Gesammelte Werke. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.die Kirche machen mußte, um ihre alte Macht zu behaupten. Bereits war dem Staat mancher Vorstoß in die Festung der kirchlichen Rechte gelungen, und zwar gerade von seiten besonders kirchlicher Fürsten. So hatten Ferdinand und Isabella, die sich die katholischen Könige nannten, als wären sie es in einer bestimmteren Art als andere, die spanische Kirche in hohem Grade von sich abhängig gemacht, und von dem sehr kirchlichen Herzog Georg von Sachsen wird die Äußerung berichtet, er sei in seinem Lande Papst, Kaiser und Deutschmeister. Ähnlich soll sich der Herzog von Cleve ausgesprochen haben, und sicher war dies das geheime Ziel aller Staatsmänner. Während sie es zu erreichen suchten, indem sie irgendeine Gelegenheit benützten, in eine zufällige Lücke zu schlüpfen, kämpfte Gregor von Heimburg grundsätzlich. Er fuhr fort, den Primat des Papstes zu bestreiten, und riß einige Fürsten, sogar geistliche, mit sich fort. Erzbischof Jakob von Trier verlangte ein Konzil, um einen Druck auf den Papst auszuüben; nach seinem Tode setzte Dietrich von Erbach, Erzbischof von Mainz, seine Politik fort, unterstützt und angespornt durch den Heidelberger Martin Mayr, seinen Kanzler. Die Ausschreibung eines Ablasses durch den Papst verstärkte die Opposition; denn die Beschwerden, die man gegen den Papst hatte, betrafen zumeist die finanzielle Ausbeutung, und deren ertragreichstes Mittel waren neben den Annaten die Ablässe, die von Zeit zu Zeit verkündet wurden. Getragen von der allgemeinen Entrüstung, schrieb Martin Mayr im Jahre 1457 einen Brief an Enea Silvio Piccolomini, in welchem er das Wesentliche, was die deutsche Nation dem Papst vorwarf, in 10 Punkte zusammenfaßte. Sie betrafen die Eingriffe des Papstes in die Wahl der Prälaten, deren Freiheit durch Dekrete des Konstanzer und Baseler Konzils gesichert war, übertriebene Geldforderungen wie die durch Ablässe, Türkensteuer und über das festgesetzte Maß hinausgehende Annaten, schließlich Eingriffe in die Gerichtsbarkeit, indem der Papst alle Prozesse vor sein Tribunal zu ziehen suchte. Wenn diese Mißbräuche nicht abgestellt würden, werde es zum Abfall von Rom kommen.
Dieser Brief Martin Mayrs hätte noch größere Wirkung ausgeübt, wenn der Druck damals schon erfunden gewesen wäre; aber unter den Gebildeten wurde er verbreitet und ist denkwürdig als das erste halböffentliche Dokument, das die Beschwerden der Deutschen gegen den Papst aufzählte. »Tausend Schliche werden ersonnen«, hieß es in dem Brief, »wie der Römische Stuhl uns Barbaren das Geld auf eine feine Art aus dem Beutel ziehen kann. Unsere ehemals so berühmte Nation, die mit ihrer Tapferkeit, ihrem Blute das Römische Reich zusammengebracht hat und die Herrscherin und Königin der Welt war, ist jetzt in Armut gestürzt, Sklavin und zinsbar geworden.« Wenn sich Martin Mayr an Piccolomini wandte, geschah es wohl deshalb, weil man wußte, welchen Einfluß er im Interesse des Papstes auf den Kaiser ausgeübt hatte, und weil er unter allen Italienern der einzige war, der die deutschen Verhältnisse gut und aus eigener Anschauung kannte. Piccolomini gab zu, daß die Deutschen dem Heiligen Stuhl Geld darbrächten, sie aber hätten von Rom den christlichen Glauben empfangen. Wer habe dem andern mehr gegeben?
Zu so höhnischer Antwort berechtigte Piccolomini die Bestechlichkeit der Fürsten. Sowohl Trier wie Mainz ließen sich die Opposition abkaufen, wenn nur genug gezahlt wurde. Es gelang in diesem Falle dem Markgrafen Albrecht Achilles, den Mainzer für den Kaiser und damit für den Papst zu gewinnen, Martin Mayr ging zum Pfalzgrafen über, der in der Hoffnung, römischer König zu werden, die Opposition weiterführte.
Ein Jahr schon, nachdem Martin Mayr seinen berühmten Brief erlassen hatte, wurde Piccolomini Papst; noch ein Jahr später starb Dietrich von Erbach, und Dietrich von Isenburg, der neugewählte Erzbischof, nahm den von seinem gealterten Vorgänger aufgegebenen Kampf gegen Papst und Kaiser wieder auf. Zum Zeichen seiner Gesinnung nahm er Gregor von Heimburg in seinen Dienst, der damals die Sache Siegmunds von Tirol gegen den Papst vertrat. Weite Kreise im Reich verfolgten die große Auseinandersetzung im kleinen entlegenen Tirol mit lebhafter Teilnahme, die Verfluchung Heimburgs, seinen Appell an ein künftiges Konzil und alle Freunde unschuldig durch eine gewalttätige Übermacht Verfolgter. Auf mehreren Tagungen ballte sich die Opposition so mächtig zusammen, daß ein entscheidender Schlag bevorzustehen schien; aber wieder gelang es Papst und Kaiser, die Front der Gegner aufzulösen, namentlich dadurch, daß sie den Gegensatz zwischen Pfalz und Böhmen benutzten, die beide nach der Königskrone strebten. Der Erzbischof von Mainz wurde zur Strafe entsetzt und zog die Stadt Mainz, die ihm treu blieb, mit in seinen Fall.
