Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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besonders drückend, wenn, was nicht selten vorkam, mehrere Bischöfe rasch aufeinander folgten. Im Anfang des 16. Jahrhunderts war es im Erzbistum Mainz der Fall. Auf Berthold von Henneberg folgte im Jahre 1504 Jakob von Liebenstein und nach dessen frühem Tode Ulrich von Gemmingen, der 1513 starb; Albrecht von Brandenburg, der Bruder des Kurfürsten, wurde sein Nachfolger. Zweimal hintereinander mußte die sehr große Summe von 20 000 Gulden ersteuert werden, wozu noch kam, daß Albrecht, pracht- und kunstliebend, seine Person viel brauchte und daß er außerdem die Erlaubnis, mehrere Bistümer in seiner Hand zu vereinigen, mit einer großen Summe erkaufen mußte. Unter diesen Umständen war es ihm sehr unangenehm, daß seine Untertanen durch die Palliengelder gänzlich ausgesogen werden sollten. Als nun Leo X. den Ablaß zugunsten des Baues der Peterskirche, den bereits Julius II. verkündet hatte, im Jahre 1515 erneuerte, bat er den Heiligen Vater um die Erlaubnis, sich daran beteiligen zu dürfen. Leo X. ging darauf ein, denn dadurch wurde nicht nur das Erzbistum Mainz, sondern auch Brandenburg, das Gebiet von Albrechts kurfürstlichem Bruder, dem Ablaß zugänglich gemacht, was durchaus nicht selbstverständlich war.

      Auch der Ablaß gehörte zu den Vorwürfen, die gegen den Papst erhoben wurden; denn die Fürsten sahen es ungern, wenn das Geld ihrer Untertanen aus dem Lande herausfloß. Herzog Georg von Sachsen ließ es sich viel kosten, die Erlaubnis zu einem Ablaß in der von ihm gegründeten Kirche in Annaberg im Erzgebirge zu bekommen, wodurch seine Bergleute die Sündenvergebung kaufen konnten und das Geld doch dem Lande nicht verlorenging. Die Humanisten zählten den Ablaß zur Ausbeutung der Deutschen durch Rom, mißbilligten ihn deshalb und tadelten überhaupt das ganze System. Der erhabene Gedanke, daß der Überfluß an Güte und Größe heiliger Helden allen Christen angehöre und zugute komme gleich einem Strom, der das Erdreich ringsumher fruchtbar macht, war dadurch entwertet, daß der Papst ihn nach Belieben verteilen zu können behauptete, vollends dadurch, daß er sich Geld dafür zahlen ließ. Im Falle Albrechts von Brandenburg war von fürstlicher Seite nichts einzuwenden, weil das Geld wenigstens zum Teil im Lande bleiben sollte. Die anwohnenden sächsischen Herrn indessen, Friedrich der Weise und Georg der Bärtige, sahen ihn ungern, weil sie fürchteten, ihre Untertanen, soweit sie der Grenze nahe wohnten, würden sich verleiten lassen, ihre Ersparnisse hinüberzutragen.

      Dem Kurfürsten und Erzbischof Albrecht war daran gelegen, den Ablaß prächtig aufzuziehen und einträglich zu gestalten. Deshalb wurde der Dominikanerprior Johann Tetzel, der mit dem Betrieb Bescheid wußte und mehrmals bedeutende Erfolge erzielt hatte, aufgefordert, die Leitung des Geschäfts zu übernehmen. Er war ein großer dicker Mann und verfügte über ein pompöses Auftreten und den salbungsvollen Schwung der Rede, der die Herzen erweicht. Zwar war der Kostenaufwand beträchtlich, aber dafür war auch die Freigebigkeit allgemein, wenn er in eine Stadt einzog, begleitet von einem Beamten der Fugger, an welche die zu erzielende Einnahme des Papstes bereits verpfändet war, die Ablaßbulle auf einem Kissen vor sich her tragen und rote Fahnen vor den Kirchen aufpflanzen ließ, die für den heiligen Verkauf bestimmt waren.

      Die Bekämpfung des Ablaßwesens war nicht neu. Wiclef und Huß und in Deutschland Johann von Wesel hatten sich scharf dagegen gewendet. Wenn im 15. Jahrhundert der berühmte Volksprediger Berthold von Regensburg gegen die Pfennigprediger eiferte, die dem Volk für Pfennige die Sünde vergeben, so hing das mit mißbräuchlichen Ausschreitungen zusammen; denn zu jener Zeit verstand die Kirche unter Ablaß nicht Sündenvergebung, sondern Erlaß von Sündenstrafen, die sie selbst verhängt hatte. Sie pflegte reuigen Sündern etwa mehrere Jahre Verbannung oder mehrere Jahre strengen Fastens oder Entziehung des Amtes aufzuerlegen, wobei, im Falle der Sünder rückfällig war, manchmal mehr Jahre herauskamen, als er leben konnte, so daß eine Verkürzung oder Erleichterung der Strafe sich empfahl. Allmählich aber veränderte sich der Charakter des Ablasses. Es mag sein, daß, wenn Kreuzzugsbullen vollkommene Sündenvergebung verhießen, dies nur eine Formel war, unter der jedermann Straferlaß verstand; gewiß ist, daß im Laufe der Zeit zuerst Erlaß zeitlicher Sündenstrafen, womit die Fegefeuerstrafen gemeint waren, und dann durch den sogenannten Jubiläumsablaß Erlaß von Strafe und Schuld dem Zahlenden gewährt wurde.

