Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Albernheit durchgeführt ist, kann nur der Leser des ganzen Werkes einschätzen. Die aufgeblasene Einfalt spricht aus jeder Wendung und Mitteilung, auch aus ganz bedeutungslosen Sätzen. Wie gute Schauspieler sich in eine Rolle versetzen und nun der Dargestellte sind vom Scheitel bis zur Sohle, in jeder Miene und Bewegung, so spielen die geistvollen Verfasser höchst geistlose, im Schlamme sinnlichen Behagens plätschernde Dickbäuche, unschuldige Heuchler insofern, als Heuchelei durch Gewöhnung Natur geworden ist. Man sagt sich wohl, so dumm, so unwissend, so ausschweifend können Ordensleute, die an Universitäten lernen und lehren, nicht gewesen sein, aber man begreift, daß übertrieben werden muß, weil wenige an Stelle von vielen stehn, und weil Torheit und Schlechtigkeit sonst nicht deutlich werden. Mit sehr feiner Kunst ist auch die plumpe Behandlung der lateinischen Sprache durchgeführt, sowohl die üblichen Entgleisungen in der Umgangssprache wie der als Merkmal des Poetischen geltende Schwulst. Denn die Mönche treten durchaus nicht etwa als Gegner der Poesie auf, im Gegenteil, sie sind stolz darauf, Gedichte machen zu können, und führen zum Beweis ihrer nach scholastischen Lehrbüchern erlernten Meisterschaft gern Proben an, die den gelungensten Schmuck des Buches bilden. Es perlt durch die Briefe ein kristallhelles und wohllautendes Gelächter, kindlich harmlos, Überschwang einer fröhlichen Stunde. Liest man die Namen der Briefsteller: Gänseprediger, Ziegenmelker, Hafenmus, Schlauch, Unkepunke, so glaubt man sich unter ausgelassenen Gassenbuben zu befinden, die einen Schabernack vorhaben. Aber mitten im Spiel blitzt es wie Schwerter, verrät sich ein ernster Wille, der den kecken Streich zur ritterlichen Tat macht. Man muß sich vergegenwärtigen, daß die angegriffenen Dominikaner eine festbegründete, eine sehr gefährliche Macht waren. In ihren Händen lag die Inquisition, sie waren ein Teil der legitimen Gewalt, die seit Jahrhunderten das Abendland beherrschte, die den Gegner mit Feuer vernichtete. Angriffen war diese Macht zuweilen durch mutige oder verzweifelte Menschen; hier war sie durch den Zauber des Geistes aufgehoben, ausgelöscht durch Witz und Spott, ihr Ende war vorweggenommen. In diesem Buche hatte die Freiheit gesiegt. Das ängstliche Sichducken vor starren, den Geist einschnürenden Gesetzen, die heuchlerische Demut vor verachtetem Popanz, die Allgewalt eines einzigen über Millionen von Geknechteten, das alles hatten Sturmvögel weggeweht. Mit den Fetzen der entlarvten Götzen spielte die von ihrem Schwunge bewegte Luft.

      Verbindend und gestaltend geht durch alle Briefe, schon im ersten beginnend, Reuchlins Prozeß, dessen Entscheidung bei der Kommission in Rom lag. Die Spannung zu steigern, wurden einige Briefsteller dorthin versetzt und berichten über den Gang der Verhandlungen aus eigener Anschauung, so daß sich Furcht und Hoffnung, von Anhängern und Gegner wechselnd empfunden, im Werke spiegeln. Einen beiläufigen Spaß machten sich die Verfasser daraus, daß sie in der zweiten Brieffolge, die 1517 erschien, ihre Mönche zuweilen die Dunkelmännerbriefe anführen ließen, so als wären sie stolz auf die vielen gelehrten Freunde, die ihr verehrter Magister Ortuin habe.

      Die Epistolae obscurorum virorum sind das einzige von Humanisten verfaßte schriftstellerische Kunstwerk, das die Zeit überdauert hat und dauern wird, solange die Geistesfreiheit aufrichtige Anhänger hat. Nur hier wird die Vergangenheit, die so oft durch die lateinische Sprache und fremdartige Gedankengänge ein mühseliges und unfruchtbares Studium bedeutet, zur blühenden Gegenwart. Wir verstehen, daß es hier nicht um ciceronianische Rhetorik oder um verstaubte, schwer zu ergrübelnde Thesen geht, sondern um etwas Unvergängliches, Unersetzliches, etwas allen Menschen zu jeder Zeit Notwendiges, die Luft, in der der Geist atmet: um Freiheit.

