Gesammelte Werke. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.»Was gilt uns heute noch heilig, uns, den Christen, die wir zu innerer Beschämung gestehen müssen, daß unsere heidnischen Vorfahren weit besser waren als wir? Wir bringen es über uns, über jede Schandtat zu lachen, wir finden für alles, was wir heutzutage treiben, eine Rechtfertigung im Zeitgeist: er muß Unsittlichkeiten empörendster Art, er muß Trunksucht entschuldigen. Der Zeitgeist muß als Deckmantel dienen für diejenigen jungen Leute, welche als Reisläufer ein leichtsinniges Lasterleben führen, für die Unersättlichen, welche in gieriger Gewinnsucht nie genug zusammenscharren können, für die habsüchtigen Geistlichen, welche Pfründen auf Pfründen häufen und doch nie zufrieden sind.« Und in dem früher angeführten Briefe von Sebastian Brant heißt es: »Lange habe ich des Reiches Geschick beklagt; fast habe ich für dasselbe keine Tränen mehr, denn ich sehe, daß alles nach einer eisernen Notwendigkeit geschieht. Was ich vor langer Zeit über die verkehrte Ordnung in der Welt geschrieben und geweissagt habe, das ist leider eingetroffen: alles ist Zwietracht, kein Gesetz, keine Freundschaft mehr in der Welt! Alle wüten gegeneinander wie Löwen und Wölfe!«
Ritter
Noch immer erinnerten die Formalitäten, mit denen die Ritter eingekleidet wurden, an das Ideal, dem sie dienen sollten. Die Kunst stellte mit Vorliebe den Ritter Sankt Georg dar, ihren Patron, wie er den Drachen bekämpft, das Symbol des Bösen. Die berühmten Holzgruppen der Lübecker Bernt Notke und Henning von der Heide zeigen im Hintergrunde die Jungfrau, die der Held errettet gemäß der Ritterpflicht, bedrängten Frauen, Witwen und Waisen beizustehen. In diesen gerüsteten Gestalten vereinen sich Mut und Kraft des Kämpfers mit der strahlenden Sicherheit des Götterboten. Über der phantastischen Scheußlichkeit des Drachen flammt er ohne Makel. Auf den Grabsteinen in den Kirchen sehen wir die irdischen Ritter in Erz und Stein, bald die Hand am Schwert, bald die Hände zum Gebet gefaltet, bald jugendlich schlank, bald breit und gelassen. Sie scheinen bereit, vor ihren himmlischen Herrn zu treten mit dem Bewußtsein, oft gefehlt, aber ehrlich gestrebt zu haben.
Diese Verherrlichung des Rittertums durch die Kunst entstand zu einer Zeit, als ein großer Teil der Ritterschaft zu Schnapphähnen geworden war, die ihrer Armut durch Beraubung reisender Kaufleute abzuhelfen suchten, die nicht Witwen und Waisen beschützten, sondern die Frauen in Dorf und Stadt zu Witwen und Waisen machten. Es waren Leute von abgefeimter Roheit darunter, die nicht einmal das Flehen ihrer Opfer erhörten, wenn sie baten, ihnen die linke statt der rechten Hand abzuhauen. So waren nicht alle; aber auch die Besseren und Besten hielten sich auch nach Abschaffung des Fehderechtes noch für befugt, sich seiner zu bedienen, was sie vor sich selber damit rechtfertigen mochten, daß die Gerichte mangelhaft wären und daß die Fürsten nach Belieben Krieg führten. Wenn einem selbst Anlaß zur Fehde fehlte, erkundete man Leute mit irgendwelchen Ansprüchen, die auf dem Rechtswege nicht befriedigt worden waren, und trieb sie mit Waffengewalt ein. Mit Vorliebe befehdeten die Ritter Städte, deren Kaufleute sie dann überfallen und plündern konnten, wenn der erschreckte Magistrat sich nicht sofort mit einer großen Summe loskaufte. Auf diese Weise konnte man sich bereichern und zugleich die verhaßten Stände der Städte und Fürsten schädigen. Silvester von Schaumberg, ein sehr angesehener fränkischer Ritter, sagte einmal dem Bischof von Bamberg Fehde an, weil er wichtige geistliche Stellen an Schusters- und Schneiderssöhne und andere hergelaufene Leute vergeben habe zu Schmach und Schaden der Ritterschaft, die diese Stellen für sich in Anspruch nahm, weil sie von ihren Vorfahren gestiftet wären. Die Bischöfe von Würzburg und Bamberg waren dem Angriff der fränkischen Ritterschaft besonders ausgesetzt. Die Gefahr war groß, weil alle zusammenzuhalten pflegten und ihrer sehr viele waren. Herzog Ulrich von Württemberg soll nach der Ermordung des Hans von Hutten über fünfhundert Fehdeansagen erhalten haben.
Die Lage des Ritterstandes war ein allgemeines Übel und Problem, das viele Reichstage beschäftigte. Sie waren die Arbeitslosen und Anarchisten jener Zeit, Arbeitslose, für die es eine standesgemäße Arbeit zu finden galt. Durch bürgerliche Arbeit hätten sie geglaubt, sich zu erniedrigen; aber auch die Bürger hätten das als einen Eingriff in ihre Rechte beanstandet. Eins blieb dem Ritter übrig, als Rat oder hoher Beamter in den Dienst von Städten oder Fürsten zu treten. Viele taten das und kamen auf diesem Wege zu gesichertem Einkommen und Ansehen; aber andere sahen darin eine Demütigung oder steiften sich auf ihren ritterlichen Beruf, der Studium und Federfuchserei nicht gestatte.
