Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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in den dogmatischen Fragen. Einzig in der Abendmahlsfrage war er hartnäckig, denn er hatte sich eingehend damit beschäftigt und glaubte, daß Luther in einem schädlichen, häßlichen, beinah komischen Aberglauben befangen sei, den man dem Gebildeten nicht zumuten, zu dem man das Volk nicht verleiten dürfe.

      Es ist bekannt, daß Luther während einer Sitzung die Tischdecke zurückschlug und mit Kreide die Worte » Hoc est corpus meum« auf die Tischplatte schrieb. Das Wort »ist« setzte er wie einen unübersteiglichen Block in die Verhandlungen, um damit jede Verständigung unmöglich zu machen, so daß den Zuhörern, denn es führten immer nur zwei das Gespräch, das aussichstlose Hämmern auf den Worten »ist« und »bedeutet« schließlich langweilig wurde. Zwingli selbst war überzeugt, Luther in die Enge getrieben und überwunden zu haben, was dieser nur aus Hochmut und Eigensinn nicht zugeben wolle. In Wahrheit war Luthers Genialität in der Auffassung des Göttlichen Zwingli unendlich überlegen. Gerade die große Schrift über die Abendmahlsfeier, die 1527 erschien, gewährt einen Einblick in die Großartigkeit seines anschauenden Denkens und die ganze Unzulänglichkeit von Zwinglis Betrachtung der Frage. Zwinglis Verachtung des Standpunktes der Gegner, als wären sie nicht besser als Menschenfresser, weil sie Christi Fleisch verzehren wollten, verrät eine grobmaterielle Auffassung, die Luther fernlag. Seine Begründung, Christus könne nicht im Brot und Wein sein, weil er zur Rechten Gottes sitze, war so kindisch, daß die hinzugesetzten philosophischen Schnörkel sie nicht diskussionsfähiger machten. Die Abschnitte in Luthers Schrift, wo er solche Unterstellungen zurückweist, gehören zu den herrlichsten Phantasien über das Wesen des Göttlichen, die er in Worte gefaßt hat. Er sah die ewige Kraft wirken über allen Geschöpfen und in allen Geschöpfen von den Sternen zu seinen Häupten bis zum Kraut zu seinen Füßen, er sah sie aufglühen in der menschlichen Sehnsucht, ihr zu begegnen, er war sich ihrer unendlichen Ferne, Unbegreiflichkeit und Unzugänglichkeit bewußt und fühlte sie in der Nähe seines Herzens. In seinen Worten spiegelte sich das Geheimnis der Trinität, des Einzelnen in seiner Beziehung zum Ganzen, das zugleich Person und All und die Einheit von beiden ist. Was Zwingli dem entgegenzusetzen hatte, war trocken und eng, aber es war verständig und kam der Fassungskraft der Menschen entgegen. Seine scharfe Trennung des Menschlichen und Göttlichen in Christus, auf die er sich berief, bedeutete im Grunde ein Beiseiteschieben des Göttlichen, worauf der Mensch Christus übrigblieb. Nur als Mensch konnte er dem Menschen Lehrer und Vorbild sein, und das war, worauf es Zwingli ankam.

      Zu seinem Kummer mußte sich der Landgraf überzeugen, daß es unmöglich war, das Abendmahl betreffend, eine Formel zu finden, auf die die beiden Reformatoren sich hätten einigen können. Um aber doch eine Frucht des Gesprächs zu gewinnen, setzte er es durch, daß ein Verzeichnis aller Punkte zusammengestellt wurde, in denen die anwesenden Geistlichen übereinstimmten; es waren alle mit Ausnahme des Abendmahls. Luther war nicht zufrieden damit; denn er empfand, daß der wesentliche Unterschied in seiner und Zwinglis Auffassung sich ebensowohl auf die anderen Punkte bezog, wenn auch Zwingli sich darin teils nachgiebig zeigte, teils in einem gewohnten Geleise sich bewegend, die Verschiedenheit nicht bemerkte. Luther faßte den Eindruck, der sich ihm aufgedrängt hatte, in die Worte: »Ihr habt einen anderen Geist als wir.« Um dieses anderen Geistes willen glaubte er Zwingli nicht als Bruder betrachten zu dürfen. Einen bitteren Beigeschmack hatte die Scheidung dadurch, daß die Reichsgewalt den Anhängern Luthers bis zu einem gewissen Grade Duldung gewährte, die Zwinglis als offenbare Ketzer verwarf. Indem Luther von sich aus eine Trennung vollzog, schien er aus dem Urteil der Altgläubigen Vorteil ziehen zu wollen, schien er einen Teil der evangelischen Brüder zu verleugnen, um sich bei den Feinden beider, den Anhängern des Antichrists, beliebt zu machen. Seine Feinde konnten sagen, er habe ja auch die Bauern preisgegeben, um selbst ungefährdet zu bleiben. Melanchthon waren berechnende Gedanken nicht ganz fern.

