Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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Ähnlich sagte Zwingli: »Wo Haß ist, da hat man nicht Sorge füreinander; so ich nun dem bresthaften Regiment und gemeinem Nutz unter der Eidgenossenschaft gern zu Hilfe käme, ist das nicht ein Zeichen des Hasses, sondern der Liebe, die ich bei Gott all meiner Tage von Kindheit an so groß und stark gegen eine fromme Eidgenossenschaft gehabt habe, daß ich in meinen jungen Tagen deshalb fleißig in allerlei Künsten und Klugheit gewesen bin«. Eine Verwandtschaft der Anlage war es vielleicht, die Zwingli sich des sterbenden Flüchtlings so warmherzig annehmen ließ. Bei beiden war die Liebe zum Vaterlande der stärkste Antrieb des Handelns. Obwohl er der Reformator seiner Heimat geworden ist, war Zwingli aus eigenem Geiste fruchtbar, nicht sosehr auf religiösem als auf politischem Gebiet. Seiner großen Begabung wegen, die sich früh zeigte, ließ sein Vater ihn studieren und Geistlicher werden. Er trieb die theologischen Studien gründlich als ein tüchtiger Mensch, der tut, was ihm obliegt, aber mit ausgesprochener Neigung die humanistischen. Mit den Humanisten teilte er die Bewunderung des Erasmus, dessen religiöse Haltung wurde sein Vorbild. Die Rückkehr zu den Quellen verlangte das Studium der Heiligen Schrift, besonders des Neuen Testamentes, das Erasmus aus dem griechischen Urtext übersetzt und gleichsam in die Reihe klassischer Schriften erhoben hatte. Aus ihm schöpfte Erasmus die Regeln schlichter Frömmigkeit und Milde, worin er das Wesen der Religion sah. Ein Gedicht des Erasmus, in dem er Jesus sich beklagen läßt, daß die Menschen nicht auf ihn allein hören und ihm allein nachfolgen, der der Brunnen alles Guten sei, machte besonderen Eindruck auf Zwingli. Er legte von nun an die Heilige Schrift allen seinen Predigten zugrunde.

      Die Bibel und Christus, das waren auch für Luther die bestimmenden Eindrücke; aber sehr verschieden war Ursprung und Art derselben bei Luther und bei Zwingli. Bei Luther war erschütterndes Erlebnis, was bei Zwingli erhellend und befreiend sich aus Studium und Nachdenken ergab. Groß war auch die Verschiedenheit der beiden Persönlichkeiten: um Zwinglis heitere Stirn wehte die Schneeluft seiner Berge, flammte das Blau des Himmels der Alpen; Luthers Stimme scheint bald aus einem feuchten Urwald, bald von den Sternen her zu dringen. Was Zwingli dachte und sagte, war klar, plastisch, abgeschlossen, hinter Luthers Worten tut sich eine unendliche Tiefe auf, in der sie langsam verströmen, indes ihr Klang zurückbleibt. Beide waren sehr musikalisch; von Zwingli wird erzählt, daß er mit allen zu seiner Zeit üblichen Instrumenten – Laute, Harfe, Geige, Trummscheit, Hackbrett, Waldhorn – richtig umzugehen wußte, sowie er sie in die Hand bekam. Aber für Luther war die Musik eine göttliche Kunst, recht für den Gottesdienst geeignet, eine unmittelbare Verkündigung des göttlichen Wortes, während Zwingli die Orgel aus der Kirche verbannte. Auch Zwinglis Sprache hatte gestaltende Kraft und Anschaulichkeit, Luthers war dazu noch voll Melodie, Schmelz und Süßigkeit, sie war vor allen Dingen geladen mit magischer Gewalt. Luther war zugleich Saul und David, das wunderbare Kind, das dem düsteren Gebieter die tröstende Harfe spielt, und der schwermütige Tyrann, der den Speer nach dem Knaben schleudert. Zwingli war ein tapferer Kämpfer gegen äußere Mächte; innere Kämpfe kannte er kaum. Es waren Gegensätze des Lebens, in deren Streit er sich mischte, in denen er siegen oder untergehen konnte; keine unlösbaren, die die Brust zerfleischen, die ihr Schauplatz ist. Es war, als ob die beiden starken Persönlichkeiten, gleich alt, in manchem ähnlich und doch im Grunde entgegengesetzt, durch die große Entfernung hindurch abstoßend aufeinander wirkten.

      Als Zwingli zuerst von Luthers Auftreten gegen den Papst hörte, nannte er ihn freilich bewundernd einen Elias. Luther reihte sich ein in die Schar der geistlichen Humanisten, die die Sache der Freiheit und Vernunft und echten Religiosität gegen Scholastik, Aberglauben und Verderbtheit führten. Zwingli war gerecht genug, dies, daß Luther der erste war, der sich offen gegen die päpstliche Zwingherrschaft und Glaubensverfälschung erhob, nie zu vergessen. Daneben aber war er von Eifersucht nicht frei, die ihn trieb, seine Unabhängigkeit zu betonen. Er hielt darauf, daß man wisse, er habe den evangelischen Grundsatz, den Glauben auf die Heilige Schrift zu gründen, selbständig, ohne Luthers Einfluß erfaßt und befolgt. Als er im Jahre 1518 an das Großmünster in Zürich berufen wurde, fing er an, das ganze Evangelium des Matthäus auf der Kanzel zu erklären, eine aufsehenerregende Neuheit. Ein zufälliger, alltäglicher Umstand gab im Jahre 1522 den Anlaß zur kirchlichen Umwälzung. Eine kleine Gesellschaft angesehener Züricher, unter ihnen Zwingli, fand sich an einem Freitag bei dem berühmten Buchdrucker Christoph Froschauer zusammen und wurde, da es Fastentag war, mit Küchlein bewirtet. Vielleicht war einer der Geladenen oder Froschauer selbst ein Liebhaber von Wurst, vielleicht wollten sie auch ihren freien Standpunkt zeigen, genug, der Gastgeber brachte eine Wurst herbei, zerschnitt und verteilte sie. Zwingli beteiligte sich nicht; hernach aber, als der Rat die Übertretung strafen wollte, verfaßte er eine Schrift über die christliche Freiheit, die den Umschwung einleitete.