Eine gesonderte Opposition von Reichsfürsten kam seitdem nicht mehr zustande; anstatt dessen wurden, nachdem die Kirchenreform ganz von der Reichsreform getrennt worden war, die Beschwerden gegen den Papst, auf lateinisch Gravamina, ein Gegenstand der Beratung auf allen Reichstagen. Den Reichstag zu Nürnberg des Jahres 1501 beschäftigte der vom Papst ausgeschriebene Jubiläumsablaß. Trotz der Anwesenheit des päpstlichen Legaten ging der Beschluß durch, daß der Ablaß nur dann verkündet werden dürfte, wenn das erzielte Geld im Reiche bliebe.
Maximilian war auch in seinem Verhältnis zur Kirche ganz von seinem Vater verschieden. Unterordnung unter den Papst lag ihm fern. Kirchlich war er insofern, als er ein Freund der Tradition war und das Verbindende alter, durch lange gemeinsame Übung geweihter Gebräuche fühlte; so hat er die Ausstellung des Heiligen Rockes von Trier erneuert. Im Papst sah er vor allen Dingen den italienischen Fürsten, der eine erhebliche Rolle in der abendländischen Politik spielte und ihm in seinen Kriegen mit Frankreich und in Italien böse Streiche anzetteln konnte. Das Gewicht, das dem Papst seine Ausnahmestellung immer noch gab, war ihm oft sehr im Wege. Als Fürst und Kaiser hatte er Sinn genug für die staatlichen Rechtsansprüche, um eine Beschränkung der kirchlichen Eingriffe zu wünschen, und als ständiger Reichstagsbettler sah er ungern den Strom des deutschen Geldes nach Rom fließen. Indessen war es eine heikle Sache, in der man behutsam vorgehen mußte und über die er sich zunächst einmal mit seinen Vertrauten besprach. Des Wortes mächtig, wie er war, liebte er es, mit seinen Humanisten über die großen Fragen der Zeit zu reden. Einmal berief er Sebastian Brant zu diesem Zwecke, ein andermal Geiler von Kaisersberg. Es war bekannt, wie rückhaltlos sich dieser Geistliche über die Verderbnis der Kirche und des Glaubens zu äußern pflegte; man schrieb ihm den Ausspruch zu, er hoffe zu erleben, daß Gott einen Mann zur Erneuerung der Kirche erwecken werde, und wenn das geschehe, wolle er dessen Schüler werden. Als im Jahre 1509 eine Wendung in den politischen Verhältnissen eintrat, die Maximilian gegen Papst Julius II. aufbrachte, kam ihm der Gedanke, ob es tunlich sei, die pragmatische Sanktion, die die Beziehungen Frankreichs zum Heiligen Stuhl in einer für den Staat vorteilhaften Weise geregelt hatte, in Deutschland einzuführen. Von Wimpheling, dessen Neffe Jakob Spiegel sein Sekretär war, verlangte er ein Gutachten, ob und wie die pragmatische Sanktion auf die deutschen Verhältnisse anzuwenden sei. Wimpheling, der, wie die meisten älteren Humanisten, bei aller Begeisterung für den Kaiser und kaiserliches Ansehen an der Suprematie des Papstes festhielt, riet nicht zur Einführung der pragmatischen Sanktion, dagegen solle vom Papst die genaue Beobachtung der mit dem Reich geschlossenen Konkordate zu erlangen gesucht werden, und zwar auf dem Wege friedlicher Vereinbarung. Er fügte seinem Gutachten die zehn Klagepunkte bei, die Martin Mayr in seinem berühmten Brief vor nun etwa 50 Jahren aufgesetzt hatte.
Ob ein revolutionärer Rat Wimphelings wirkungsvoller gewesen wäre als der vorsichtige? Es ist nicht anzunehmen; denn wie schroff sich auch im Spiel der Gedanken Maximilian oft zu dem Problem stellte, er blieb auf der Ebene des Spiels, wo er sich um so verwegener, weil ganz folgenlos tummeln konnte.
Wie der große Künstler, der ihn gezeichnet hatte, war Maximilian voller Figur: Pläne zu Denkmälern, zu Dichtungen, zu Organisationen, zu heroischen Taten, zu folgenschweren Umwälzungen tauchten wechselnd in seinem tätigen Geist auf. Als er sich mit Wimpheling beriet, dachte er an eine Staatskirche, wie sie in Frankreich begründet worden war; aber schon vorher war ihm ein anderer, höchst merkwürdiger Einfall gekommen, nämlich, ob er nicht selbst Papst werden könne. Schließlich war es noch nicht lange her, daß ein weltlicher Fürst, Felix von Savoyen, Papst geworden war. Als im Jahre 1511 Julius II. erkrankte und dem Ende nahe schien, hielt er den Augenblick für gekommen, das Spiel seiner Gedanken zu verwirklichen. Er überlegte sich, welche Persönlichkeiten mit welchen Mitteln gewonnen werden müßten, und zog den und jenen ins Vertrauen. Dabei schien er bald nur die weltliche Gewalt des Papstes, die sogenannten Temporalien, an sich ziehen, bald selbst den Päpstlichen Stuhl besteigen und dennoch Kaiser bleiben zu wollen. Seiner Tochter Margarete, die an Stelle seines jungen Enkels Karl die Niederlande regierte und die ihn zu einer neuen Heirat ermunterte, schrieb er, er