Der natürliche Stützpunkt der Reichsritter war der Kaiser. Sie hatten ein Interesse daran, seine Macht zu stärken, wie er, sich ihrer gegen die Fürsten bedienen zu können. Verschiedentlich hatten Kaiser versucht, diesen abgesplitterten Stand, der sich nirgends mehr angliedern konnte und wollte, zu erneuern und sich enger zu verbinden, so Siegmund und Maximilian I., beide allerdings vergeblich. Die Bemühungen Maximilians scheiterten daran, daß die Ritter nicht auf die Bedingung eingingen, es solle jeder mit vollendetem 18. Lebensjahre gewissen Gerichtshauptleuten, die der Kaiser setzen würde, sich eidlich verpflichten, keinen Straßenraub zu begehen. Nicht daß nicht viele Ritter den Straßenraub mißbilligten; aber erstens sahen sie die Fehde nicht für Straßenraub an, und sodann zweifelten sie, und vielleicht mit Recht, ob das neue Recht, welches der Kaiser ihnen verleihen wollte, sie gegen die Fürsten genügend sicherstellen würde. Sie antworteten dem Kaiser, sie wollten bei dem alten Herkommen bleiben. Auf diesem unfruchtbaren Standpunkt erstarrten sie. Lieber als durch Reichstagsbeschlüsse zu irgendeiner Steuer verpflichtet zu werden, entbehrten sie des Rechtes der Teilnahme an den Reichstagen. Um nicht besteuert zu werden, lehnten sie zur Zeit der Kämpfe um die Reichsreform den Gemeinen Pfennig ab, der die Macht des Kaisers gestärkt hätte, des einzigen, der sie gegen die Fürsten schützen konnte. Grollend saßen sie auf ihren Burgen, verzehrten die knappen Einkünfte, die ihre Untertanen ihnen lieferten, und hielten sich für die von aller Welt Gekränkten. Im Beginn des 16. Jahrhunderts schien der Ritterschaft in Franz von Sickingen ein Führer erstanden zu sein, der es zu solcher Macht und solchem Ansehen gebracht hatte, daß er sich Fürsten gleichstellen konnte. Er war 1481 geboren, zwei Jahre älter als Luther. Die Familie stammte aus dem Kraichgau; Franz war ein kleines Kind, als sein Vater die Ebernburg bei Kreuznach erwarb. Außer dieser gehörte ihm die Burg Landstuhl bei Kaiserslautern. Das Vermögen, das sein Vater begründet hatte, erweiterte er beträchtlich, besonders durch Bergbau, aber auch durch Fehden. Die Rolle des Beschützers verunrechteter Schwacher zu spielen, entsprach seiner Gesinnung, in der etwas Großmütiges war; sich im Gegensatz zu den herrschenden Mächten zu fühlen, schreckte ihn nicht, war seinem Stolz eher eine Genugtuung. Im Jahre 1512 hatte in der Stadt Worms eine Erhebung der Gemeinde gegen den Rat stattgefunden, die vom Kaiser niedergeschlagen und bestraft worden war. Unter denen, welche bei dieser Gelegenheit auswandern mußten, war ein bischöflicher Notar, Balthasar Schlör, der große Forderungen an Wormser Bürger zu haben behauptete. Da er sich mit seiner Klage an Sickingen wandte, nahm dieser ihn in seinen Dienst und ließ sich seine Forderungen übertragen. Ohne sich auf den von der Stadt Worms vorgeschlagenen Rechtsweg einzulassen, überfiel er Wormser Kaufleute, die auf einem Heidelberger Schiff nach Frankfurt fuhren, nahm ihnen ihre Waren fort und brachte sie auf die Ebernburg. Dann erst sagte er die Fehde an. Trotzdem der Kaiser die Acht über ihn verhängte, wonach er aus dem Adel ausgestoßen und den unvernünftigen Tieren und ehrlosen Menschen zugesellt wurde, ging die sogenannte Franzensfehde Jahre hindurch zum ärgsten Schaden der Stadt weiter, ohne daß der Kaiser ernstlich eingeschritten wäre. Eine andere Fehde führte Sickingen gegen die Stadt Metz, eine andere gegen den jungen Landgrafen Philipp von Hessen, der, fast noch ein Knabe, eben die Regierung angetreten hatte. In beiden Fällen kauften sich die Angegriffenen mit sehr großen Summen los. Ein solcher Ruf der Unbezwingbarkeit umgab Sickingen, daß die Mächtigen, anstatt ihn zu unterwerfen, sich um ihn bewarben. Durch Vermittlung eines Freundes trat er in den Dienst des Königs von Frankreich, dann, nachdem er diesen aufgegeben hatte, in den des Kaisers. Noch kurz zuvor hatte Maximilian die Waffen gegen den Abtrünnigen wenden wollen, aber da er bei den Kreisen keine Unterstützung fand, ließ er sich herbei, ihn gnädig aufzunehmen. Das Fränzchen erschien 1517/18 in Mainz und Innsbruck vor Maximilian, versprach gegen Herzog Ulrich von Württemberg zu dienen und ließ zum Andenken an diese Begegnung eine goldene Denkmünze schlagen, auf der er vor dem Kaiser kniend abgebildet war. Auf dem Feldzuge gegen den Württemberger, der erst nach dem Tode des Kaisers, im Sommer 1519, zustande kam,