Gesammelte Werke. Ricarda Huch

Читать онлайн книгу.

Gesammelte Werke - Ricarda Huch


Скачать книгу
Reformation einführte und eine engere Verbindung unter den Neugläubigen wirklich vorgenommen wurde, glaubten die fünf Orte, Luzern, Uri, Schwyz, Unterwaiden und Zug, der Verstärkung ihrer Gegner eine ebensolche entgegensetzen zu müssen, und schlossen eine Vereinigung mit König Ferdinand. Dieser war sehr erbittert über den Anschluß der Stadt Konstanz an die reformierten Eidgenossen, die durch ihre Lage wichtig war, und die er als österreichische Landstadt betrachtete. Ein Bund mit Österreich, durch dessen Bekämpfung sich einst gerade die fünf Orte unvergänglichen Ruhm erworben hatten, mußte bei ihnen selbst schwere Bedenken erregen, aber die Sorge um die Erhaltung ihrer Religion überwand sie. Die Glaubensgenossenschaft zeigte sich stärker als jede andere. »Hängen denn diejenigen«, schrieb Oekolampad an Zwingli, »die in Christus verbunden sind, nicht enger zusammen als die, die nur die Gewohnheit des Fleisches verbindet?« Der Spalt, der die Neugläubigen von den Altgläubigen trennte, ging mitten durch starke Gebilde, die historische Entwicklung, nationale und geographische Zusammengehörigkeit hatte entstehen lassen. Ein Teil der Eidgenossen fühlte sich durch Eidgenossen so bedroht, daß er mit dem Erbfeind Österreich sich verbündete, Zwingli dachte an die Möglichkeit eines Anschlusses an das vorher bekämpfte Frankreich. Das katholische Frankreich, auf welches sich auch die deutschen evangelischen Stände mit Vorliebe stützten, bildete einen merkwürdigen Fremdkörper in der Glaubensfront, neben dem zuweilen auch Bayern auftauchte. Im Reiche mischte sich der Streit über die Religion mit dem alten Kampf der Fürsten gegen die Zentralgewalt, der sie einst das Bündnis mit dem jetzt für einen Teil von ihnen zum Antichrist gewordenen Papst eingehen ließ.

      In der Eidgenossenschaft war es Zwingli, von dem der Antrieb zum Kriege ausging. Er wollte die neue Lehre, sein Werk, über die ganze Eidgenossenschaft ausbreiten, damit sie dann wieder ein einiges Ganzes bilden könne; er wollte aber auch verhindern, daß Zürich durch ihn seiner Vormachtstellung verlustig gehe. Er fühlte sich eins mit Zürich, das er mit seinem Geist durchdrungen hatte. Pietät für die fünf Orte empfand er nicht, er sah in ihnen die Feinde, die unschädlich gemacht werden mußten. Als der Ammann von Glarus den bevorstehenden kriegerischen Einbruch der Evangelischen in das Gebiet der fünf Orte verhinderte, damit es zu keinem Blutvergießen zwischen Brüdern komme, sagte Zwingli zürnend zu ihm: »Gevatter Ammann, du wirst Gott Rechenschaft geben müssen. Jetzt, wo die Feinde eingerückt sind, geben sie gute Worte. Du glaubst ihnen und vermittelst. Hernach aber, wenn sie gerüstet sind, werden sie unser nicht schonen und wird auch niemand vermitteln.« Er wollte für seine Überzeugung mit dem Schwerte kämpfen; Luther, dem es an Mut nicht fehlte, lag es näher, für seinen Glauben leiden zu wollen. Lange hielt er an dem Grundsatz fest, daß der Christ zur Erhaltung seines Glaubens keine andere Waffe als das Wort gebrauchen solle. Wird der Christ von den Feinden seines Glaubens getötet, wohlan, so stirbt er dem Herrn: Der Herr wird andere auferwecken, das Blut der Märtyrer wird nicht umsonst geflossen sein. Die Kurfürsten Friedrich und Johann hatten für Luthers Gesinnung Verständnis; ganz anders war Landgraf Philipp geartet. Sein Gefühl drängte ihn zum Kampf; er setzte vom Gegner dasselbe voraus, und daß der umstrittene Gegenstand die Religion war, verstärkte die Kampflust, anstatt sie zu dämpfen. Gegen einzelne, die von seinem Glauben abwichen, war er viel milder, als seine Zeitgenossen für richtig und begreiflich hielten; Fürsten gegenüber war er der Fürst, der auf allen Gebieten seine Macht zu wahren und zu mehren hat. Wie in der Eidgenossenschaft, so gingen auch im Reich Gerüchte von Rüstungen und arglistigen Plänen der Gegner um. Beide Parteien versahen sich des Schlimmsten voneinander. Aufregenden Nachrichten Glauben schenkend, ließ sich der Landgraf zu einem Angriff auf die Bischöfe von Bamberg und Würzburg hinreißen; nachdem die Nachrichten als unbegründet erwiesen waren, verlangte und erhielt er von den hilflosen Bischöfen eine große Summe als Entschädigung für die von ihm aufgewendeten Kriegskosten. Ob nicht der Schatten Sickingens vor ihm aufstieg und ihn mahnte? War er nicht auch ein Landfriedensbrecher, als welchen er jenen bis in den Tod verfolgt hatte? Wie tief hatte die jagende Zeit die beiden frühen Freiheitskämpfer in die Vergessenheit des Grabes gleiten lassen! Es war nicht die Art des Landgrafen, zurückzublicken. Ohne Bedenken ließ er sich Hilfsgelder von Frankreich zahlen, sah er sich nach Bundesgenossen um für den Fall, daß es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung käme. Diese Kampfesfreudigkeit verband ihn mit Zwingli, der ihn als Theologe ganz besonders befriedigte und an staatsmännischer Begabung ihm ähnlich war, wenn man darunter die Fähigkeit verstehen will, mit Umsicht kühne Pläne zu entwerfen und vorzubereiten und für die Ausführung auf die Gunst des Glückes zu hoffen.

