seinen eigenen in Erwiderung leicht an und musterte den Begleiter des jungen Mannes von oben herab. Er trug eine violette Krawatte, hatte schreckliche Koteletten, die aussahen wie Nacktschnecken, und einen verächtlichen Blick – als ob er ein Dichter wäre!

      Es war seine erste Unbesonnenheit seit sehr langer Zeit und so ging er und setzte sich in eine Nische. Was hatte ihn nur geritten, einem übermütigen jungen Kerl, der mit einem solchen Typen unterwegs war, seine Karte zu geben? Und Fleur, die stets in seinem Hinterkopf war, trat plötzlich in sein Bewusstsein, wie die Filigranfigur einer Uhr, die hervorspringt, wenn die Stunde schlägt. An der Wand gegenüber der Nische hing eine große Leinwand, auf der eine Menge rechteckiger, tomatenroter Kleckse waren und sonst nichts, soweit Soames von seinem Platz aus sehen konnte. Er sah in seinen Katalog: »Nr. 32: The Future Town – Paul Post.« Ich nehme an, das soll ebenfalls satirisch sein, dachte er. Komisches Ding! Doch seine nächste Reaktion war vorsichtiger. Man durfte nicht so voreilig verurteilen. Jene streifigen, verschmierten Kreationen von Monet zum Beispiel hatten sich als großer Erfolg herausgestellt, oder Pointillismus, oder Gauguin.

      Selbst seit den Post-Impressionisten hatte es noch ein paar Maler gegeben, die nicht zu verachten waren. Während seiner achtunddreißig Jahre als Kunstkenner hatte er so viele Bewegungen beobachtet, so viele Geschmäcker und Techniken kommen und gehen sehen, dass man wirklich gar nichts sagen konnte, außer dass sich aus jeder Veränderung der Mode Geld machen ließ. Das hier könnte genauso ein Fall sein, wo man seine anfängliche Reaktion vergessen musste, wenn man nicht die Möglichkeit vertun wollte, damit ein Geschäft zu machen.

      Er stand auf, stellte sich vor das Bild und versuchte angestrengt, es mit den Augen anderer Menschen zu sehen. Über den tomatenroten Klecksen war etwas, das er als einen Sonnenuntergang deutete, bis jemand vorbeiging und sagte: »Er hat die Flugzeuge wirklich gut getroffen, findest du nicht?« Unterhalb der tomatenroten Kleckse war ein breiter weißer Streifen mit mehreren vertikalen schwarzen Streifen, den er absolut nicht deuten konnte, bis jemand anderes vorbeikam und murmelte: »Wahnsinn, wie expressiv sein Vordergrund ist!« Expressiv? Inwiefern denn? Soames kehrte zu seinem Platz zurück. Das Ding war interessant, wie sein


Скачать книгу