Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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eines Dritten bedürfen, der sie lehrte, was sie einander zu sagen haben; er ist an keinen Zauber, an keine Vorschrift gebunden, er ist frei. Diese Art der Frömmigkeit, in die Staupitz Luther eingeführt hatte, die vertrauensvolle Hingebung an einen Höheren, des Geschöpfs an den Schöpfer, war einst eine schöne starke Welle innerhalb der Kirche gewesen, jetzt wandte sie sich feindlich gegen die Kirche. Sie fühlte sich gegensätzlich zu der Kirchlichkeit, die sich im Gehorsam gegen den Papst und in der Ausübung der sogenannten guten Werke kundtat, gegensätzlich gegen das Priestertum, das sich anmaßte, den Verkehr der menschlichen Seele mit Gott, ihrem Gott, zu regeln und ihrem Urteil zu unterwerfen. Im Gefühl des Zusammenhangs mit Gott durch den Glauben fühlt sich der Christ frei, frei von den Satzungen, die Menschen aufstellten. Er ist frei, ein Herr aller Dinge, freiwillig aber ein Knecht aller Menschen; denn es liegt im Wesen der Liebe, die ihn mit Gott verbindet, daß sie ihn zugleich mit den Menschen, seinen Brüdern, eint.

      Freiheit! Das Wort, das in der deutschen Sprache einen so edlen und stolzen und zugleich so breiten und schweifenden Klang hat, braust durch Huttens und Luthers Schriften dieses Jahres wie ein Schlachtruf der Jugend. Freiheit! Nicht ganz dasselbe empfanden und wollten sie dabei. Hutten schwebte eine Ungebundenheit des Denkens und Strebens, eine volle Entfaltung des eignen Wesens vor, wie die Wiedergeburt der Antike sie als Ziel hinstellte, während Luther zunächst an die Freiheit von den einschnürenden Geboten und Verboten der Kirche dachte, zu der sich derjenige berufen fühlen darf, der das Wort Gottes vernimmt und sich ihm unterwirft. Einig waren sie darin, daß sie für das deutsche Volk Veredlung und für das deutsche Reich einen Aufschwung erhofften, wenn es von der Herrschaft Roms befreit wäre, Veredlung, indem Heuchelei, Sittenlosigkeit und Trägheit verschwinden würden, Aufschwung, indem das Geld, das bisher nach Rom geflossen wäre, die eignen Güter mehren würde.

      Beide, Hutten und Luther, beeinflußten einander zu gegenseitigem Vorteil. Das zwar wirkte nicht durchaus erfreulich, daß Hutten, bewußt und unwillkürlich, von der religiösen Sprache Luthers etwas annahm. Im Munde Luthers traf sie die Seele, ihm war sie angeboren, anerzogen durch die Umstände seines Lebens und erworben im Kampfe, sie war er selbst; bei Hutten wirkte sie wie etwas von außen Aufgetragenes. Er war, obwohl klug und gebildet, doch einfach; daß es in seinem Inneren bedeutende Probleme und Kämpfe nicht gab, spiegelte sich in seiner Sprache und machte ihre Schönheit aus. Das kirchliche Christentum, wie es ihm in seiner frühen Jugend entgegengetreten war, haßte er, das Christentum, das Luther verkündete, zog das Heldische seiner Natur an, insofern es Kampf gegen den Papst bedeutete, und er fühlte auch, daß Luthers religiöser Standpunkt dem deutschen Volke natürlicher und verständlicher war als sein humanistischer; aber trotzdem er sich religiöser Wendungen mit dem ihm eigentümlichen Schwung bediente, wirkten sie eher befremdend als ergreifend. Befreiend für ihn selbst aber wirkte, daß er, Luther nachahmend, die Fesseln der lateinischen Sprache abwarf und deutsch zu schreiben begann, um nicht nur zu den Gelehrten, sondern zum gesamten deutschen Volk zu sprechen. Es war ein Entschluß, der eine einschneidende politische Wendung bedeutete, aber ebensosehr eine dichterische. Gleich die Verse, mit denen er den neuen Weg anzeigte, den er einschlagen wollte, brechen mit der vollendeten Kraft und Angemessenheit einer Inspiration hervor: Latein ich vor geschrieben hab / Das war eim jeden nit bekannt / Jetzt schrei ich an das Vaterland / Teutsch Nation in ihrer Sprach / Zu tragen diesen Dingen Rach. Es ist noch etwas von der Straffheit und dem Erzklang der lateinischen Sprache in diesen Versen, zugleich aber das Ungestüm und die Urquellfrische der deutschen und die ergreifende Unbeholfenheit des Dichters, der fürchtet, daß sein noch ungewohntes Werkzeug seiner Leidenschaft nicht angemessen sei.

