Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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und kehrte nach Bayern zurück. Marsiglio, Cesena, Ockham, Bonagratia, Thalheim folgten ihm nach München und fanden im dortigen Franziskanerkloster, das sich in der Nähe der herzoglichen Burg befand, da wo heute das Theater steht, eine Zuflucht.

      Während diese tapferen Männer fortfuhren, ihre und des Kaisers Sache in Schriften zu verteidigen, ging Ludwig mit dem Gedanken um, sie zu verraten. Wenn er sich dem Papst gegenüber auf den Standpunkt stellte, er sei ein einfacher Kriegsmann und verstehe nichts von gelehrten Spitzfindigkeiten und sei deshalb nicht verantwortlich für das, was die Theologen gegen den Papst vorgebracht hätten, so war das nicht nur eine Ausflucht. Wahrscheinlich hatte er wirklich von ihren Auseinandersetzungen nicht viel verstanden, obwohl er sich zuweilen aus dem Defensor pacis vorlesen ließ. Er hatte im Beginn des Kampfes wie schon manchmal einen fröhlichen Aufschwung genommen; wie damals, als er den Brand in das Dorf warf und den aufschlagenden Flammen zujubelte, hatte die Lust am fabelhaften Abenteuer ihn hingerissen. Den wachsenden Schwierigkeiten gegenüber erlosch seine Tatkraft; er fühlte sich wohl im alten Geleise und wollte gern auf die Anhänglichkeit der Römer und die Ergebenheit der geistvollsten Männer des Abendlandes verzichten, wenn er dafür die Verzeihung des Papstes eintauschen könnte. Zunächst bewahrte ihn Johann XXII. selbst vor Schmach: sein Starrsinn, verstärkt durch den Einfluß des französischen Königs, lehnte alle Annäherungsversuche ab trotz der Demütigungen, die Ludwig bereit war auf sich zu nehmen. Da kam ihm noch einmal Hilfe von außen. Von seinem professoralen Eifer angetrieben stellte der Papst einen neuen theologischen Lehrsatz auf, der niemanden befriedigte, sondern jedermann unwillkommen war. Er behauptete nämlich, die Seelen der Verstorbenen kämen nicht eher zur Anschauung Gottes, als bis sie am Jüngsten Tage wieder mit dem Leibe vereinigt wären. Mit Staunen und Entrüstung vermerkten die Gläubigen, daß demnach die bisher als Heilige verehrten und andere teure Personen sich noch in einem mangelhaften Übergangszustande befänden, und Widerstand gegen eine so überflüssige Neuerung im Begriff des jenseitigen Zustandes erhob sich. Nicht nur die Minoriten, allen voran Ockham, wiesen in gelehrten Schriften nach, auf was für einem Irrweg der Papst sich habe treffen lassen, auch seine bisherigen Anhänger und Freunde, die Dominikaner, die Könige von Frankreich und Neapel wandten sich von ihm ab, erklärten ihn für einen Ketzer. Die Losung der Zeit, das Konzil, wurde wieder als Ausweg verkündet; es sollte nun vor allem die Aufgabe haben, den ketzerischen Papst abzusetzen. Indessen bevor der Kaiser aus der unverhofften Wendung Vorteil für sich gezogen hatte, zog der Tod den Neunzigjährigen aus der Schlinge. Benedikt XII., der ihm folgte, ein Südfranzose niedriger Herkunft, wurde durch die Könige von Frankreich und Neapel verhindert, sich mit Ludwig zu versöhnen, der zu äußerster Nachgiebigkeit bereit war.

      Der politische Hintergrund im Vorhalten des Papstes war so deutlich geworden, daß nunmehr die Reichsfürsten sich entschlossen, die Würde des Reiches zu wahren, die der Kaiser preisgegeben hatte. Diese Herren, die einen willenskräftigen Kaiser so oft verraten hatten, stellten sich stolz neben den Schwankenden. Bestimmte sie auch weniger die Treue zum Kaiser als der Gedanke, daß sie, die Wähler des Kaisers, in seiner Person herabgesetzt wurden, so war ihr Auftreten doch ein Gewinn und ein seltenes Zeugnis für die Einheit von Kaiser und Reich. Im März 1338 verfaßte die Mehrzahl der Bischöfe in Speier eine Eingabe an den Papst, er möge den Kaiser in Gnaden aufnehmen; Bischof Ulrich von Chur und Graf Gerlach von Nassau brachten das Schreiben nach Avignon. Nachdem der Schritt erfolglos geblieben war, versammelten sich am 15. und 16. Juli in Lahnstein und Rense die Kurfürsten mit Ausnahme des Königs Johann von Böhmen, der mit Ludwig verfeindet war, stellten die Unabhängigkeit des königlichen Regierungsrechtes vom Papst fest und teilten dem Papst in einem gemeinschaftlichen Schreiben ihre Entschließung mit. Auf dem Reichstage zu Frankfurt, wo Ludwig persönlich erschien, wurde diese verfassungsrechtliche Entscheidung dadurch erweitert, daß auch die Führung des kaiserlichen Titels nur von der Wahl durch die Kurfürsten sollte abhängig sein. Die entsprechenden Erklärungen wurden an der Tür des Frankfurter Domes angeschlagen.

      Dieser Aufschwung des Reiches, meinte man, hätte Ludwig stählen müssen; aber er dachte nur an Aussöhnung mit dem Papst.