       Inhaltsverzeichnis

      Während Zwingli in der Abendmahlslehre sich von Luther trennte und den hohen Wert, den Luther diesem Sakrament beilegte, für eine päpstlich rückständige Gewohnheit hielt, in der Luther steckengeblieben sei, stimmte er in bezug auf die Taufe mit ihm überein. Im Grunde freilich war auch sie für ihn kein Sakrament, sondern ein Abzeichen; aber er ließ das auf sich beruhen. Nun bildete sich eine evangelische Sekte, die die Taufe kleiner Kinder für sinnlos hielt; denn in der Schrift heiße es: wer da glaubet und getauft wird, wird selig werden, neugeborene Kinder aber nicht glauben könnten. Außerdem werde in der Heiligen Schrift, der Quelle des evangelischen Glaubens, die Taufe nur an Erwachsenen, nicht an Kindern vollzogen. Den Reformatoren, die durch diese Bemerkungen in Verlegenheit gesetzt werden mußten, kam Luther mit einer tiefsinnigen Behauptung zu Hilfe. Wenn Glauben Empfänglichkeit für das Göttliche sei, sagte er, warum dann kleine Kinder nicht sollten glauben können? Vielleicht hätten sie mehr Glauben als die Erwachsenen. Ferner legte er Gewicht auf die Paten des Kindes, die mit ihrem Glauben für den seinigen einträten. Hier bewährte sich sein Gedanke vom mystischen Körper der Kirche. Wie er überzeugt war von der Wirkung des Gebetes für andere und, wenn er an schwermütigen Stimmungen litt, seinen Freunden vorwarf, daß sie nicht für ihn beteten, meinte er auch, daß der Glaube der Paten etwa mangelnde Glaubensfähigkeit des Kindes ausgleichen könne. Zwingli begnügte sich damit, daß die Taufe der Christen an die Stelle der israelitischen Beschneidung getreten sei, die man an Kindern vollzogen habe. Immerhin, da die Taufe zur Zeit Christi und der Apostel in der Tat an Erwachsenen vollzogen wurde, hätte ein Festhalten daran Evangelischen nicht als unleidliche Ketzerei zugerechnet werden sollen. Wenn die Wiedertäufer von Katholiken und Protestanten als der Abschaum der Menschen verworfen und verfolgt wurden, wenn unter dem Namen der Wiedertäufer alles zusammengefaßt wurde, was den Bau der Gesellschaft zerstört, so kann das nicht wohl durch den Gebrauch der Erwachsenentaufe erklärt werden. Etwas Unverständliches bleibt wohl in dem zahlreichen Auftauchen der Wiedertäufer bei Beginn der Reformation wie in der Abscheu, die sie erregten. Zum Teil ließen sich die Wiedertäufer auf eine Sekte zurückführen, die in der vorreformatorischen Zeit sich den Vorschriften der katholischen Kirche äußerlich fügten, in ihrem Denken und Handeln aber an das Evangelium hielten und durch die Nachfolge des Erlösers, soweit das der schwachen Kraft des Menschen möglich ist, das Heil zu erlangen suchten. Man nannte sie Evangelische und neuerdings Alt-Evangelische. Es war eine Richtung, die sich an Meister Eckhardt, Suso und Tauler und an die ›Brüder vom gemeinsamen Leben‹ anschloß, aber auch mit waldensischen und hussitischen Elementen vermischt war. Staupitz lebte in diesem Gedankenkreise und hatte auch Luther dafür gewonnen. Die im Dunkel und unter steten Gefahren lebenden Waldenser wurden zusammengefaßt durch wandernde Apostel, die durch Handauflegung geweiht wurden, und von denen man glaubte, daß sie auf diese Art mit der ältesten christlichen Zeit verknüpft seien. In manchen Sekten unterschied man drei Gruppen von Gläubigen: Anfangende, Wachsende und Vollendete, eben die Apostel. Diese durften nichts besitzen und waren auf die allerbescheidenste Lebenshaltung verpflichtet. Die Befolgung der Gebote Christi und die Notlage, in der diese Sekten sich befanden, brachte es mit sich, daß sie nicht kämpfen wollten, sondern gelassene Ergebung in das Leiden für ihre Aufgabe hielten. Ihre großartige Haltung im Martyrium erregte selbst bei ihren Feinden Bewunderung. Sie bequemten sich äußerlich der Kirche an, weil sie sonst ja nicht hätten bestehen können; dabei gewöhnten sie sich daran, alle Gebräuche, auch die, welche mehr als Zeremonien waren, für nebensächlich zu halten. Für sie war das Neue Testament, auf das sie sich hauptsächlich bezogen, so einfach, daß ein Kind es verstehen konnte, was auch Luther zuweilen behauptete; denn sie beschäftigten sich mit dem Beispiel Christi und mit denjenigen seiner Worte, die brüderliche Liebe der Menschen untereinander oder Geduld im Leiden empfahlen. Daß sie Glaubenszwang verwarfen, versteht sich von selbst.

      Was für eine Erschütterung mußte über diese Kreise kommen, als ihnen plötzlich durch das erfolgreiche Auftreten Luthers ein Weg ins Licht sich öffnete. Das nächstliegende war für sie, sich an Luther anzuschließen; aber da ergab es sich bald, daß sie in wesentlichen Punkten nicht mit ihm übereinstimmten. Schon Staupitz hatte sich von Luther abgewandt, weil er die Lehre über das Leben stellte; seitdem hatte sich dieser Unterschied noch verschärft. Ihnen war das Dogmatische bei Luther zuwider, da viele von ihnen an eine Offenbarung Gottes außerhalb der Bibel, nämlich im Geiste, das sogenannte innere Wort glaubten, Luther


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