      Luther, als der umfassendere Geist, konnte durch Hutten mehr bereichert werden, als es umgekehrt der Fall war. Die weltlichen Interessen, die dem Papst entgegenwirkten, hatte er schon in dem Augsburger Patrizierkreise kennengelernt, durch Hutten wurden sie ihm vollständig nahegebracht und vervollständigten seine Weltkenntnis. Was bei Hutten hauptsächlich gefühlsmäßiger und durch den Humanismus gespeister Widerwille war, verknüpfte Luther mit seinen Erkenntnissen, so daß sich alles zu einem zusammenhängenden, festgegründeten Bilde ordnete. Er konnte folgern und beweisen, wo Hutten nur proklamierte. Wenn Luthers Schriften gehaltvoller sind als die Huttens, so wirkten Huttens entschlossene Kampflust und gerade seine Problemfreiheit wohltätig auf Luther. Die Einladung Sickingens, Sickingens und Huttens gezückte Schwerter gaben ihm die Gewähr, daß er nicht verloren sei, selbst wenn sein Kurfürst die Hand von ihm abziehen sollte. Er würde auch ohne den Beistand der Ritter seiner Überzeugung treu gehandelt haben; aber er tat es nun rascher und freudiger. Das Mönchsgewand und die Mönchsgewohnheiten, die ihn eingehüllt hatten, und die ihn vor sich selbst noch an die ihm einst so teure und heilige Kirche banden, Zeugen seiner großen Qualen und großen Begnadigungen, lösten sich mehr und mehr von ihm ab.

      Die Antwort auf den gemeinsamen Angriff war eine Aufforderung Leos X. an verschiedene Fürsten, besonders an den Kurfürsten von Mainz, in dessen Dienst Hutten immer noch stand, Hutten auszuliefern, und der über Luther verhängte Bann. Im Oktober kehrte Eck, Luthers Gegner von der Leipziger Disputation, mit der Bulle Exsurge Domine aus Rom zurück, die Luther auf Grund von 41 Punkten aus seinen Werken als Ketzer verdammte und mit dem Bann bedrohte, falls er nicht binnen 60 Tagen widerriefe. Eck hatte außerdem die außerordentliche Vollmacht, nach seinem Gutdünken hartnäckige Anhänger Luthers mitzubannen. Dem Papst blieb kaum etwas anderes übrig, als den aus der Kirche auszustoßen, der die Kirche zerstörte. Luther seinerseits war fest entschlossen, nicht zu widerrufen. Ein Ausgleich dieses Gegensatzes war nicht mehr möglich: auf der einen Seite die sichtbare Kirche, deren Haupt der Papst ist, deren Lehrgebäude im Laufe der Jahrhunderte durch Übereinstimmung der gesamten Priesterschaft entstand, auf der andern Seite die unsichtbare Kirche, Christus und seine Lehre, die von jedermann aus der Heiligen Schrift, dem Worte Gottes, zu schöpfen ist.

      Luther verkündete die Notwendigkeit der Trennung und seinen unabänderlichen Willen, sie zu vollziehen, indem er am 10. Dezember 1520 die Bannbulle vor dem Elstertor von Wittenberg in das Feuer warf. Es war ein öffentlicher Akt, der durch einen Anschlag in der Universität bekanntgegeben war: jeder, der von der evangelischen Wahrheit ergriffen sei, solle sich um 9 Uhr zur Kirche des heiligen Kreuzes außerhalb der Stadtmauer begeben, wo die gottlose Bulle der päpstlichen Konstitutionen und der scholastischen Theologie verbrannt werden solle, da die Feinde des Evangeliums die frommen und evangelischen Bücher Luthers verbrannt hätten. »Wohlan denn, du fromme studierende Jugend, tritt zusammen zu diesem frommen und religiösen Schauspiel; vielleicht ist jetzt die Zeit, da der Antichrist offenbar werden soll.« Nicht nur Studenten, auch Doktoren und Magister beteiligten sich an dem fröhlichen Hochgericht. Als die Flammen des Scheiterhaufens hochaufschlugen, warf Luther die Bulle hinein mit den Worten: »Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so verzehre dich das Ewige Feuer.« Am folgenden Tage sagte er zu seinen Zuhörern, es sei mit diesem Brande nicht genug, der Papst selbst, das heißt das Papsttum, müsse verbrannt werden.

       Inhaltsverzeichnis

      Beiläufig sagte Luther in seiner Babylonischen Gefangenschaft der Kirche, man solle Ketzer nicht mit Feuer, sondern mit dem Wort überzeugen wollen. Diese Ansicht mochte mancher von den Ketzern haben, die verbrannt wurden; der rechtgläubigen Menge war es selbstverständlich, daß Irrgläubige mit dem Feuertod bestraft wurden; war das doch seit 1236 Reichsgesetz. Denn den Grundsatz, gewaltsam eine einheitliche Weltanschauung herzustellen, befolgten Kirche und Staat gemeinsam. Er hatte Karl den Großen zu Grausamkeiten verleitet, der die Einheit seines aus widerstrebenden Elementen zusammengesetzten Reiches mit despotischen Mitteln erzwang. Für die Staatsleiter war die Meinung maßgebend, Untertanen ließen sich leichter regieren, leichter als kompakte Masse handhaben, wenn sie den gleichen Glauben hätten, also in den höchsten die Menschheit bewegenden Fragen übereinstimmten. Der Standpunkt der Kirche war idealer; denn, obwohl auch hier das Herrschenwollen mitsprach, so kam es doch vielen Priestern darauf an, die offenbarte Wahrheit, zu deren Hüter sie berufen waren, so weit wie möglich zu verbreiten. In den Völkern kam ihnen die Mehrzahl der Menschen darin bereitwillig entgegen, so daß sich die abendländische Welt der heidnischen gegenüber im gleichen Glauben verbunden fühlte. Widerspruchslos herrschte der Glauben trotzdem nicht. Von den Anfängen der Kirche an traten Andersgläubige


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