      Während Luther, allerdings unter der Hand von seinem Fürsten beschützt, sich allein mit seiner Person für das, was er lehrte, einsetzen mußte, ging Zwingli von Anfang an Hand in Hand mit der Züricher Regierung vor. Sie schlug den Untertanen gegenüber einen befehlshaberischen Ton an: »Wenn aber jemand weiterhin widerstreben und seine Lehre nicht mit der Heiligen Schrift beweisen würde, so werden wir gegen ihn nach unserem Gutfinden so scharf vorgehen, wie wir es lieber nicht tun möchten.« Als verstehe sich das von selbst, nahm die Regierung, und zwar mit Zwinglis Einverständnis, das Recht in Anspruch, den Glauben ihrer Untertanen zu bestimmen. Auch Luther unterstellte die Kirche der weltlichen Obrigkeit, aber er tat es aus Not, weil sie sich sonst überhaupt nicht hätte halten können, und nicht ohne quälendes Bedenken. Allerdings war Luther Untertan eines Fürsten, Zwingli der eines republikanischen Stadtrates, der annähernd als Vertretung der Gemeinde aufgefaßt werden konnte. Trotzdem blieb die Tatsache, daß die Kirche von einer weltlichen Regierung beherrscht wurde. In der Eidgenossenschaft war dieser Wechsel nicht so spürbar wie im Reich, weil die eidgenössische Regierung sich schon seit geraumer Zeit in vielen Dingen, besonders in den finanziellen, unabhängiger vom Papst gemacht hatte. Nach der vollständigen Loslösung wurde in den reformierten Kantonen das staatliche Wesen so mit dem kirchlichen verschmolzen, daß, ähnlich wie in England, Staatszugehörigkeit und Kirchlichkeit zu einem einheitlichen Patriotismus zusammenschmolz. Beide, Vaterlandsliebe und Religion, verstärkten sich gegenseitig, eher mehr noch die Religion die Vaterlandsliebe als umgekehrt. Sowohl Zwingli wie Luther hatten einen so mächtigen Einfluß auf die Regierung ihrer engeren Heimat, daß sie in ihrer nächsten Umgebung schädliche Übergriffe des weltlichen Regiments einigermaßen verhindern konnten; aber Luther blieb sich doch des häßlichen Widerspruches bewußt, in den er sich durch die Auslieferung der Kirche an die weltliche Regierung zu seiner Befreiertat setzte.

      Daß Zwingli so einig mit der Regierung gehen konnte, kam auch daher, daß er als Politiker fühlte, man kann vielleicht sagen als Eidgenosse, dem das Wohl seines Landes in jeder Hinsicht am Herzen lag. Er wollte sein Volk ehrbar, gesund, tüchtig machen, durch Gottesfurcht der Gnade Gottes teilhaftig, blühend und glücklich. Vor allem war er zur Einsicht der Gefahr gekommen, die der Schweiz aus ihrer Teilnahme an den kriegerischen Verwicklungen der benachbarten Großmächte erwuchs, einer Gefahr, die den Bestand des ganzen Gemeinwesens und den moralischen Charakter der einzelnen bedrohte. Indem die verschiedenen Kantone verschiedenen Mächten Werbungen gestatteten, geschah es, daß Eidgenossen gegen Eidgenossen im Felde standen; die Annahme von Pensionen beförderte Bestechlichkeit und den Hang zu Luxus und mühelosem Genießen. Nachdrücklich bekämpfte er vom Standpunkt des Christen aus den Krieg überhaupt. Vielleicht sprach da der Einfluß des Erasmus mit, in dessen Augen der Krieg unchristlich, unsozial, unprofitabel, wider Vernunft und Natur war. Da die meisten Orte sich von Frankreich, der zahlungsfähigsten Macht, gewinnen ließen, bekämpfte Zwingli Frankreich. Wie gänzlich änderte sich das, als die altgläubig gebliebenen Orte der vorwärtsstrebenden reformatorischen Bewegung Halt geboten, ja sie zu unterdrücken suchten. Mit solcher Energie ging Zwingli zu kriegerischer Haltung über, daß man darin seine eigentliche Natur und sein Temperament zu erblicken glaubt. Sofort faßte er nicht nur ein engeres Bündnis mit den bedeutendsten eidgenössischen Orten Bern und Basel ins Auge, sondern auch mit den süddeutschen Städten, die das Evangelium bereits angenommen hatten oder dazu neigten, und scheute sich nicht, der zugewandten Stadt St. Gallen den Besitz des in ihrem Gebiet liegenden Klosters zu versprechen, ja sogar den sogenannten gemeinen Herrschaften, an denen die katholischen Orte ebensoviel Anrecht hatten wie Zürich, Selbständigkeit und Gewinn an einzuziehenden geistlichen Gütern in Aussicht zu stellen. Noch bedenklicher war es, wenn er die Möglichkeit erwog, die aufständischen


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