Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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nicht nur Wenzeslaus Link und Lang, die alten Gefährten, fand, sondern auch Staupitz, den geliebtesten und verehrtesten unter allen Menschen. Der junge Pfalzgraf Wolfgang, Bruder des Kurfürsten von der Pfalz, der zum geistlichen Stande bestimmt war und in Wittenberg studiert hatte, empfing ihn mit Auszeichnung. Ihm wurde die Leitung der Disputation übertragen, die im Kapitelsaal der Augustiner stattfand. Die Thesen, die er aufstellte, erklärten in grundlegender Weise die Paulinisch-Augustinische Glaubenslehre, die er so leidenschaftlich ergriffen und so tief durchdacht hatte. Daß der Mensch sich von der Sünde, in der er gefangen ist, nicht aus eigener Kraft befreien kann, sondern sie der Gnade Gottes dankt, die zu ersehnen das einzige ist, was er selbst zu seiner Lösung tun kann, war der Grundgedanke der Sätze, die er verfocht. Die Heidelberger Professoren der Theologie befremdete zwar diese Auffassung, aber sie griffen ihn in einer Weise an, die ihre Bildung und humanistische Weitherzigkeit zeigte. Unter denen, die ihm beifielen, war ein junger Dominikanermönch, braun von Gesicht, mit schönen scharfen Zügen, für den die verkündete Lehre eine Offenbarung war, die ihn in ähnlicher Weise zu sich selbst brachte und sein Leben lang festhielt, wie die Worte von Staupitz Luther getan hatten. Es war Martin Butzer aus Schlettstadt, der sich bisher den Druck des Klosterlebens durch den Verkehr mit humanistischen Freunden zu erleichtern gesucht hatte; darin war er Luther ähnlich, daß er niemals selbstsüchtige Nebenzwecke im Auge hatte, wo es um die höchsten Fragen der Menschheit ging. Schwärmerische Verehrung für den Mann, der ihm ein neues Leben eröffnete, ergriff ihn; nicht genug konnte er den Freunden Luthers Anmut im Disputieren, seine Liebenswürdigkeit und seinen Freimut im Umgang, seinen Scharfsinn rühmen.

      Aber auch Luther war umgewandelt. Von den Hügeln Heidelbergs, die den hellen Kranz ihrer Frühlingsblüte um die sanften Bogen des Neckars schlangen, kehrte er gewachsen, gehoben zurück. Bis dahin war er ein Einzelner gewesen, der einige Freunde hatte, die ihn verstanden und schätzten; auf dieser Reise hatte er erfahren, daß er der Führer eines Volkes war. Im Kloster war wenig oder nichts zu ihm gedrungen von dem jahrhundertelangen Kampf um die Reformation; vielleicht hätte es ihn damals kaum interessiert. Wenn er vernommen hätte, daß ein alter Mann beim Lesen seiner Thesen ausrief: »Ho ho, der wird's tun!« hätte er die Worte kaum richtig verstanden. Er ahnte nicht, daß es viele gab, die auf ihn warteten. Das Echo seiner Thesen, das anfangs ausgeblieben war, warfen ihm die Berge Würzburgs und Heidelbergs zu, froher und stärker, als er je gehofft hatte. Die Antwort auf seine zögernde, zweifelnde Frage kam zuversichtlich mit unzähligen Stimmen. Wenn er an Spalatin schrieb: »Ich bin wiedergekommen im Wagen, der ich ausgezogen bin zu Fuß«, so klingt darin der Jubelton dessen, der vielleicht nicht siegen, aber freudig kämpfen wird.

      An einem der nächsten Sonntage predigte er über den Bann: der Papst kann nur den äußeren Bann verhängen, der von der Kirche ausschließt, den inneren Bann, den Ausschluß aus der Gemeinschaft Christi verhängt nur Gott. Hat Gott ihn nicht verhängt, so kann der Bann des Papstes nicht schaden, ja derjenige, der ungerechterweise aus der äußeren Gemeinschaft ausgestoßen ist, wird die innere Gemeinschaft mit Christus um so wärmer empfinden. Damit bekannte er sich zum Glauben an die unsichtbare Kirche. In der zweiten Hälfte der Resolutionen zu den 95 Thesen, die er jetzt verfaßte, sagte er: »Was dem obersten Pontifex gefällt oder nicht gefällt, kümmert mich nicht.«

