Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Humanisten, hervorbrachte, war außerordentlich. Man glaubte, das Ideal, das man erstrebte, die Verschmelzung von Christentum und Antike, in den Gedankengängen und in der Person des kleinen zarten Gelehrten verwirklicht zu sehen.

      Die Kirche konnte Erasmus keine Häresien nachweisen, denn er hütete sich, Glaubenssätze anzugreifen; aber sie spürte an ihm die ganz feine und darum sehr gefährliche Ketzerei. Seine Art, den ganzen Betrieb der Kirche zu verspotten, mit einer liebenswürdigen Bewegung beiseite zu schieben unter dem Beifall aller Gebildeten im Reich, ja im Abendlande, erbitterte sie. Indessen er war unangreifbar, überall von Freunden und Verehrern umgeben. Er lebte auf einem Stückchen Welt, das sich, von seinem hellen freundlichen Geist beschienen, weiter und weiter auszubreiten und über den vorsintflutlichen Riesendrachen Kirche hinwegzuwachsen schien.

       Inhaltsverzeichnis

      Von den beiden Augen Deutschlands, Reuchlin und Erasmus, war Erasmus, wenn man das von Hutten gebrauchte Bild weiter ausmalen will, der glitzernde, strahlenwerfende Stern, Reuchlin der klarspiegelnde See. Reuchlins Ruhm beruhte darauf, daß er nicht nur das Griechische, sondern auch das Hebräische verstand; man nannte ihn das dreisprachige Wunder. Von der Feinheit und Gewandtheit, mit der Erasmus das Lateinische handhabte, war Reuchlin weit entfernt. Der Reiz des Erasmischen Stils, der anmutige Witz, die die Lektüre seiner Bücher zu einem Vergnügen machten, ließen einen helleren Glanz auf seinen Namen fallen; aber das Ansehen Reuchlins wurde dadurch nicht verdunkelt. In dieser so sehr auf das Studium der alten Sprachen und die Rückkehr zu den Quellen gerichteten Zeit war es etwas Außerordentliches, das Griechische von einem Griechen und das Hebräische von einem Hebräer erlernt zu haben. Für das Hebräische war kaum ein anderer Weg möglich. Auch Manetti, ein Kaufmann in Florenz, hatte Hebräisch von einem Juden gelernt, um die Juden besser bekämpfen zu können, wie er sagte; inzwischen hatte er den Juden zwei Jahre lang in seinem Hause, las mit einem jüdischen Gelehrten das Alte Testament in hebräischer Sprache und liebte es überhaupt, mit gelehrten Juden über ihre Glaubenssätze zu disputieren. Man hatte damals ein zwiespältiges Verhältnis zum Hebräischen: einmal war es die Sprache des verachteten Volkes, das den Heiland verkannt und ans Kreuz geschlagen hatte; aber es war doch auch die Sprache, in der der Herr zum ersten Male mit den Menschen gesprochen hatte, und es umgab sie ein Schimmer fremdartiger, uralter Heiligkeit, wie er keiner anderen eigen war. In der Kabbala, der Geheimlehre der Juden, glaubte Reuchlin Offenbarungen über die in Zahl und Zeichen verborgene göttliche Schöpferkraft zu finden; besonders die Namen des Unnennbaren sollten Zauberworte sein. An den Schluß der hebräischen Grammatik, die er verfaßt hat, setzte er den Vers des Horaz: Exegi monumentum aere perennius; so sehr war er sich bewußt, etwas Großes und Dauerndes geleistet zu haben. Gerade die Kenntnis des Hebräischen nun war es, die ihn in einen verhängnisvollen Kampf verwickelte.

      An einem Herbsttage des Jahres 1509 besuchte Reuchlin ein getaufter Jude namens Pfefferkorn und brachte ein merkwürdiges Ansinnen vor. Er habe, sagte er, von Kaiser Maximilian, während derselbe im Kriege gegen Venedig vor Padua lag, die Vollmacht erhalten, mit Zuziehung des Pfarrers und zweier obrigkeitlicher Personen jedes Ortes alle Bücher der Juden einzuziehen und zu vernichten, die etwas dem christlichen Glauben Abträgliches enthielten. Reuchlin, als in der hebräischen Literatur bewandert, möge ihn begleiten und sich an der Arbeit beteiligen. Mit der Begründung, daß er keine Zeit habe, lehnte Reuchlin ab und machte außerdem den unwillkommenen Mann auf gewisse Formfehler des Mandats aufmerksam, die der Ausführung des Auftrages hinderlich wären. Damit glaubte er die Sache abgetan. Pfefferkorn indessen gehörte zu jenen Konvertiten, die sich mit einer Art von Raserei in den neuen Glauben verbeißen und gegen den verlassenen wüten, vielleicht auch bewegte ihn wirklich, wie man ihm später nachsagte, Rache gegen seine früheren Glaubensgenossen, die ihn wegen begangener Verbrechen ausgestoßen hätten; kurz, er setzte seine Bemühungen fort, deren Ergebnis war, daß Reuchlin von Seiten des Kaisers um ein Gutachten angegangen wurde, ob es göttlich und löblich und dem heiligen christlichen Glauben nützlich sei, die Bücher der Juden, mit Ausnahme natürlich des Alten Testamentes, zu verbrennen. Außer von Reuchlin wurden Gutachten eingefordert von den Universitäten Köln, Mainz, Erfurt, Heidelberg, von dem Kölner Dominikanerprior Jakob Hochstraten und von dem getauften Juden Viktor von Carben, der ehemals Rabbiner, jetzt christlicher Geistlicher war.

