Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Eingeweide spinne, aus sich selbst heraus reden zu können. Er wolle jetzt das Studium der göttlichen Dinge betreiben, die nicht der Bewässerung durch die Fluten tullianischer Eloquenz, nicht der Redeblümchen Quintilians bedürften, sondern einer Rede, die die Sache erläutere, den Sinn kennen lehre, Dunkles aufhelle. Aber es ist nur selten, wenn überhaupt möglich, in einer fremden, erlernten Sprache Eigenes auf eigene Art zu sagen. Mochte je einmal einer von den gekrönten Dichtern vom Überschwang dichterischer Kraft erfüllt sein, Gestalt vermochte er ihm nicht zu geben. Wir begreifen diesen Dichtern gegenüber, daß Wimpheling sagte: Poesie sei ein Anhängsel der Grammatik und zu nichts gut, als die Silben zu messen. Es ist charakteristisch, daß die Dichterkrönung als greifbaren Gewinn das Recht einbrachte, an Universitäten die freien Künste zu lehren. Hervorragende Leistungen in der Poesie stellten den Dichter dem Gelehrten gleich, verdankte er sie doch seinem Fleiß und seinen gelehrten Kenntnissen.

      Im Vergleich mit den italienischen Humanisten haftete den Deutschen etwas Spießbürgerliches, Beschränktes an. Zu einer Zeit, als in Italien die neubelebte Wissenschaft mit großartiger Naivität und stolzer Zuversicht gegen alles Bestehende anstürmte, konnte Enea Silvio Piccolomini Deutschland ein »gleichsam außerhalb der gebildeten Welt liegendes Land« nennen. Allmählich aber ersetzten deutsche Bedächtigkeit und Gründlichkeit das geistige Feuer und führten zu bedeutenden Leistungen. Das Studium der Sprachen wurde auf durchdachte Art betrieben, die Methode des Erlernens verbessert, Lehrbücher und Grammatiken wurden geschaffen. Auch auf dem Gebiet der Rechtswissenschaft, die auf den Universitäten von Bologna, Padua, Pisa und Pavia studiert wurden, kam der Anstoß von Italien; aber schon der Umstand, daß das römische Recht in Beziehung zum deutschen gesetzt werden mußte, bedingte eine besondere Entwicklung. Ulrich Zasius, das Haupt der deutschen Rechtslehrer, war durchaus nicht für kritiklose Übernahme des römischen Rechtes, er wollte es nur übernommen wissen, soweit es für Deutschland heilsam und seinen Sitten entsprechend sei, hauptsächlich in bezug auf die juristische Technik und die allgemeinen Rechtsgrundsätze. Schon im Beginn des 15. Jahrhunderts wurde über das Fehlen allgemeiner leitender Grundsätze und über den Mangel an Einheitlichkeit im deutschen Recht geklagt. Nikolaus von Cusa, auf allen Gebieten führend, schlug vor, die provinziellen Gewohnheitsrechte aufzuzeichnen und allgemeine Rechtssätze aus ihnen abzuleiten. Soweit das Gewohnheitsrecht schlecht sei, solle es abgeschafft oder mit dem allgemeinen Gesetz der Natur und Vernunft in Einklang gebracht werden. Auch haben Aufzeichnungen der Stadt- und Landrechte seitdem vielfach stattgefunden; allein da das römische Recht gelehrt wurde und allgemeine Grundsätze enthielt, war es natürlich, daß diese übernommen wurden. Wo das deutsche Recht einigermaßen einheitlich und gut überliefert war, wie in Bayern und in den Hansestädten sächsischen Rechts, konnte das römische Recht nur langsam eindringen. Wie die anderen Gebiete des menschlichen Geisteslebens, so war auch das römische Recht durch einen Wust von Glossen und Kommentaren überdeckt und entstellt; das Zurückgehen auf die Quellen waren die wesentliche Tätigkeit und das größte Verdienst des Ulrich Zasius. »Vor allem will ich bekennen«, schrieb er, »daß ich allein von dem Texte der Quellen und von wahren und sicheren Gründen, die auf dem Recht oder der Natur der Sache beruhen, abhängen, nur auf diese mich stützen will.« Der Wirbelwind der Meinungen habe bei ihm nicht das geringste Ansehen, wenn er nicht auf den Quellen des Rechtes oder auf der klaren Vernunft beruhe.

      In der Geschichte begann man gleichfalls auf die Quellen zurückzugehen, bemühte man sich um Feststellung der Tatsache, räumte man auf mit den grotesken Vorstellungen, die namentlich in bezug auf die Herkunft der Nationen und Dynastien mitgeschleppt waren. Daneben freilich entfaltete sich üppig wie je die Konstruktion einer deutschen Urgeschichte, die die deutsche Nation als zur Weltherrschaft berufen darstellen sollte: die heutige deutsche Sprache ist die älteste und wird einst alle anderen Sprachen verdrängen. Schon Adam, der ein deutscher Mann war, sprach sie, und durch Japhet, der vor der babylonischen Sprachverwirrung auszog, ist sie nach Europa verpflanzt worden. Es ist ein garstiger Fehler des Alten Testamentes, daß es von der Wanderung Japhets nichts berichtet; er ist zu Istein im Breisgau bestattet worden. Auch Alexander der Große war ein deutscher Held und Statthalter über das von den Deutschen unterworfene Griechenland. Jerusalem ist von den Deutschen gegründet. Die Amazonen stammen von den Sachsen ab. Die Deutschen waren, als die Söhne Japhets, auch die ersten Christen und haben bei Basel und Trier christliche Tempel gegründet. Das Gegenstück zu der Verherrlichung der Deutschen bildet eine entsprechend verächtliche Ableitung der romanischen und slawischen Völker. Solche Ausgeburten kindlicher Vaterlandsliebe waren dem Volke immer noch willkommen.

