Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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zu Georg Podiebrad, dem König von Böhmen, der als Kalixtiner den Gegner des Papstes gebrauchen konnte und mächtig genug war, den Verfemten zu schützen. Dieser bedeutende Fürst, den einige unternehmende Männer im Reich gern unter Beiseiteschiebung des schläfrigen Friedrich zum Kaiser gemacht hätten, war immer bereit, großartige Pläne auszuführen, die er selbst entwarf oder die andere ihm unterbreiteten. Er plante eine Organisation der abendländischen Fürsten, die der päpstlichen Macht die Waage halten könnte, er dachte sogar daran, die Türken aus dem vor kurzem eroberten Konstantinopel hinauszuwerfen und sich selbst zum oströmischen Kaiser zu machen. Wieder hatte Heimburg Gelegenheit, mit Rat und Schrift gegen die Gewaltherrschaft des Papstes zu wirken, der einen Feldzug gegen den hussitischen Böhmenkönig führte, wie Pius II. gegen Herzog Siegmund getan hatte, ihn in den Bann tat und seine Untertanen und die benachbarten Fürsten gegen ihn auf hetzte. Mathias von Ungarn, auch ein hochstrebender und begabter Mann, setzte sich schließlich, den Ermahnungen Gehör schenkend, in Bewegung und ließ sich zum König von Böhmen wählen; ein Krieg wäre zwischen den beiden mächtigen Emporkömmlingen des Ostens entbrannt, wenn nicht Georg Podiebrad dem Tod erlegen wäre. So war Gregor von Heimburg ohne Aufgabe und ohne Schutz. Albrecht von Sachsen, der Schwiegersohn des Verstorbenen, nahm ihn auf und brachte ihn nach Dresden; aber trotz der herzoglichen Gunst wollte die Stadt den Gebannten nicht bei sich dulden. Da entschloß sich der verlassene Kämpfer, die Absolution des Papstes zu suchen und erhielt sie auf Albrechts Befürwortung. Es war im Jahre 1472; bald darauf starb er.

      Der Verlauf des Streites zwischen dem Herzog von Tirol und der Kirche zeigt, wie nah der Gedanke der Säkularisation geistlicher Güter den weltlichen Fürsten lag, wie sie, sowie es möglich schien, ihn grundsätzlich ergriffen und rücksichtslos durchzuführen versuchten, und was für ketzerische Gedanken in Verbindung damit laut, öffentlich dem Papst entgegengeworfen werden konnten. Es zeigte sich freilich auch, was für Kampfmittel dem Papst doch noch zur Verfügung standen, wie er Ehrgeizige, Unzufriedene und Habgierige zu benutzen wußte, und wie auch der Bannfluch dadurch lästig werden konnte, daß sich Feinde seiner zum Schaden des Betroffenen bedienten. Noch war ein Gebannter, wenn er nicht Fürst war, ein Ausgestoßener, für manches einfache Gemüt ein gebrandmarkter Frevler, für die vielen Niederträchtigen ein bequemes Ziel. Selbst ein so überzeugter Gegner des Papstes wie Gregor von Heimburg gab am Ende nach. War der einst so Tapfere müde geworden? Tat er es, um dem Herzog von Sachsen, dem einzigen, der ihm ein Asyl anbot, keine Schwierigkeiten zu machen? Oder war auch in ihm ein Gefühl geblieben oder wieder erwacht, das sich nach der Geborgenheit im Schoße der alten Mutter Kirche sehnte, die alle Christen des Abendlandes umfaßte und zu Brüdern machte?

       Inhaltsverzeichnis

      Wie eine Landschaft zuweilen vor anderen mit Früchten gesegnet ist, so bringt sie auch zuzeiten eine besonders große Anzahl außergewöhnlicher Menschen hervor, eine überschwengliche Ernte, der vielleicht langdauernde Unfruchtbarkeit folgt. Westfalen und der obere Rhein waren im 15. Jahrhundert so ergiebig, namentlich das Gebiet des Oberrheins war erfüllt von der Heiterkeit und dem Brausen geistigen Lebens. Die Schule von Schlettstadt leitete Jakob Wimpheling, am Dom von Straßburg predigte Geiler von Kaisersberg, an der Universität Freiburg lehrte Ulrich Zasius. Diese und viele andere Männer, um die Mitte des Jahrhunderts geboren, waren durchdrungen vom Bewußtsein der Notwendigkeit einer Reform, die darin bestehen sollte, daß durch die auf allen Gebieten wuchernde Verwilderung, durch den aufgehäuften Wust von Mißbräuchen und Verzerrungen durchgebrochen werden müsse zu den reinen Quellen, aus denen die Religion, das Recht, die Sprache, die Sitten geflossen wären, hauptsächlich zur Heiligen Schrift. Dort sollte man die christliche Lehre aus dem Munde des Heilands vernehmen anstatt aus den durch die Spitzfindigkeit der Scholastik verdunkelten Lehrbüchern oder aus den mit sinnlosen Wundergeschichten zur Unterhaltung ausgeschmückten Legendensammlungen. Das römische Recht sollte man aus den von Justinian gesammelten Rechtsbüchern, nicht aus den verunstaltenden Kommentaren des Mittelalters, die alten Sprachen sollte man aus den Werken der klassischen Schriftsteller studieren. Um das gegenwärtige Leben des deutschen Volkes aufzuhellen, wollten sie zu seinen Ursprüngen zurückkehren und in der Vertiefung in seine ruhmreiche Vergangenheit den Glauben an seine Zukunft gewinnen.