      Das Gutachten, das Reuchlin ausstellte, ist ein schönes Zeugnis für seine Gewissenhaftigkeit, Unparteilichkeit und Geistesfreiheit. Er unterschied sieben verschiedene Klassen jüdischer Bücher: 1. die Heilige Schrift, die nicht in Frage komme. 2. den Talmud, der vielleicht manches wider den christlichen Glauben enthalte; allein daß die Juden Jesus Christus nicht als Gott anerkennten, sei nun einmal ihr Glaube und könne ihnen weiter nicht vorgeworfen werden, außerdem sei manches Gute darin. 3. die Kabbala, der Reuchlin am wenigsten etwas Böses nachsagte. 4. die Glossen oder Kommentare, die dem besseren Verständnis der Schrift dienten. 5. die Predigten und Zeremonienbücher, die zu dem von Kaiser und Papst den Juden zugestandenen Kult gehörten. 6. Bücher über Kunst und Wissenschaft. 7. Dichtungen, unter denen möglicherweise Schmähungen gegen Christus, seine Mutter und die Apostel wären. Wenn man solche Bücher fände, könne man sie vernichten und die Juden bestrafen, aber nur nach ordentlichem Verhör und Urteil. Er beschloß das Gutachten mit dem Rat, die Bücher nicht zu verbrennen, sondern die Juden durch vernünftige Disputationen sanftmütig und gütlich zum christlichen Glauben zu bekehren.

      Auf den Kaiser, den Freund der Humanisten, machte Reuchlins Gutachten offenbar Eindruck, denn obwohl alle anderen, ausgenommen das der Universität Heidelberg, sofortige Einziehung und Unterdrückung aller jüdischen Bücher rieten, verschob er die Angelegenheit auf eine Beratung der Reichsstände. Wütend, daß ihm seine Opfer entgangen waren, und vermutlich angetrieben von den Kölner Dominikanern, schrieb Pfefferkorn den Handspiegel, eine Schmähschrift, in der er sich erdreistete, Reuchlin zu verdächtigen, als sei er von den Juden bestochen worden. Reuchlin wies im Augenspiegel die 34 Lügen des Pfefferkorn, so viele nämlich enthalte der Handspiegel, zurück, vor allem, wie sich von selbst versteht, den Vorwurf der Bestechlichkeit. Weit entfernt, dadurch zum Schweigen gebracht zu sein, wurde der penetrante Pfefferkorn nur um so hitziger. Er bewirkte, daß der Augenspiegel der theologischen Fakultät der Universität Köln eingereicht wurde, die ihrerseits das Buch dem Professor Arnold von Tungern überwies, damit er es auf die Rechtgläubigkeit des Verfassers hin untersuche. Reuchlin war ein großgewachsener, stattlicher Mann, damals 56 Jahre alt, seines Wertes bewußt, durch das allgemeine Ansehn, das er genoß, gehoben. Trotzdem überlief ihn ein Grauen; es war, wie wenn vom Rheine her ein brenzliger Geruch zu ihm gedrungen wäre. War Unschuld ein Schutz gegen die Inquisition? Nicht nur, daß das nicht der Fall war, schon der Prozeß, die Untersuchung, die Quälerei des Ausfragens schreckten ihn. Er lebte mit seiner kränklichen Frau auf einem kleinen Landgut in der Nähe von Stuttgart, in seine Studien vertieft und beglückt durch den Anblick seiner weißen Pfauen. Dies geliebte Asyl wollte er sich nicht entreißen lassen. So schrieb er denn einen höflichen, allzu höflichen, ja unterwürfigen Brief an Arnold von Tungern, in dem er seine Übereinstimmung mit dem Kirchenglauben beteuerte und sich bereit erklärte zurückzunehmen, was etwa in seinen Schriften gegen denselben verstoße. Nach mehrmaligem Briefwechsel trat die Kölner Fakultät unverhohlen mit der Forderung hervor, Reuchlin sollte den Augenspiegel nicht mehr verkaufen, öffentlich erklären, daß er in allem mit der Kirche übereinstimme und die Juden mit ihren gottlosen Büchern, insbesondere den Talmud, verwerfe. Diese hochfahrend und überheblich vorgetragene Zumutung brachte Reuchlin wieder zu sich selbst; er richtete sich zu seiner alten Mannhaftigkeit auf, lehnte die gegen ihn erhobenen Vorwürfe als erlogen ab und nannte die Gegner mit den damals üblichen Schimpfwörtern Füchse, Schweine, Maulesel, Furien.

      Wie würde sich Kaiser Maximilian verhalten? Er war ein Freund der Humanisten, die wiederum ihm begeistert anhingen; es war kaum einer unter ihnen, der ihn nicht durch ein Gedicht oder eine Ansprache verherrlicht hätte. Er liebte es, sich mit ihnen in Gespräche einzulassen, und verkehrte mit ihnen, als wären sie seinesgleichen, wie er denn gelegentlich die Ansicht aussprach, daß eigentlich die Gebildetsten und Gelehrtesten herrschen müßten. Einmal, es war in Boppard im Jahre 1508, richtete er acht Fragen an den berühmten Abt Trithemius, darunter


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