Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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für den Fall, daß Stuttgart mit Gewalt sollte erobert werden, nicht beschädigt würde, besuchten ihn und versicherten ihn ihrer Hilfe, wenn er durch seine Gegner noch ferner belästigt würde. Bei Worten ließ es Sickingen nicht bewenden. Er sagte dem Predigerorden förmlich die Fehde an, das heißt er verlangte von ihm, daß er aufhöre, Reuchlin zu belästigen, und daß er die Kosten des Prozesses trage. Der Schrecken, der vor Sickingens Namen herging, war so groß, daß der Orden auf alles einging; unterderhand allerdings bezeichnete er dem Papst das Zugeständnis als erzwungen und erreichte auch, daß Leo, die Entscheidung der früher von ihm eingesetzten Kommission mißachtend, Reuchlins Buch verurteilte. Indessen war er dadurch, daß die Herzöge von Bayern ihn als Professor nach Ingolstadt beriefen, vor ernstlichen Verfolgungen geschützt. Obwohl nur sieben Jahre älter als Hutten, hatte Sickingen ein beträchtliches Stück Leben vor ihm voraus, das ihn gesetzter, gesättigter machte. Er hatte früh geheiratet und vor einigen Jahren seine Frau verloren, nachdem sie ihm drei Töchter und drei Söhne geboren hatte. Es scheint, daß sein häusliches Leben ihn befriedigt hatte, wieder verheiratet hat er sich nicht. Es ist nicht unmöglich, daß Äußerungen Sickingens oder sein Beispiel Huttens Gedanken auf die Ehe lenkten. Bald nach ihrer Begegnung schien das Schicksal ihm einen Weg zu öffnen, der von der tragischen Bahn abführte, die er eingeschlagen hatte. Sehnsucht nach Glück ergriff ihn, nach der einfach schönen Beseligung durch Liebe, wie sie aller Menschen, auch der ärmsten, Bestimmung und Geschenk sein kann, nach Weib und Kind, nach einem Eigen, einer Häuslichkeit, wo alle Mißtöne sich in Wohlklang lösen, wo unter einer weichen Hand Friede und Heiterkeit blüht. Man weiß, daß das Mädchen, das er heimzuführen hoffte, Katharina Glauburg aus Frankfurt war, die Schwester eines Freundes. Er träumte von einem Haus, das ihre Lieblichkeit durchleuchtete, wo er, der bisher bei andern Gast und Fremdling gewesen war, in schönen Räumen und Gärten Freunde empfangen konnte, wie er es wohl in Nürnberg und Augsburg bei den reichen Patriziern gesehen hatte.

      Vielleicht, daß Katharina Glauburg dem unscheinbaren, aber temperamentvollen Ritter zugelächelt hatte; aber ihre Mutter hielt den kränklichen Mann, der keine gesicherte Stellung hatte und durch rebellische Schriften Anstoß erregte, nicht für einen zu ihrer Tochter passenden Ehemann. Sie hatte wohl recht. Würde er die Fessel des häuslichen Glücks nicht abgeworfen haben wie einst die Kutte? Keine Äußerung von ihm verrät uns, ob der Ausgang ihn schmerzte, und wie tief. Nur einmal, wo er von seiner Mutter spricht, bebt eine süßere Schwingung persönlichen Lebens über die Saiten dieses heroischen Dichters. Über den zerfließenden Traum hinweg stürzte er sich, ohne zurückzublicken, in den Kampf.

      Luther

       Inhaltsverzeichnis

      Im Jahre 1505, als Maximilian I. durch seinen großen Sieg in Deutschland zu Ansehen kam und glaubte, eine Reichsreform im kaiserlichen Sinne aufrichten zu können, lud ein 22jähriger Magister in Erfurt seine Freunde ein, den letzten Abend mit ihm zu verbringen, bevor er ins Kloster eintrete. Er hieß Martin Luther und war in Eisleben geboren als Sohn eines Bergmanns, der bald nach des Ältesten Geburt nach Mannsfeld gezogen war und es zu Wohlstand gebracht hatte. Die Freunde waren über den ihnen unbegreiflichen Entschluß betrübt, kannten sie doch Luther als einen fröhlichen Gefährten, der sich zwar von studentischen Ausschweifungen stets zurückgehalten hatte, aber als der Sohn eines vermöglichen Vaters, als angehender Jurist, reich begabt und anziehend, am Anfang einer aussichtsreichen weltlichen Laufbahn stand. Sie wußten wohl, daß er fromm war und sein Morgengebet nie versäumte; doch war das kein Grund für einen Humanisten, zu denen er sich zählen durfte, in die verachtete Niederung des Klosters hinabzusteigen. Martin Luther gab als Grund an, daß er, vom grellen Blitz eines Sommergewitters erschreckt, der heiligen Anna gelobt habe, ins Kloster einzutreten, wenn sie ihn schütze; das hielt er für bindend.

