Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Mainz Rücksicht nehmen mußte, in dessen Dienst er damals stand. Daß von einer anderen Seite her und aus anderen Quellen entsprungen ein Angriff auf Rom im Gange war, und zwar ein wirksamerer und folgenschwererer als der seine, bestärkte ihn in der Absicht, zu planvoller Kriegführung überzugehen.

      Im Mai des Jahres 1520 ließ ihn der Zufall eine alte Schrift entdecken, Erlasse verschiedener Universitäten vom Ende des 14. Jahrhunderts, deren gewissenhafter Freimut aller Welt den Knechtssinn gegenwärtiger Universitäten deutlich und verächtlich machen sollte, die keinen anderen Maßstab kannten als den Willen des Papstes und um der Gunst des Papstes willen die Wahrheit verrieten. Der Veröffentlichung ließ er wieder eine Zueignung an alle Deutschen vorangehen, in der er zuerst sich über die unwürdigen Theologen der Gegenwart erging, die ehrliche Menschen denunzierten, denen sie beistimmen müßten, wenn sie ihr Gewissen sprechen ließen. Aber schon sei die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt, und jeder, der nicht gute Frucht trage, werde ausgerottet werden. Nun sollten auch sie, die Deutschen, sich unerschrocken erweisen. »Denn durchgebrochen muß endlich werden, durchgebrochen, besonders mit solchen Kräften, so gutem Gewissen, so günstigen Gelegenheiten, einer so gerechten Sache, und da das Wüten dieser Tyrannen aufs höchste gestiegen ist. Das tut und gehabt euch wohl. Es lebe die Freiheit! Ich hab's gewagt!« Auf dem Titelblatte der Schrift stand: Vivat libertas! Iacta est alea. »Ich hab's gewagt!« so übersetzte er das berühmte Wort Cäsars. Er hatte den Rubikon überschritten, hatte nach ritterlicher Ehrenpflicht die Fehde angesagt. Am 4. Juni forderte er brieflich Luther auf, den großen Kampf gemeinsam mit ihm zu kämpfen. Er erwähnt das Gerücht, der Papst habe Luther in den Bann getan, um ihn wegen der Größe glücklich zu preisen, zu der ihn das erhebe, wenn es wahr sei, und er ermutigt ihn, obwohl Luther dessen nicht bedürfe. An mir, schreibt er, hast du einen Anhänger in jedem möglichen Fall.

      Schon vorher, im April, hatte Hutten mehrere Gespräche vollendet, von denen eines Vadiscus hieß. Unter dieser Maske faßte er alles, was er Rom vorzuwerfen hatte, in Triaden oder Dreiheiten zusammen. Es waren dieselben Beschwerden, die seit einem Jahrhundert in Deutschland erhoben wurden; sie betrafen auch den Schaden, den die Deutschen durch die in Rom herrschende und von dort weiterwirkende Sittenlosigkeit litten, hauptsächlich aber die finanzielle Ausbeutung. Er nannte Rom die große Scheune des Erdkreises, in deren Mitte der unersättliche Kornwurm sitze und ungeheure Haufen Frucht verschlinge, den Deutschen das Fleisch abnage und das Blut aussauge. Die Deutschen zur Erkenntnis dieser Schmach zu bringen, Deutschland zu befreien, sei eine große, eine herrliche Tat, schon der Versuch sei wertvoll, selbst wenn man ihn mit dem Leben bezahle. Wie ernst es ihm war, zeigte er dadurch, daß er nicht nur klagte und anklagte, sondern einen Vorschlag machte, wie der Kampf einzuleiten sei: Deutschland solle die Zahlungen nach Rom einstellen. Dadurch werde die verarmte Kurie gezwungen werden, sich zu ändern. Das Ziel des Kampfes sei ja nicht, das Papsttum abzuschaffen, sondern es zu reformieren.

      Einige Monate darauf erschien Luthers Sendschreiben an den Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung; wie zu einem Zwiegesange fiel die deutsche Stimme ein, nicht weniger schwungvoll, aber viel tiefer begründend, einem reicheren, umfassenderen Geist entsprungen. Luther hatte bisher als Theologe und gläubiger Christ geschrieben, jetzt schrieb er als Glied des Reiches, alle öffentlichen Verhältnisse überblickend. Zweck seiner Schrift war, ein Konzil, ein freies rechtes Konzil zu verlangen und die Forderungen aufzuzählen und zu begründen, die dort im Hinblick auf die Reformation erhoben werden sollten. Sie wendet sich an den Kaiser und an den Adel, weil die Geistlichkeit, der es eigentlich zustehen würde, die Reformation vorzunehmen, versagt habe.

