Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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und furchtlos erweisen, sind sie sein Volk und haben teil an seinem elementaren Wesen. Sie sind ein Geschlecht von Riesen, die der Lawinen und Blöcke, die ihr wilder alter Gott ins Tal rollt, nicht achtend über zackigen Granit schreiten und Feinde, die sich in ihren heimischen Bezirk wagen, mit geschleuderten Felsen vertreiben. Aber wenn sie Riesen waren, so waren sie doch nicht einfältigen oder plumpen Geistes; sie konnten ihre politische Lage mit jedem Vorteil und Nachteil beurteilen und die Umstände des Geschehens in Nähe und Ferne berechnen und benützen.

      Die beiden Länder Schwyz und Uri waren überwiegend von Adligen und freien Leuten bewohnt, die sich nach altgermanischer Auffassung kaum vom Adel unterschieden. Das Ländchen Uri war ein Teil der Ausstattung, mit der im Jahre 853 König Ludwig der Deutsche seine Tochter Hildegard beschenkt hatte, als er in der Nähe der königlichen Pfalz auf dem Lindenhofe beim Orte Zürich ein Kloster gründete und sie zur Äbtissin desselben machte. Wie für alle Klöster wurde auch für die Abtei Fraumünster ein Vogt bestellt, der die hohe Gerichtsbarkeit über das klösterliche Gebiet führte; mit dem Ende des 11. Jahrhunderts kam die Schirmvogtei an die Herzöge von Zähringen. Der Umstand, daß die durch die Immunität aus dem Gesamtverbande gelösten Länder unter derselben Gerichtsbarkeit standen, daß die Bewohner Markgenossen an derselben Allmende waren, das Zusammengedrängtsein namentlich im selben Tale, das Umschlossensein von denselben Bergen nährte in den Leuten von Uri das Gefühl, ein Ganzes, eine Gemeinde auszumachen: im Beginn des 13. Jahrhunderts nannten sie sich die Universitas hominum vallis Uroniae. Das Aussterben der Zähringer im Jahre 1218 befreite die Gemeinde Uri von der Gefahr, Untertanen dieses Hauses zu werden; aber eine neue erhob sich, als Friedrich II. die Vogtei dem Grafen Rudolf dem Älteren von Habsburg verpfändete. Wenn schon die Vögte fast immer danach trachteten, das Land, dem sie als Richter vorstanden, in ihren erblichen Besitz zu bringen, so gab sich die Gelegenheit zu solcher Vergewaltigung vollends bei Verpfändungen. Die Urner suchten sofort sich der Schlinge zu entziehen, die ihrer Freiheit gelegt war, und sie hatten Glück: Heinrich VII., des Kaisers junger Sohn, den er zu seinem Stellvertreter in Deutschland ernannt hatte, erklärte ihren Boten zu Hagenau im Elsaß, daß er die Vogtei zurückgekauft habe und daß er die Männer des Tales Uri niemals dem Reich entfremden werde. Mit diesem Brief des unglücklichen jungen Königs erhielten die Urner die Beglaubigung ihrer Reichsfreiheit, die ihnen nie bestritten wurde. Die Vogtei wurde künftig von Amtmännern aus ihrer Mitte ausgeübt, die nach einiger Zeit Landammänner hießen. Seit dem Jahre 1243 gab das Land seiner Selbständigkeit dadurch Ausdruck, daß es ein eigenes Siegel führte.

      Auch Schwyz, das damals aus dem Flecken Schwyz und dem Dorf Steinen bestand, wurde hauptsächlich von Freien bewohnt; doch gab es dazwischen auch eigene Leute verschiedener Dynasten und Klöster. Die Gerichtshoheit über Schwyz hatten als Landgrafen vom Zürichgau die Grafen von Lenzburg und, nachdem diese ausgestorben waren, die Grafen von Habsburg. Von dieser Familie, die zu ihrem Eigenbesitz an der Aare verschiedene Güter des Grafen von Lenzburg hinzugeerbt hatte, war vorauszusetzen, daß sie versuchen würde, das landgräfliche Amt in eine Herrschaft umzuwandeln, die freien Schwyzer zu Untertanen zu machen. Das Beispiel von Uri wies den Schwyzern den Ausweg aus der sich bildenden Klammer: einzig die Reichsfreiheit gab Sicherheit vor der Unterwerfung unter eine Dynastie. Aus der anschwellenden Flut der Feudalität ragte der Kaiser als ein Fels der alten Volksfreiheit, er handhabte sein Zepter wie einen Zauberstab, mit dem er die Überschwemmung vor denen zum Stehen bringen konnte, die sich ihm ergaben, und die er annahm. Würde er die Männer von Schwyz begnaden, Friedrich II., der Rätselhafte, der Schreckliche, der eben seine ganze Kraft aufbot, um den Papst zu vernichten? In diesem Kampf, der das Abendland erschütterte, erspähten die aufmerksam beobachtenden Männer von Schwyz einen Anlaß. Graf Rudolf von Habsburg-Laufenburg nämlich, der die Landgrafschaft innehatte, stellte sich auf die Seite des Papstes, wurde somit Feind des Kaisers, der gern dazu beitragen würde, den Abtrünnigen zu schwächen. Man weiß nicht, wie die Männer hießen, die den schicksalvollen Weg über das Gebirge antraten, um dem Kaiser ihr Anliegen vorzutragen. Es ist anzunehmen, daß sie vorher sich mit denen von Uri besprachen; dann stiegen sie mit festen langen Schritten die Schöllenen hinauf, an der tobenden Reuß entlang, über die stiebende Brücke, die seit einer Reihe von Jahren den Felsen umging, den jetzt das Urner Loch durchbohrt, und über den wilden Gotthard zum Süden hinunter. Vor Faenza fanden sie den Kaiser. Staunend betrachteten sie wohl die Mauern, die der Gewaltige hatte aufrichten lassen, um die tapfer sich wehrende Stadt abzusperren, die nie gesehenen Belagerungswerke und Untergrabungen, mit denen er ihr zusetzte. Vielleicht sahen sie die siebzig Leichen der Bürger von Faenza, die er im Angesicht der Stadt zur Drohung hatte aufhängen lassen. Inmitten der Schrecken hatten die von Schwyz Glück: Friedrich anerkannte ihre Reichsfreiheit, versprach ihnen seinen Schutz und die Fülle seiner Gnade, und daß er sie niemals dem Reich entfremden werde. Leichteren Herzens als sie abgereist waren, kehrten sie zurück, die Urkunde in der Hand, die ihnen verbriefte, was ihnen teurer als ihr Leben war, die Freiheit. Indessen wußten sie wohl, die politisch sehr gewitzigt waren, daß die Urkunde allein ihnen die Freiheit nicht sicherte. Zum Siegel des Kaisers, der wie eine Schachfigur bald auf diesem, bald auf jenem Brette stand, mußte das Siegel des Blutes kommen, damit sie gültig werde.