      Dem frohen Fest des erlangten Magistergrades folgte nun die Aufnahme ins Kloster; am Ende desselben Jahres wurde er als Novize eingekleidet, im Jahr darauf tat er Profeß und empfing 1507 die Priesterweihe. Die uralten Gebräuche, die Heiligung der Hände durch das Chrisma, der Friedenskuß, die feierlichen Worte des Weihbischofs: Accipe potestatem legendi Evangelii tam per vivos quam per defunctos in nomine dornini erschütterten den jungen Gläubigen. Sein strenger Vater, den der eigenmächtige Schritt heftig erzürnt hatte und dem erst der Tod zweier Söhne und die falsche Nachricht, auch Martin sei als Opfer der Pest gestorben, so weit erweicht hatte, daß er verzieh und zur Feier der Priesterweihe stattlich angereist kam, blieb ungerührt dabei, daß der Gehorsam gegen die Eltern ebensowohl von Gott geboten sei wie das Halten eines Gelübdes. Ohnehin hatte er eine geringe Meinung von den Klöstern.

      Es schien nun alles in Ordnung zu sein und Martin den Beruf erwählt zu haben, der seiner religiösen Anlage gemäß war. Worin aber bestand eigentlich dieser Beruf! Damals war er doch nicht viel mehr als ein in umständliche Formen gebrachter Müßiggang. Wenn Luther als Student und Magister sich nach der Einsamkeit des Klosters gesehnt hatte, um einmal ungestört sich in die Abgründe der Seele zu versenken und die Stimme Gottes zu vernehmen, erlebte er nun die Schrecken und Abgründe der Einsamkeit. Wie alle, die eine große Kraft in sich spüren und die es in die Wüste zieht, wo sie die Stimme der Berufung hören können, erfuhr er, daß nicht nur Gott, sondern auch die Dämonen den Einsamen heimsuchen. In Menschen von religiöser Genialität pflegt eine besonders große Spannung zu sein, was wohl darauf beruht, daß die Gegensätze des geistig-körperlichen Lebens da am stärksten sind, wo der höchsten und umfassendsten Steigerung des Menschentums zugestrebt wird. Die vielen, die Luther Herrschsucht, Streitsucht, Hochmut, Rechthaberei vorwarfen, werden nicht unrecht gehabt haben; wieviel mehr als andere mag die zarte, gläubige Kinderseele, die seines Wesens Mittelpunkt war, durch die gewalttätige Nachbarschaft geängstigt worden sein. Die Kinderseele fühlte sich nur glücklich, wenn sie zu Gott emporschauen, beten, loben und danken konnte; war sie zur Strafe einer Schuld an so wilde Gesellen gebunden, daß sie sich nicht erwehren konnte? Die innere Spannung führte in der Stille des Klosters zu Seelenzuständen von schwerer Melancholie bis zu Angst und Verzweiflung. Die Strafen der klösterlichen Zucht, die er sich auferlegte, verschärften seine Qualen, anstatt sie zu mildern; was er hörte und las, schien ihm das Verdammungsurteil Gottes über ihn zu bestätigen. Es kam so weit, daß er nicht nur sich selbst, daß er Gott verfluchte, und wenn er sich durch Fasten und Wachen erschöpft hatte, trat eine Leere ein, die fürchterlicher war als die Empörung. Es gab im Kloster durchaus nicht nur rohe und alberne Menschen, sondern auch fromme und wohlwollende, die für des jungen Luther Seelenqual, wenn auch kein Verständnis, doch Nachsicht hatten. Einer, ein feiner alter Mann, wie Luther selbst ihn bezeichnet, sagte einmal zu ihm: »Was machst du, mein Sohn? Weißt du nicht, daß Gott uns geboten hat zu hoffen?« Zu dem Beichtenden, der sich vom Zorn Gottes verfolgt glaubte, ohne doch einen stichhaltigen Grund dafür angeben zu können, sprach er die tiefsinnigen Worte: »Gott zürnt dir nicht, du zürnst mit ihm.« Das Kinderherz Luthers erbebte in Hoffnung, wenn es die Liebe Gottes verkünden hörte; dann flohen die Teufel und es atmete freier; aber wenn die köstliche Nähe mit dem köstlichen Wort nicht mehr zugegen war, kehrten sie mit verdoppelter Wut zurück. Die Mönche fingen an den Kopf zu schütteln. Sie spürten den feuerknisternden Schritt, der neben dem Bruder Martin hinhuschte. Wenn sie untereinander die Tageschronik des Klosters besprachen, so wurde wohl der Verdacht geäußert, daß Bruder Martin es mit dem Bösen zu tun habe. Er mußte etwas höchst Verruchtes begangen haben, daß das Gewissen ihn dermaßen zerfleischte. Allein dem fast Versinkenden war die göttliche Gnade nahe, wirkend durch einen gütigen, weisen und vielvermögenden Menschen. Johann von Staupitz, aus sächsischem Adel, war ein Mann von ungewöhnlicher Ausgeglichenheit der Bildung. Er war ein guter Theologe und in der großen Welt bewandert, er besaß die Menschenkenntnis eines Staatsmanns und ergründete mit sicherem Blick die Verborgenheiten der Seele. Erledigte er als Generalvikar des Augustinerordens gewandt die praktische Arbeit und verstand er sich auf den Umgang mit den Fürsten und höfischen Kreisen, so vollzog sich doch sein wesentliches Leben in den Bahnen einer aufrichtigen, von der mittelalterlichen Mystik genährten Frömmigkeit. Sein Lehrer war der Theologe Scriptoris gewesen, der sich im Jahre 1502, der Ketzerei verdächtig, durch Flucht der Einkerkerung entzogen hatte und von dem man, als er starb, sich zuraunte, er sei ermordet worden. Staupitz hatte durchgesetzt, daß den Augustinern das Studium


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