Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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sie zu Gelehrten. Das sollte nun anders werden, seit Bildung die Aufgabe hatte, alle in den Menschen gelegten Keime zur Entfaltung zu bringen, einen edlen, vernünftig urteilenden, die äußere und innere Welt nach allen Beziehungen überblickenden Menschen zu formen. Gerade im Westen, an der französischen Grenze, wo man dem Angriff sowohl wie der Verführung unmittelbar ausgesetzt war, konnte sich das Bewußtsein des Deutschtums leidenschaftlich steigern.

      Seit es ein Frankreich gibt, hatte Frankreich mit brennender Eifersucht auf das Nachbarvolk geblickt, das Träger des Kaisertums geworden war, wozu sich Frankreich, das Karl den Großen ebenso für sich in Anspruch nahm wie Deutschland, das sich sogar nach seinem Stammesnamen nannte, ebenso berechtigt hielt. Kaum war durch Beendigung des englisch-französischen Krieges Frankreichs Kraft frei geworden, so suchte es von neuem, wie es schon vor diesem Kriege getan hatte, die angeblichen Ansprüche zu verwirklichen, sei es durch kriegerischen Überfall, sei es durch Bestechung. Nachdem im Jahre 1444 der Dauphin, der spätere König Ludwig XI., Straßburg belagert hatte, entstand dort eine französische Partei, die den Anschluß an Frankreich wünschte und von französischen Sendungen ermuntert und unterstützt wurde. Im Hinblick auf diese Verhältnisse richtete Wimpheling eine Schrift an den Rat von Straßburg, deren Zweck die Aufforderung war, in Straßburg ein Gymnasium zu gründen, deren eigentlichen Kern aber die Auseinandersetzung bildete, daß das linksrheinische Gebiet immer den Deutschen, niemals den Franzosen gehört habe, und daß Karl der Große ein Deutscher gewesen sei. Der Rat erhielt die in lateinischer Sprache verfaßte Schrift in deutscher Übersetzung. Man hätte sich nicht wundern können, wenn die Straßburger französische Partei die Schrift angegriffen hätte; anstatt dessen kam eine Entgegnung von ganz anderer Seite, von einem jungen Mann nämlich, der sich bisher als Anhänger Wimphelings gebärdet hatte, dem Franziskanermönch Thomas Murner. Er machte sich in der Germania nova über Wimphelings historische Beweisführung lustig, wozu er Ursache gehabt hätte, da die Quellenforschung trotz guter Absicht noch nicht sehr ausgebildet war, wenn nur seine eigene stichhaltiger gewesen wäre. Seine Kritik hatte die gute Folge, daß Wimpheling in seiner Entgegnung nunmehr die weit ausholenden künstlichen Gründe beiseite setzte und sich auf die Tatsache berief, daß »unsere Väter und Großväter, unsere Urgroßväter, Vorfahren und Ahnen Deutsche oder Alemannen gewesen sind, daß sie deutsch gesprochen, daß sie Männer von deutscher Art und Sitte gewesen«. Während der Straßburger Rat Wimphelings Schrift mit Dank, ja mit Begeisterung aufgenommen hatte, befahl er die Vernichtung der Murnerschen Entgegnung.

      Die Fehde wurde von den Anhängern Wimphelings noch eine Zeitlang fortgesetzt. Es erschienen damals wohl schon Flugblätter und sogenannte Neue Zeitungen; aber Zeitungen im heutigen Sinne, wo die öffentliche Meinung sich täglich hätte äußern, wo auf allen Gebieten des Lebens das Für und Wider hätte besprochen werden, Gegner in Streitfragen sich hätten bekämpfen können, gab es nicht. Anstatt dessen teilten sich die Gelehrten ihre Ansichten und Entdeckungen in Briefen mit, die gesammelt und gedruckt wurden, oder sie bekämpften und verteidigten sich in Druckschriften. Wimphelings Getreue behandelten Murner wie einen Landesverräter; aber es scheint nicht, daß er im Auftrage oder nur im Sinne der französischen Partei Straßburgs aufgetreten war, sonst hätte Kaiser Maximilian, der so unermüdlich sein Leben lang die Sache des Reiches gegen Frankreich verfocht, ihn wohl kaum zum Dichter gekrönt. Was ihn eigentlich bewog, die politischen Behauptungen Wimphelings zu bestreiten, ist nicht recht ersichtlich; vielleicht lockte es den Witzigen und Spottlustigen, Wimphelings etwas schwerfälligen Kothurn ins Stolpern zu bringen, vielleicht ärgerte ihn als Mönch, der die Klosterschulen für die besten hielt, der Vorschlag, in Straßburg ein Gymnasium zu gründen. Überhaupt bestand ein Gegensatz zwischen der Welt- und der Klostergeistlichkeit: die Weltgeistlichen verachteten die Mönche wegen ihres Mangels an Kenntnissen, ihres abgeschmackten Aberglaubens und ihres Schwelgens in Sinnengenüssen, die Mönche wehrten sich mit dem Vorwurf der Ketzerei. Als Wimpheling in der Schrift De integritate gegen die Mönche zu Felde zog und als Beispiel dafür, daß man auch außerhalb der Klostermauern ein heiliges Leben führen könne, Augustinus anführte, der nie eine Kutte getragen und nie gebettelt habe, sprang Murner wieder in die Schranken, zieh Wimpheling der Ketzerei und verklagte ihn sogar als Feind der christlichen Kirche beim Papst Julius II. Nur wenige waren damals frei von der Neigung, einen Gegner durch die Denunziation der Ketzerei zu schrecken oder zu Falle zu bringen. Keine hatte so vernichtende Folgen; denn das letzte Glied der Kette war der Scheiterhaufen. Zu seinem Glück hatte Wimpheling vielvermögende Freunde: der Bischof von Straßburg, das Domkapitel, bedeutende Gelehrte setzten sich für ihn ein, worauf der Papst ihm nicht nur die Reise nach Rom erließ, wohin er bereits vorgeladen war, sondern sogar den Mönchen Schweigen auferlegte. Solche Verbote pflegten nicht beachtet zu werden.