      Viele von diesen älteren Humanisten waren niemals in Italien gewesen, und mochten sie auch von der großartigen Bewegung des den Deutschen so eng verbundenen Landes berührt sein, so waren sie doch mehr beeinflußt von der in der Stille erwachsenen Lebensauffassung und Unterrichtsart der ›Brüder vom gemeinsamen Leben‹, die in den Niederlanden entstanden waren und in der Schule von Deventer eine Stätte weitreichender Wirksamkeit gegründet hatten. Italien wirkte auf das lebhaft erwachende Interesse an der deutschen Geschichte weniger durch den dortigen Patriotismus und die bewunderten Vorbilder der Antike als durch seine Verachtung der Deutschen. Vielleicht war der tiefste Grund für dies neue Interesse die Tatsache, daß eine Epoche abgelaufen war, der eine auf wesentlich verschiedener Grundlage sich entwickelnde folgen mußte, daß man in einer Stunde lebte, wo eine Entwicklung sich geschlossen hatte, wo auf göttlichen Wink die Hülle vom gegossenen Bilde fällt und es rund und blinkend vor allen Augen dasteht, nicht mehr fließend, sondern fertig für die Ewigkeit. Dies war gerade den Humanisten des Oberrheins nicht bewußt, sie wollten vielmehr den Schutt wegräumen, damit das alte Fundament zum Vorschein käme und richtig an das Alte anschließend weiter gebaut werden könne. Aber ein Stachel war es ihnen, daß die Deutschen von den kultivierteren Nachbarn als Barbaren bezeichnet wurden. Poggio zum Beispiel, der als Teilnehmer des Konzils sich in Konstanz aufgehalten und in deutschen Klöstern nach alten Handschriften gefahndet hatte, schrieb in einem Brief, die Deutschen seien einst ein kriegerisches Volk gewesen, jetzt wären sie nur stark im Essen und Trinken. »Sind das Menschen?« sagte er: »Gute Götter, schlaftrunkene, blöde, schnarchende Geschöpfe sind es, niemals nüchtern, den Menschen und Gott verhaßt! Ob sie leben oder tot sind, kann man nicht unterscheiden, wenn sie von Wein und Speise überwältigt daliegen.« Ein anderer Italiener nannte Deutschland eine Räuberhöhle, in der die Edelsten vom Adel die Räuber wären. »Leben ist hier gleichbedeutend mit Saufen.« Die Barbarei des Geistes sei unglaublich, Freunde der Wissenschaft seien äußerst selten, Freunde der Eleganz gebe es überhaupt nicht, für das Studium der Humanität fehle es an Fassungskraft. Unter solchen Barbaren wohne keine Muse. Derartigen Beschimpfungen sollte ein Bild glanzvoller Vergangenheit, großer Taten deutscher Helden entgegengestellt werden. Aus ähnlicher Stimmung heraus hatte im Anfang des Jahrhunderts Dietrich von Niem, ein Westfale, der im Dienste des Papstes in Italien lebte, die ersten Züge zu einer deutschen Geschichte entworfen. Er zuerst bezeichnete auch die Deutschen als Nation, das Wort im völkischen Sinne gebrauchend. In einer Zeit beginnender Auflösung ermutigte er sich und sein Volk durch die Erinnerung an das Heldenzeitalter des Reiches unter den großen Kaisern, von denen er Otto I., Magnus Augustus, am höchsten verehrte. Heraufbeschworen durch den Unwillen über eine trübe gewordene Gegenwart, zogen sie vorüber, die blonden Sachsenkönige, die dämonischen Staufer, die geharnischten Ritter, eine gottgeweihte Schar, die ihren Kaiser über die Alpen geleitete, den Westen schützte und den Osten eroberte. Seine Auffassung hat Nikolaus von Cusa und die Humanisten beeinflußt. Jakob Wimpheling, in der elsässischen Reichsstadt Schlettstadt geboren, versuchte als erster nach ihm eine Darstellung deutscher Geschichte unter dem Titel Epitome rerum Germanicarum. Die Herrlichkeit des Imperiums, die völkerbezwingenden Waffentaten ließ er ausmünden in die Zeit der Erfindung Gutenbergs, wo die Hand, die das Schwert führte, im Buchdruck das Wort verbreitete und verewigte, wo der Barbar dem Abendlande eine Waffe schenkte, die nicht tötet, sondern lebendig macht, den Samen der Bildung in die Furchen der Zeit streut. Wimpheling hat eine eigene Schrift über die Kunst des Buchdrucks verfaßt, die göttliche Kunst oder die deutsche Kunst, wie man sie schlechtweg nannte. Er frohlockte über die große Zahl der meist deutschen Buchdrucker, die in fast allen Ländern, dankbar aufgenommen, Werkstätten errichtet hatten. Indessen war Wimpheling nicht blind für die Fehler seiner Landsleute, die mißgünstige Beobachter zu dem Vorwurf der Barbarei berechtigten. Er lobte sie als tapfer, treu, wahrheitsliebend, aber er tadelte ihre Trunksucht und daß der Adel, nur am Kriege und an der Jagd seine Lust findend, sich zu gut hielt, um Bildung des Geistes zu erwerben. Der Adel war gewohnt gewesen, daß seine kränklichen oder zarten Söhne, die


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