      In die auf allen Seiten erhitzte Stimmung fiel der Reichstag zu Speyer. Schon als Ferdinand, um die Tagung zu leiten, ins Reich kam, besorgten die Städte, wo er unterwegs sich aufhielt, eine Überrumpelung. Kurz vorher hatten Straßburg und Basel die Messe abgeschafft; Erasmus verließ die Stadt, die ihm lieber als jede andere war, und begab sich nach Freiburg. Memmingen wurde wegen seiner evangelischen Haltung aus dem Schwäbischen Bund ausgestoßen, Straßburg wurde aus dem gleichen Grunde sein Sitz im Reichsregiment abgesprochen. Die kaiserliche Proposition, mit der Ferdinand Mitte März 1529 den Reichstag eröffnete, forderte zuerst Hilfe gegen die Türken, dann in schroffer Weise Einhaltung des Wormser Edikts. So sicher fühlte sich die Krone, daß sie die dringend notwendige Türkenhilfe in Anspruch nahm, ohne den evangelischen Ständen Zugeständnisse zu machen. Der Kaiser, hieß es, habe jetzt, nachdem ein gutes Verhältnis zum Papst hergestellt sei, begründete Hoffnung, daß bald ein Konzil berufen werde, auf welchem die kirchlichen Dinge geordnet werden würden. Bis dahin sollten alle gewaltsamen Säkularisationen und Verleitung zum neuen Glauben unter Acht und Aberacht gestellt werden. Der Abschied des letzten Reichstages, wonach sich jeder Stand in kirchlichen Angelegenheiten so verhalten solle, wie er es vor Gott und dem Kaiser verantworten könne, unter dessen Schild sich das Evangelium in den drei besten Jahren hatte ausbreiten können, dieser Abschied wurde ausdrücklich aufgehoben. Ein Ausschuß, darüber zu beraten, wurde eingesetzt, in dem die Katholiken, wie auf dem Reichstage überhaupt, weit überwogen. Sie machten den Vorschlag, diejenigen Stände, die die Neuerung bereits eingeführt hätten, sollten bis zum Konzil dabei bleiben dürfen, doch sollten sie gehalten sein, die Messe in ihrem Gebiet zu dulden. Die Sekten, welche dem hochwürdigen Sakrament und wahren Fronleichnam und Blut Christi entgegen wären, sollten nirgendwo zugelassen sein. Damit waren die Zwinglianer und die Wiedertäufer gemeint. Es war ein Versuch, die evangelische Partei dadurch zu trennen, daß man der einen eine verhältnismäßige Duldung gewährte, die anderen gänzlich unterdrückte. Noch glückte der geschickte Zug nicht. Eine Minderheit von Fürsten und Städten verwarf das Bedenken des Ausschusses und erklärte, bei dem Reichstagsabschied von 1526 bleiben zu wollen. Die Altgläubigen meinten gesiegt zu haben, hatte sich doch eine Mehrheit von Städten, und auf diese Geldmächte wurde großes Gewicht gelegt, ihnen angeschlossen. Ferdinand war im Begriff, den Reichstag zu beendigen, indem er die Vorlage für verbindlich erklärte, da faßten angesichts der Gefahr einige evangelische Stände einen raschen Entschluß. Nach kurzer Beratung kehrten sie in den Saal zurück und überreichten eine schnell abgefaßte Protestation und Appellation gegen den Abschied, der ohne ihre Einwilligung versiegelt sei und sie deshalb nicht verpflichte. Einen ausführlichen Schriftsatz ließen sie folgen, in dem sie erklärten, daß sie, obwohl dem Kaiser unwandelbar ergeben, doch dem Abschied nicht gehorchen wollten, da der vorige durch einmütige Vereinigung und nicht durch Mehrheitsbeschluß zustande gekommen sei und deshalb auch nur durch einhellige Bewilligung aufgehoben werden könne, »zusamt dem«, so hieß es in dem Schriftstück, »daß auch ohne dies in den Sachen Gottes Ehre und unser Seelen Heil und Seligkeit belangend ein jeglicher für sich selbst vor Gott stehen und Rechenschaft geben muß, also daß sich des Orts keiner auf anderer, minderes oder mehreres, Machen oder Beschließen entschuldigen kann.«

      Sie hätten sich mit der Berufung auf die rechtliche Unanfechtbarkeit des Speyerer Abschieds von 1526 begnügen können; aber sie fügten der weltlichen Begründung ihres Handelns die göttliche hinzu, weil sie von ihr aufrichtig erfüllt waren, aus ihr den Mut zu ihrer Tat schöpften. Man tut ihrem Andenken Unrecht, wenn man annimmt, daß auch der Vorteil, den die Reformation ihnen gebracht hatte, insbesondere durch die Einziehung der Kirchengüter, bei ihrem Entschluß ins Gewicht fiel und daß sie doch keine Heuchler waren. Einem Manne, der ein reiches Mädchen heiratet, darf man wohl glauben, daß er sie liebt, wenn er sie auch, im Fall sie arm gewesen wäre, nicht geheiratet hätte. Die Selbstsucht haftet dem Menschen so wesentlich an, daß auch seine Gefühle echter Hingebung und Opferwilligkeit nicht ganz frei von ihr sind. In diesem


Скачать книгу