      Verfasser der ersten Briefe war, wie man mit ziemlicher Sicherheit annimmt, der junge Humanist Crotus Rubeanus. Er besaß den Humor, der neben den hassens- oder verachtenswürdigen Seiten des Gegners zugleich die komischen sieht und an diesen solches Vergnügen hat, daß er ihn beinah liebgewinnt. Je länger er mit diesen Ketzerrichtern im Geiste umgeht, die so wundervoll albern, selbstgefällig wie der Hahn auf dem Miste paradieren, desto mehr überkommt ihn eine Art von Zärtlichkeit für diese kostbaren Modelle; er möchte sie lieber streicheln als vernichten. Ganz anders Hutten, der am zweiten Teil der Briefe beteiligt war. Ihm führen Zorn und Entrüstung die Feder, sein Witz ist scharf, er hat nicht das künstlerisch quellende Behagen, die künstlerische Spiellust seines Freundes Crotus. Hutten gehörte zu den wenigen Rittern, die sich den Wissenschaften widmeten und sich dessen rühmten, und zu den noch selteneren, die Vertreter ihres Standes nach angeborenem Wesen waren. Wohl kam es häufig vor, daß junge Adlige sich für einen Helden begeisterten, sich einem Führer anschlossen, viel weniger häufig, daß sie aus eigener Überzeugung für eine gute Sache kämpften. Die eigentliche Aufgabe des Ritters, die Schwachen zu schützen, die Vergewaltiger zu strafen, hatte sich in der Ausübung fast ins Gegenteil verkehrt. Hutten aber fühlte das innerste Gesetz seines Seins erfüllt, als er Gelegenheit fand, für die, denen Unrecht geschah, sich einzusetzen. Zum erstenmal geschah das, als der leidenschaftliche und gewalttätige junge Herzog Ulrich von Württemberg seinen, Huttens, Vetter Hans von Hutten ermordete, in dessen Frau er sich verliebt und vor dem er sich aufs äußerste gedemütigt hatte. Als naher Verwandter fühlte sich Hutten doppelt berufen, den fürstlichen Mörder anzugreifen. Er bewies seine Dichtergabe, indem er den einzelnen Fall in seiner allgemeinen Bedeutung ergriff und darstellte, den Ermordeten als fleckenlosen Ehrenmann, den Mörder als rohen, sittenlosen, jede Willkür sich anmaßenden Tyrannen schilderte, was für den Herzog ungefähr zutraf. Viel mehr noch entsprach ihm der Kampf um Reuchlin. Denn in diesem Falle war nicht nur einem einzelnen Menschen Unrecht geschehen, sondern es stießen zwei Prinzipien aufeinander, von denen das eine die Herrschaft innehatte, das andere sich Raum erkämpfen wollte: Geisteszwang und Geistesfreiheit. Sollte es in Deutschland dem Gedanken möglich werden, seine göttliche Kraft zu gebrauchen und die Ergebnisse seiner Forschung zu äußern? Sollte es eine freie Wissenschaft geben? Oder sollte der Gedanke in alle Ewigkeit in ein Gerüst gezwängt bleiben, das Herrschsucht geschaffen hatte? Können Menschen sich anmaßen, und wäre es selbst um eines guten Zweckes willen, aller Menschen Glauben und Denken zu bestimmen? Kann Weltanschauung vorgeschrieben werden? – Hutten selbst liebte die Freiheit über alles, darum setzte er von allen Menschen, besonders von allen Deutschen voraus, daß sie freiwillig nicht Knechte sein wollten, deshalb haßte er diejenigen, die andere knechteten. Er hatte Erasmus und Reuchlin von jeher verehrt als Bahnbrecher der Wissenschaft und einer freieren, edleren Auffassung des geistigen Lebens; nun er verfolgt und bedroht war, wurde Reuchlin ihm doppelt teuer. Als der Geängstete ihm einmal geschrieben hatte: Verlasse die Sache der Wahrheit nicht! antwortete er im Januar 1517: »Ich sie oder dich, ihren Führer, verlassen? Kleinmütiger Kapnion, wie wenig kennst du Hutten! Nein, wenn du sie heute verließest, würde ich den Krieg erneuern!« Von jungen kampflustigen Gefährten umgeben, glaubte er sich des Sieges sicher. »Längst wird ein Brand vorbereitet«, schrieb er, »der zu rechter Zeit, hoffe ich, aufflammen soll.« Reuchlin, der ältere Mann, der genug für seinen Ruhm getan hat, soll ohne Furcht den Austrag seiner Angelegenheit seinen jungen Verehrern überlassen, der endliche Triumph kann nicht ausbleiben.

      Soweit der Ausgang von der vom Papst eingesetzten Kommission abhing, hatte Hutten recht mit seinem Zutrauen. Als es nach mehreren Jahren endlich zum Beschlusse kam, gaben alle mit einziger Ausnahme des Dominikaners Sylvester Prierias dem Vorsitzenden, Erzbischof von Nazareth, sich anschließend, ihre Stimme für Reuchlin ab. Trotz aller Bemühungen Hochstratens und Pfefferkorns wäre ihm der Sieg zugefallen, wenn nicht Leo X. doch schließlich den Mut verloren hätte, den mächtigen Predigerorden gegen sich aufzubringen. Es zeigte sich, wie so oft bei den Kaisern, daß die Forderungen des Amtes die Neigungen der Person überstimmten. Die für Reuchlin günstige Entscheidung der Kommission wurde nicht nur nicht verkündigt, sondern aufgehoben, so daß für Ränke auf der einen, Befürchtungen auf der anderen Seite wieder Raum war. Die Dunkelmännerbriefe wurden auf fleißiges Drängen der Dominikaner vom Papst zum Feuer verurteilt, obwohl man, so hieß es, auch an der Kurie in das Gelächter eingestimmt hatte, das dem verwegenen Witz der jungen Freiheitsschwärmer wie ein allverbreitetes Echo folgte.

      Von Erasmus ging die Sage, das Lachen habe ihm durch Sprengung eines gefährlichen Geschwürs das Leben gerettet. Später, als er in den Briefen redend und als Feind des Papstes eingeführt wurde, äußerte er sich erschreckt und ablehnend. Noch einen anderen gab es, der, obgleich er zu den Humanisten gezählt wurde und obgleich es ihm an Humor nicht fehlte, die Briefe ablehnte, ja sogar ihren unbekannten Verfasser einen Hanswurst nannte; das war Luther.


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