      Im Jahre 1300 verkündete Bonifacius VIII. zum erstenmal einen Jubiläumsablaß, der an den Besuch der römischen Apostelkirchen geknüpft war. Die Einladung, nach Rom zu wallfahrten und dadurch sein Seelenheil zu fördern, bewirkte einen außerordentlichen Andrang von Besuchern, namentlich der wanderlustigen und sich südwärts sehnenden Deutschen. Der die Erwartung übertreffende Ertrag dieser neuen Finanzquelle veranlaßte die Päpste, den Zwischenraum zwischen den Jubeljahren immer mehr zu verkürzen und die dabei erteilten Begnadigungen zu vermehren. In 200 Jahren haben 7 Jubeljahre stattgefunden. Um desto mehr Gläubige begnaden zu können, wurde der Jubelablaß auch außerhalb Roms und Italiens verkündet; wo immer das päpstliche Ablaßkreuz aufgerichtet wurde, konnte man nach einem genau ausgearbeiteten Tarif Heilsgüter kaufen, Erlaß von Schuld und Strafe und Erlaß von Fegefeuerstrafen für Verstorbene. Beim Jubel- oder Plenarablaß war von Reue und Buße, die eigentlich der Absolution voranzugehen hatten, nicht mehr die Rede; die Theologen erklärten das so, daß das Bußsakrament in diesen Ablaß hineingezogen sei.

      Als im Jahre 1517 Tetzel den Ablaß feilbot, gab es unter den Gebildeten viele, die sich darüber ärgerten; aber Luther war vielleicht der einzige, der dies Ereignis gar nicht von der finanziellen Seite betrachtete. Was ihn beschäftigte und aufregte, war nicht die Ausbeutung des Volkes, sondern einzig der schädigende Einfluß, den eine kirchliche Einrichtung auf das Volk ausübte. Man erzählte sich, vielleicht übertreibend, Tetzel habe gesagt, und wenn einer die heilige Jungfrau geschändet hätte, so könne sein Ablaß ihn von der Sünde reinigen, und ferner, wenn das Geld in den Kasten klinge, fliege die Seele zum Himmel hinauf. Luther trauerte und entrüstete sich, daß Geistliche die Absichten des Papstes, die nur gute sein konnten, so verkannten und entstellten. Unter anderem gewährte der Ablaß dem Zahlenden die Vergünstigung, sich einen Beichtvater nach Belieben wählen zu dürfen, und es kam vor, daß, wenn der regelmäßige Beichtvater seinem Beichtkinde die Absolution verweigerte, dieses sich auf den gewählten berief, der sie erteilt habe. Solche Erfahrungen bewogen Luther, sich in die Geschichte und das Wesen des Ablasses zu vertiefen, wobei er fand, daß es nicht leicht war festzustellen, was dabei richtig und was falsch war. Denn die Handhabung des Ablasses war nicht immer und überall gleich, die Kirchenlehrer, die sich damit befaßt hatten, urteilten verschieden darüber, und die Lehre des Thomas von Aquino, nach der dem Straferlaß Reue und Buße voranzugehen hatte, bestand noch immer zu Recht.

      Überzeugt, daß hier ein Problem vorliege, in das die wenigsten klare Einsicht hätten und das ein einzelner nicht leicht werde lösen können, entschloß sich Luther, seine Bedenken über die wichtige Frage aufzusetzen und zu einer Disputation darüber, wie es an Universitäten üblich und beliebt war, aufzufordern. In 95 Sätzen stellte er seine Erwägungen zusammen. Nachdrücklich betonte er, daß der Ablaß als eine von den Päpsten eingesetzte Einrichtung zu verehren sei. »Wer gegen die Wahrheit des apostolischen Ablasses redet, der sei verbannt und verflucht«, heißt es in der 71. These. Ebenso läßt er die Mittlerstellung des Priesters unangetastet, indem er sagt, Gott verzeihe keinem die Schuld, der sich nicht demütig dem Priester, als dem Stellvertreter Gottes, unterwerfe. Sein Tadel richtet sich nur gegen diejenigen, die den päpstlichen Willen falsch auslegen und dem Volk eine falsche Auffassung von der Kraft des Ablasses beibringen. Das war nicht gesagt, um unter der Maske kirchlicher Rechtgläubigkeit ketzerische Meinungen einzuschwärzen, sondern es war Luthers Überzeugung. Er appelliert gleichsam von dem mißverstandenen oder dem allzu nachsichtigen Papst an den Stellvertreter Christi. Und doch war ein Zwiefaches in den Thesen: durch die bescheidene Stimme des Mönchs brach zuweilen, fast wider seinen Willen, der stolze und drohende Ton des Propheten. Er unterbreitet Fragen zur Diskussion und zugleich spricht er eine unerschütterliche Überzeugung aus. Eine überlegene Einsicht in das Wesen der Religion äußert sich, die nicht fragt, sondern feststellt. Der Papst kann nur diejenigen Strafen erlassen, die er selbst verhängt hat. Die Schuld vergeben kann nur Gott. Die Verstorbenen sind von allen Kirchenstrafen frei, sie können ihnen nicht erlassen werden. Was sie bedürfen, ist Mehrung der Liebe. Denn Hölle und Fegefeuer und Himmel verhalten sich zueinander wie verzweifeln, beinah verzweifeln und des Heils gewiß sein. Ist Nachlaß der Strafe dem Gläubigen überhaupt erwünscht? Der wahrhaft Reuige verlangt nach Strafe. Besserung, nach der der Reuige sich sehnt, kann ja der Ablaß überhaupt nicht bringen, die wird er


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