      Es war ein großer Augenblick in Luthers Leben, daß zum erstenmal die Titanen in seiner Brust, die bisher so streng gefesselten, sich frei nach außen regen durften. Er wurde Feldherr über ein gewaltiges Heer, das ihn besser schützte als Freunde und Fürsten und Volk. Fast hätte er seine Feinde seine besten Freunde nennen können, daß sie ihm zu dieser Macht verhalfen. Ein schriftlicher Angriff Tetzels reizte ihn zu einer Antwort, in der er zum erstenmal Zorn, Humor, Spott und Grobheit zu übermütiger Schlacht ins Feld schickte. Nicht mehr der demütige Mönch sprach, sondern der Gebieter über Gewaffnete. Wie Goethe mußte Luther immer einen Gegenstand für seinen Zorn haben, der Haß mußte seine Liebe ergänzen, wenn er die Lust genießen wollte, sich ganz zu fühlen. Es war aber doch nicht der Papst, den er haßte, und am wenigsten die Kirche. Er glaubte ihr treuester Sohn zu sein, den es schmerzte, sie entstellt zu wissen, der sie in reiner Gestalt, wie Christus sie geschaffen hatte, wiederhergestellt sehen wollte. Die allgemeine Kirche sah er immer noch als die höchste Instanz an, der sich zu unterwerfen er bereit war. Als er am 7. August die Zitation nach Rom zugestellt erhielt, erschrak er. Daß ihn dort der Scheiterhaufen, jedenfalls der Tod erwartete, daran war nicht zu zweifeln, und ihm graute davor. Der Kurfürst und seine Räte wollten sich dem päpstlichen Befehl nicht geradezu widersetzen und doch auch den geschätzten Prediger, den der Universität so nützlichen Professor nicht opfern. So verfielen sie auf den Ausweg, den Papst zu bitten, er möge gestatten, daß Luther in Deutschland vernommen werde, was um so eher tunlich war, als der Kardinallegat Cajetan, ehemaliger Dominikanergeneral, sich wegen des Reichstags in Augsburg befand und dort das Verhör vornehmen konnte. Gerade um diese Zeit hatte der Kurfürst, immer auf Förderung der Universität bedacht, die Gründung von Lehrstühlen des Griechischen und Hebräischen beschlossen, damit die Studenten Gelegenheit hätten, sich in den Sprachen auszubilden, die für das Studium der Heiligen Schrift, das künftig als Hauptlehrfach betrieben werden sollte, die Grundlage bildeten. Als Lehrer des Griechischen wurde Philipp Melanchthon berufen, ein Neffe Reuchlins und von ihm empfohlen. Melanchthon, der zarte Sohn eines Heidelberger Waffenschmiedes, war damals 21 Jahre alt, eine dürftige Erscheinung, die den Wittenberger Professoren eher mißfiel. Das änderte sich, als er am 29. August in der Schloßkirche seine Antrittsrede über die Reform der Universitätsstudien hielt und in musterhafter Form den Studenten die Bedeutung der Sprachkenntnis erklärte. Luthers warmes Freundesherz entbrannte sofort für den gelehrten Jüngling, und wie er ihn zu sich heranzog, riß er auch ihn zu Bewunderung hin. Für den eifrigen Humanisten hatte es etwas Überwältigendes, plötzlich in die Tiefe der religiösen Gedankenwelt Luthers eingeführt zu werden. In wechselseitiger Hingebung, gemeinsamer Arbeit und Bestrebung entfaltete sich rasch eine Freundschaft, über deren Glück Luther die Gefahr, in der er schwebte, fast vergaß. Vielleicht war die nun schon längere Zeit andauernde Hochstimmung schuld, daß ein jäher Umschwung stattfand, als, nachdem der Papst eingewilligt hatte, die Reise nach Augsburg angetreten werden mußte.

      Schwermütig schleppte sich Luther durch die verschiedenen Reisestationen und hörte überall ängstliche Warnungen, die ihn in dem Gefühl bestärkten, daß er seinem Ende entgegengehe. Krank an Geist und Körper kam er am 7. Oktober in Augsburg an. Dort wurde ihm besser zumute; obwohl der Reichstag sich schon auflöste, waren die Räte des Kurfürsten noch anwesend, mit denen er sich gut verstand, und Staupitz kam, den er zu seiner Hilfe herbeigerufen hatte. Der qualvolle Druck wich von ihm, nun es galt zu handeln. Er wurde in den Kreis der Augsburger Patrizier hineingezogen, wo er von den großen Dingen sprechen hörte, die auf dem Reichstage verhandelt worden waren. Zweifelsohne diskutierte man über die Beschwerden der deutschen Nation und über die Schriften, in denen der Papst unverhohlen angegriffen war. Der berühmte Peutinger, des Kaisers Freund, lud ihn ein und zeigte ihm Sympathie; wieder erfuhr er, daß er, ohne es zu wissen, mit seinem Auftreten die Sache vieler vertreten hatte.

      Als das freie Geleit vom Kaiser eingetroffen war, ohne das man ihm geraten hatte, sich dem Kardinallegaten nicht zu stellen, betrat er das prächtige Fuggerhaus, in dem Cajetan wohnte. Mit den vorgeschriebenen Unterwürfigkeitsbezeigungen, wieder ganz Mönch, nahte er sich dem Hochgestellten, der seinerseits die Rolle des väterlichen Oberen spielte. Der Legat, ein kleiner, unansehnlicher Mann, besaß die ganze Liebenswürdigkeit des Italieners wie auch den Hochmut des Kirchenfürsten und Gelehrten. War Luther für Güte und für liebenswürdige Form empfänglich, so reizte der Hochmut seinen Stolz und seine Wildheit. Seinem Wunsch, dem Stellvertreter des Papstes seine Anschauungen auseinandersetzen zu dürfen, setzte Cajetan den eisernen Widerstand römischer Infallibilität entgegen; ohnehin war es ihm ärgerlich, mit einem kleinen Mönch so viele Umstände machen zu müssen. Verteidigung seiner Sätze, sagte er, werde nicht gewünscht, Widerruf werde gefordert. Staupitzens Verwendung, der Luther bei seinem zweiten Verhör begleitete, erreichte, daß Cajetan versprach, eine schriftliche Verteidigung Luthers dem Papst einzureichen. Cajetans Aufforderung, Staupitz möge Luther zum Widerruf bewegen, lehnte dieser mit der Begründung ab, Luther sei ihm an Gelehrsamkeit und Talent überlegen. In seiner Schrift versprach Luther zu widerrufen, wenn ihm sein Irrtum aus der Heiligen Schrift bewiesen würde; nachträglich sagte er zu seinen Freunden, er wolle überhaupt nicht widerrufen, sondern


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