      Indem Luther den Triaden-Rhythmus, den Hutten angegeben hatte, aufnahm, nannte er drei Mauern, mit denen der Heilige Stuhl sich umgeben habe, um vor dem Konzil gesichert zu sein. Die erste sei die Behauptung, daß der Priesterstand dem weltlichen Staat nicht unterworfen sei, die zweite, daß nur der Papst befugt sei, die Schrift auszulegen, die dritte, daß nur der Papst das Recht habe, ein Konzil zu berufen. Im Gegensatz dazu wird auseinandergesetzt, daß zwischen Priestern und Laien kein Unterschied des Standes, nur einer des Berufs, des Amtes sei; hierbei berief sich Luther hauptsächlich auf die Schriftstelle: »Ihr seid ein königlich Priestertum und ein priesterlich Königreich«, und auf die Verhältnisse unter den ersten Christen. Den Beweis, daß jeder Laie befugt sei, die Schrift auszulegen, führte er hauptsächlich aus Paulus, obwohl er ohnehin aus dem ersten Punkt folge. Die dritte Behauptung begründete er historisch. Der zweite, größere Teil des Sendschreibens befaßte sich mit den Beschwerden, die auf dem Konzil zur Verhandlung kommen sollen: es sind die, welche auch in den Gravamina der deutschen Nation aufgeführt zu werden pflegten. In der Hauptsache schlägt Luther vor, wie Hutten getan hatte, daß das deutsche Geld nicht mehr nach Rom fließe und daß die Zahl der Geistlichen vermindert werde. Dazu kommt noch eine Reihe von Forderungen, die schon bei den Ablaßkämpfen zur Sprache gekommen waren: das Einstellen der Wallfahrten, die Aufhebung der Bettelklöster, des Zölibats, des Interdikts, die Verwandlung der Klöster in Schulen, die Abschaffung der vielen Feste, der Eheverbote, der willkürlichen Dispense. Bei der Kritik der Universitäten werden einige Hiebe gegen den hochmütigen, schalkhaften Heiden Aristoteles geführt, dagegen Studium der Sprachen und der Geschichte empfohlen, das geistliche Recht wird angegriffen, das der Papst selbst nicht halte, da er sich durch einfachen Willensbeschluß über jedes Recht hinwegsetzen kann. Die Grundlage für das geistliche Recht und für das Studium der Theologie soll einzig die Heilige Schrift sein.

      Wie sehr sich Luther in den Glaubensfragen noch zurückhielt, geht aus der Art hervor, wie er von Huß sprach. Er befaßte sich beinah nur mit dem Unrecht, das ihm dadurch geschah, daß ihm das zugesagte freie Geleit nicht gehalten wurde. Überhaupt solle man Ketzer nicht mit Feuer, sondern mit der Schrift überwinden. Ob Huß im Recht gewesen sei, wolle er, obwohl er nichts Irriges an ihm gefunden habe, jetzt nicht untersuchen.

      So bezeichnete er das Sendschreiben als ein Vorspiel. Er hielt sich darin so ziemlich in den Grenzen der bisherigen Reformvorschläge; in der folgenden Schrift »Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche« griff er das Wesen der Kirche, ihre Grundlagen an.

      Durch die sieben Sakramente setzte die Kirche den Menschen von der Geburt an bis zum Tode mit Gott in Beziehung. Sie waren die Säulen, die die Kirche trugen, sie waren Schalen, in denen der Priester die göttlichen Gnaden empfing, um sie jedem Glied der Kirche zuzuleiten. Von den Sakramenten wollte Luther nur drei, vielleicht nur zwei als solche gelten lassen: das der Taufe und das des Abendmahls, über die Beichte war er noch im Zweifel. Nicht nur, daß er Priesterweihe, Firmung, Ehe und letzte Ölung als Sakrament aufgehoben wissen wollte, weil sie in der Schrift nicht nachzuweisen wären, er faßte das Sakrament des Altars, das den Mittelpunkt des Kults bilden sollte, ganz anders auf, als es in der Übung der Kirche sich herausgebildet hatte. Es war zu einem Opfer geworden, das der Priester Gott darbrachte, indem er Brot und Wein in Fleisch und Blut Jesu verwandelte, während Luther sich streng an die Einsetzungsworte Christi hielt, wie die Evangelien sie überliefert haben, und an den entsprechenden Gebrauch der Urkirche. Dieser Angriff Luthers auf die Messe mußte schon aus seiner Ansicht fließen, daß die Priester keinen von den Laien verschiedenen Stand bildeten; denn nach kirchlicher Auffassung konnte nur der Priester die Wandlung vollziehen, nur er das Opfer darbringen, gerade damit bezeugte er seine Würde und Heiligkeit. Die Messe bildete den Mittelpunkt des Gottesdienstes, sie war das heilige Schauspiel, das den gläubigen Zuschauern sowohl die in ferner Dämmerung verschwimmende Erhabenheit der göttlichen Geheimnisse, wie die Macht und Ehrwürdigkeit der Priester vor Augen führte. Es kam dazu, daß mit der Messe ein großer Teil der kirchlichen Einkünfte zusammenhing; denn es war Gepflogenheit, daß wer es irgend vermochte Geld zur Abhaltung von Messen stiftete, die dem Seelenheil verstorbener Familienmitglieder oder dem eigenen zugute kommen sollten.

      Den furchtbaren Eingriff, den Luther damit in das Wesen der Kirche tat, milderte er dadurch, daß er diese Schrift in lateinischer Sprache herausgab. Die darin behandelten Probleme sollten zunächst von Theologen durchdacht, nicht von der ungelehrten Menge ohne genaues Verständnis nach Interesse und Belieben verhandelt werden.

      Den beiden grundsätzlichen Schriften Luthers folgte noch im selben Jahre ein andächtiger Gesang aus seinem gläubigen Herzen: Von der Freiheit eines Christenmenschen. Das, worin er das Wesen der Religion sah, den Glauben, die Empfänglichkeit der Seele für den Anhauch des Göttlichen, faßte er in Bilder von keuscher


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