      In einem merkwürdigen Gegensatz zu so wirrer Phantastik stehen die Leistungen der Deutschen auf dem Gebiete der Mathematik. Auch hier ist Nikolaus von Cusa führend. Weil er die Mathematik als die am wenigsten an die Sinnlichkeit gebundene Wissenschaft für am meisten geeignet hielt, ein Bild des Unendlichen zu sein, beschäftigte er sich besonders mit ihr. Er tat es zum Zweck besserer Erkenntnis Gottes, forderte aber auch eine exakte Wissenschaft, die sich, abgesehen von dem Urgrund, dem sie zum Bilde dient, der Erforschung des Bildes widmet. Mit besonderer Neigung und Begabung warfen sich nun die Deutschen auf das Studium der Mathematik, namentlich in ihrer Anwendung auf Astronomie und Geographie. Als Wunder des Jahrhunderts wurde Johannes Müller, nach seinem Geburtsort Königsberg bei Haßfurt Regiomontanus genannt, im Abendlande gefeiert. Er war Schüler des Georg von Peuerbach, der in Wien lebte und dessen Werk über die Planeten er herausgab. Nachdem Regiomontanus in Padua einen arabischen Astronomen erklärt und dann die Trigonometrie begründet hatte, ließ er sich in Nürnberg nieder und entfaltete dort eine großartige wissenschaftliche und praktische Tätigkeit. Er gründete eine Druckerei, in der die Werke des Altertums und Mittelalters über Mathematik und Astronomie, und eine Werkstatt, wo nach seiner Angabe Kompasse, Himmelsgloben, Karten hergestellt werden sollten und wurden. Dies war der Beitrag, den Deutschland zu den Entdeckungen der großen Seefahrer des Jahrhunderts lieferte. Durch Vorträge weckte er Interesse für seine Wissenschaft, das sich rasch zu leidenschaftlicher Anteilnahme steigerte. Die reichen Patrizier Nürnbergs förderten seine Unternehmungen, Bernhard Walther, ein Geschäftsführer bei der berühmten Firma Vöhlin und Welser, ermöglichte ihm durch seine finanzielle Hilfe die Gründung einer Sternwarte. Nach dem Tode seines Freundes setzte Walther seine Bestrebungen fort. Sowohl Peuerbach wie Regiomontanus sind jung gestorben. Der letztere starb im Jahre 1476 in Rom, wohin Sixtus IV. ihn berufen hatte, um ihn bei der Verbesserung des Julianischen Kalenders zu beraten. Drei Jahre vorher war Kopernikus geboren, dessen Werk De revolutionibus orbium celestium die Arbeit der beiden Vorläufer vollenden sollte.

      Es waren anfangs keine umwertenden und umstürzenden Absichten mit diesen Arbeiten verbunden: die Kraft, die lange gerastet hatte, versuchte freudig, unermüdlich ihre Schwingen. Aber wie konservativ auch die Gesinnung und wie angemessen dem herrschenden Weltbilde auch die Leistung war, die Wissenschaft, die bescheiden nichts zu wollen schien, als zu den Quellen zurückzukehren, war doch die Macht, die den Anspruch in sich trug, die Welt umzuschaffen. Daß sie das Entartete beseitigen wollte, machte ihr den Zweifel zur Pflicht, die Reformation, deren Notwendigkeit auf allen Gebieten jeder einsah, verlangte Kritik alles Bestehenden. Da die Autoritäten, die Dekrete, das Herkommen die Menschen in ein fast unentwirrbares Netz von Übeln verstrickt hatten, suchte man einen zuverlässigen Grund in den Gesetzen zu finden, die in den Dingen selbst lägen. Als Führers bediente man sich der Vernunft und der Natur der Dinge. Die Wissenschaft löste langsam die Welt des Augenscheins, aufgenommen und aufgebaut von den Sinnen, als ein großartiges, die Menschheit umfassendes Gewölbe in ein unendliches Gegenbild des konstruierenden Verstandes auf. Sie wirkte klärend und auflösend, bis die Welt des Verstandes so übersichtlich daliegen würde, daß der Mensch sie seinen Bedürfnissen entsprechend ordentlich einrichten könnte. Sie würde alles bisher Geglaubte aufheben, und wenn es ihr richtig schiene, auch sich selbst aufheben; aber nur, um sich immer wieder neu zu setzen.

      Dem Erwachen der Wissenschaft stand das Sinken der Religiosität und der Sittlichkeit gegenüber. Da es immer Sittenrichter gibt, die die Lasterhaftigkeit ihrer Mitmenschen als Ausnahmezustand ihrer Zeit betrachten, ist es schwer, den Grad der Unsittlichkeit im 15. Jahrhundert richtig zu beurteilen; aber das übereinstimmende Urteil vieler gebildeter, denkender Menschen muß doch als Beweis für einen erschreckenden Verfall gelten. Unter vielen seien nur einige Äußerungen angeführt. Um die Mitte des Jahrhunderts zählte Nikolaus von Cusa als unheilvolle Zeichen auf: die zentrifugale Tendenz, die Ehrfurchtlosigkeit der


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