      Im Lager des Kaisers vor Faenza befand sich einer von seinen treuesten Vasallen, Graf Rudolf von Habsburg, damals, 1240, 22 Jahre alt, der Friedrichs Patenkind und ihm fast wie ein Sohn ergeben war. Er war der Neffe des Grafen Rudolf, der Landgraf im Zürichgau war, gegen dessen Interesse der Freiheitsbrief sich richtete, den die Schwyzer davontrugen; wenn er davon erfuhr, hielt ihn wohl die Ehrfurcht vor seinem kaiserlichen Herrn von einer Äußerung über die Angelegenheit zurück, die ihn im Augenblick nicht anging. Sein Oheim hingegen, Graf Rudolf der Ältere, erkannte das Geschehene nicht an, forderte vielmehr den Papst auf, alle diejenigen in den Oberen Landen, die sich dem Kaiser angeschlossen hätten, darunter Schwyz und Unterwalden, mit dem Banne zu belegen. In dieser Zeit allgemeinen Aufruhrs schwuren Männer von Schwyz und Uri, vielleicht auch solche von Unterwalden und Luzern, in einem etwaigen Kampfe um ihre Freiheit einander beizustehen, einer für alle, alle für einen. Nicht die Geschichte und nicht einmal die Sage meldet von diesem Schwur, man schließt aus dem, der später vollzogen wurde, auf einen, der ihm voranging. Es kann ihm kein Denkmal gesetzt werden, er ist an keine Stätte gebannt, er ist der Geist der Freiheit, der das hochgetürmte Land wie mit undurchdringlichen Flammen umgürtete.

      Im Lande Unterwalden gab es wenig freie Leute, die meisten waren den Klöstern Murbach und Engelberg untertänig, deren Vögte die Habsburger waren. Sie bildeten infolgedessen keine Markgenossenschaft; was sie einigte, war die Gerichtshoheit der Vögte, denen sie gemeinsam unterstanden, und die geographische Nachbarschaft. Der Ort Luzern gehörte dem Kloster Murbach im Elsaß; auch dort gab es eine Partei, die Anschluß an den Kaiser suchte.

      Fünf Jahre nachdem Friedrich II. den Schwyzern den Freiheitsbrief ausgestellt hatte, starb er; es folgte der Sturz der Staufer, der Sturz des Kaisertums. Jahre hindurch gab es keinen höchsten Richter mehr im Reiche, der Quell des Rechtes hörte auf zu fließen. Als dann im Jahre 1273 die Kurfürsten wieder einen König wählten, der allgemein anerkannt wurde, war das Ergebnis für die Orte im Oberen Lande Schwaben unheilvoll; König wurde der Graf von Habsburg, so daß nun der Dynast, dessen Machtstreben Schwyz und Uri sich entziehen wollten, und der Oberherr, bei dem sie vor ihm Schutz suchten, eine Person waren. Würde Rudolf, derselbe, der im Lager vor Faenza war, als Friedrich den Schwyzern die Reichsunmittelbarkeit verbriefte, ihnen gegenüber der Landgraf und Vogt oder würde er der König sein? Rudolf, der, bevor er König wurde, im Solde Straßburgs stand und auch als König den Städten manche Gunst erwies, war kein Despot und kein Eroberer; es war, obwohl es ihm an Zügen der Größe nicht fehlte, etwas Bürgerliches in seiner Natur, etwas von der bedächtig scharrenden Methode des Krämers in der Art, wie er seine Hausmacht ausbaute. Daß er es tat, war richtig, ohne einen sicheren Punkt unter den Füßen konnte er das königliche Amt nicht ausüben, und es war selbstverständlich, daß er die Gegend zu einem habsburgischen Reiche erweitern wollte, wo er bereits Güter und Rechte besaß. Dies Land war, scheinbar arm mit seinen Felsen, die kaum Ziegen ernährten, von unermeßlicher Wichtigkeit als Zugang zur Gotthardstraße, die seit der Errichtung der stiebenden Brücke zu einem der meistbegangenen Pässe nach Italien wurde, wichtig für den König wegen seiner Beziehungen zur Lombardei und zu Rom, aber auch für jeden anderen Fürsten, der sich an den Zöllen des Handelsweges bereichern konnte. Als ein ehrenhafter Mann ging Rudolf


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