      Gegen die Weltgeistlichkeit vereint, bekämpften sich die Orden oft heftig untereinander, so die Dominikaner und Franziskaner wegen der unbefleckten Empfängnis der Maria. Ein merkwürdiger Mann, der mit den Humanisten in Beziehung stand, Vielschreiber, Sammler denkwürdiger Notizen, Liebhaber der Geheimwissenschaften, Johannes Trithemius, Abt des Klosters Sponheim bei Kreuznach, verfaßte im Jahre 1494 aus besonderer Vorliebe für Anna, die Mutter der Jungfrau, flink mit der Feder, wie er war, ein Werk in 13 Kapiteln über diese Heilige, deren Verehrung vermutlich aus dem von den Türken eroberten Byzanz ins Reich eingedrungen war, in dem er die Meinung verfocht, sie habe ihre Tochter ohne Erbsünde empfangen. Gegen diese schwer beweisbare Behauptung erhob sich ein Prediger des Dominikanerordens in Frankfurt am Main, namens Wigand Wirt, in einem an Trithemius gerichteten Brief. Der berühmte, an Bewunderung gewöhnte Abt stellte Wirt in seiner Antwort als einen Geisteskranken hin, der des Arztes bedürfe und den im Jenseits die ewige Verdammnis erwarte. Nach zwei Jahre lang geführter erbitterter Fehde mischten sich die Universität Köln und mehrere Theologen ein und entschieden, daß Wirt eine unehrerbietige Ansicht über die Geburt der Jungfrau habe und Trithemius um Verzeihung bitten müsse, daß aber beide Teile die Streitfrage ruhen zu lassen hätten. Wirt, dem das unleidlich war, wandte sich klagend an Papst Alexander VI., richtete aber nichts aus, da Trithemius die Mehrheit auf seiner Seite hatte: die Universitäten von Paris und Köln, mehrere Orden, mehrere Kardinäle und Erzbischöfe, viele Gelehrte und fast den ganzen Klerus von Deutschland. Die Verehrung der heiligen Anna, von der man bisher nicht viel Wesens gemacht hatte, wurde begierig wie eine neue Mode ergriffen. Als ein Frankfurter Stadtpfarrer die Lehre von der unbefleckten Empfängnis Mariä auf der Kanzel besprach und die Dominikaner, die diese Lehre bestritten, als Verunehrer der Jungfrau angriff, konnte der zum Schweigen verurteilte Wigand Wirt nicht an sich halten; er stellte sich eines Tages der Kanzel gegenüber auf, um den Franziskaner durch unentwegtes Anstarren außer Fassung zu bringen. Wirklich, als dieser die Augen des Feindes dreist auf sich gerichtet fühlte, geriet er in Wut und schoß einen Pfeil ab, indem er sagte, er sei froh, nicht zu denen zu gehören, die den Kaiser Heinrich ermordet hätten; es war nämlich Überlieferung, daß Heinrich VII. in Italien an Gift gestorben sei, das ein Dominikaner ihm gereicht habe. »Du lügst«, schrie Wigand Wirt, »und hast deine Lüge wie ein Ketzer ausgespien.« Wieder entspann sich eine Fehde und gingen Klagen nach Rom, Wirt verfaßte ein bitterböses Büchlein, das der Erzbischof von Mainz verbrennen ließ. Die Dominikaner, die über die erlittene Niederlage um so erbitterter waren, als sie in gelehrten Disputationen über die Frage gesiegt hatten, beschlossen auf einem Ordenskapitel, das im Jahre 1506 in Wimpfen stattfand, sich durch eine großartige, gewagte Unternehmung Recht zu verschaffen. Ihr Plan war, die heilige Jungfrau selbst sich über die sie am nächsten angehende Angelegenheit im Sinne der Dominikaner aussprechen zu lassen. Einer Aussage aus so sicherer Quelle gegenüber, meinten sie, müsse jeder Widerspruch verstummen. Als Ort, wo die Einfalt des Volkes das Gelingen des Planes am ehesten gewährleiste, erschien ihnen die Stadt Bern geeigneter als Nürnberg oder Frankfurt. Vier Männer, die an der Spitze des Berner Dominikanerklosters standen, nahmen es auf sich, die Gottesmutter erscheinen zu lassen. Sie erprobten ihre Kunst zunächst an einem Schneidergesellen aus Zurzach, namens Jetzer, der kürzlich in das Kloster eingetreten war, der auch die Wunder, die sich ihm offenbarten, gläubig hinnahm, bis er einmal in der Stimme der Maria die des Priors erkannte und den Betrug durchschaute. Nicht abgeschreckt durch diesen Unfall, setzten die Unternehmer, nachdem Jetzer Schweigen gelobt hatte, ihr Spiel fort und ließen nunmehr die Jungfrau in der Kirche erscheinen und sich beklagen, daß die ketzerischen Franziskaner, die eine falsche Lehre über sie verbreiteten, noch in der Stadt geduldet werden. Die Zuhörer, von der Wimpfener Versammlung offenbar richtig beurteilt,


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