      Clemens VI., der im Jahre 1342 dem verschmitzten Riesen Benedikt folgte, war wie jener ein Südfranzose, aber ganz anders geartet. Pierre de Rosiers, Abt des Klosters Fécamp in der Normandie, der an ein mit allen Annehmlichkeiten des Reichtums und höfischer Sitte ausgestattetes Leben gewöhnt war, stand den geistlichen Aufgaben eines Papstes ziemlich fern. Der Zufall wollte, daß der im Knabenalter stehende Sohn des Königs Johann von Böhmen, Karl, sich in Paris befand, als der 27jährige Abt von Fécamp eine gegen Ludwig den Bayer gerichtete Rede hielt, der sich kurz vorher in Rom von einem exkommunizierten Bischof und einem rebellischen Adligen hatte zum Kaiser krönen lassen. Es war eine ganz im Sinne des französischen Königs gehaltene Rede, der selbst nach der Kaiserwürde strebte und es zufrieden war, daß der Deutsche sich als Ketzer vor der Welt unmöglich machte. Diese Predigt des redegewandten eleganten Abtes machte auf den jungen Karl einen unvergeßlichen Eindruck; er suchte seine Freundschaft und war hochbeglückt, daß der Geistliche sich herbeiließ, ihn in theologischen Dingen zu unterrichten. Als nun Karl im Jahre 1340 in Avignon war, um dem damaligen Papst, es war Benedikt XII., seine Ergebenheit zu zeigen, traf er dort den Abt von Fécamp, der inzwischen Erzbischof von Rouen geworden war und sich beim Papst bedankte, weil er ihn zum Kardinalbischof erhoben hatte. Die beiden Herren erneuerten die frühere Freundschaft, und eines Tages sagte der Erzbischof zu Karl: »Du wirst noch König der Römer werden«, worauf Karl entgegnete, »und du wirst vorher Papst sein.« Es waren Weissagungen, deren Erfüllung die Betreffenden kaum überraschte. Als der Tod Benedikts den Herrn von Rosiers auf den Heiligen Stuhl gebracht hatte, gab er sich Mühe, seine Prophezeiung wahr zu machen. Von vornherein waren Ludwigs Annäherungsversuche aussichtslos, Clemens VI. war entschlossen, die Kaiserkrone seinem Schüler und Schützling zuzuwenden. Er legte Ludwig 28 Artikel vor, die die übertriebensten Ansprüche an seine Unterwürfigkeit stellten, in der Meinung, daß er sie für unannehmbar halten würde. Indessen er hatte mit der Gefügigkeit Ludwigs nicht gerechnet, der alles preiszugeben bereit war, um nur den Frieden mit der Kirche zu erlangen. Freilich muß man sich bewußt sein, daß ein Sichbeugen des Kaisers vor dem Papste so wenig als Erniedrigung angesehen wurde wie solches eines Sohnes vor dem Vater; denn dies war das angenommene Verhältnis. Wurden doch überhaupt Kniefälle, Tränengüsse, Selbstanklagen nicht wie in unserer empfindlichen und dem Gefühl und Gefühlsausdruck abholden Zeit als entehrend betrachtet. Nur wenn die Forderung des Papstes dem Herkommen widersprach und einen bedenklichen Präzedenzfall zu schaffen schien, legte schon Barbarossa den Fürsten die Frage zur Entscheidung vor, ob die gewünschte Demütigung mit der Ehre des Reiches vereinbar sei. Clemens war wohl ebenso peinlich überrascht durch die Demut des Kaisers, wie einst Gregor VII. durch die Ankunft Heinrichs IV. auf Canossa, mit mehr Grund überrascht als jener, da ja Ludwigs Stellung im Reich viel fester begründet war. Wie die Prinzessin im Märchen, die, wenn ein unerwünschter Freier ihr Rätsel geraten hat, ein noch schwierigeres zur Lösung stellt, vermehrte Clemens seine Forderungen. Da jedoch hielt es Ludwig mit Rücksicht auf das Reich für geraten, sie zurückzuweisen. Er legte sie in Frankfurt einem Reichstage vor, der einmütig erklärte, daß sie abzulehnen seien. Im Namen der Fürsten sagte der Kanzler von Trier, daß sie zum Schaden und Verderben des Reiches führen würden, im Namen der Städte gab ein Bürger von Mainz eine entsprechende Erklärung. Ludwig fuhr trotzdem fort, unterderhand um die Gunst des Papstes zu werben, als dieser plötzlich im Jahre 1346 den großen Kirchenbann über ihn verhängte mit den altgeheiligten, donnerrollenden Verfluchungen: »Flehentlich bitten wir die göttliche Macht, daß sie die Raserei Ludwigs zerschmettere – möge er einer Fallgrube begegnen, die er nicht sieht, und hineinstürzen! Verflucht sei sein Eintritt, verflucht sein Austritt! Der Herr schlage ihn mit Wahnsinn, Blindheit und Raserei! Der Himmel entlade seine Blitze über ihm! Der Zorn des allmächtigen Gottes und der heiligen Peter und Paul entbrenne gegen ihn in diesem und dem kommenden Leben! Der Erdkreis kämpfe gegen ihn! Die Erde öffne sich und verschlinge ihn lebendig!« Der Papst mußte sich damit begnügen, daß den Kaiser im folgenden Jahre, während er auf der Bärenjagd war, unversehens der Tod ereilte. Inzwischen hatte Clemens durchgesetzt, nachdem Karl von Mähren sich allen den Forderungen unterworfen hatte, die kurz vorher vom Reichstage für unannehmbar erklärt worden waren, daß diesem seinem Schützling wenigstens von einigen Wahlfürsten die Krone übertragen wurde.

      Scheinbar hatte der Papst über das Kaisertum


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