Gesammelte Werke. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.zwei Gewalten, die Gott eingesetzt habe, die eine, nämlich die weltliche, vernichten wolle. Schließlich beantragte er den Zusammentritt eines allgemeinen Konzils. Des Papstes Antwort war, daß er am 23. März 1324 über Ludwig den Kirchenbann und über seine Länder das Interdikt verhängte; einige Monate später erklärte er ihn der königlichen und kaiserlichen Würde verlustig.
Nie war eines gebannten Kaisers Lage je so glücklich gewesen. Von Heinrich IV. waren auf den Wink des Papstes die Fürsten abgefallen, nur wenig gewichtige Stimmen waren für ihn eingetreten; jetzt war es anders. Der Papst hatte Frankreich auf seiner Seite; aber die bedeutenden, die kühnen Geister, die, welche Zukunft in sich trugen, strömten Ludwig zu, drängten sich ihm auf, in Italien erwartete ihn eine mächtige Partei, und die deutschen Fürsten wankten nicht, die Städte standen unentwegt hilfsbereit hinter ihm. Man meint, so gestützt hätte er es mit dem 79jährigen Geizhals in Avignon aufnehmen können. Drei hervorragende Gegner hatte der Papst, die sich dem Kaiser zur Verfügung stellten: Michael von Cesena, Marsiglio von Padova, Wilhelm von Ockham. Michael von Cesena war im Jahre 1316, demselben in dem Johann von Cahors Papst wurde, zum General des Franziskanerordens gewählt worden, der seit dem Ende des 13. Jahrhunderts durch eine verschiedene Auffassung der Lehre von der Armut gespalten war. Man hatte sich darauf geeinigt, daß den Ordensleuten die Nutznießung weltlicher Güter gestattet sei; aber immer wieder wurde eine Meinung laut, die den Franziskanern, ja den Geistlichen überhaupt, die eigentliche, buchstäbliche Armut zur Pflicht machen wollte. Die Vertreter dieser Meinung wollten den Ordensmitgliedern nur den sogenannten usus tenuis im Gegensatz zum usus moderatus gestatten, das heißt die allergeringste Nutznießung weltlicher Güter, so daß sie ihr Leben durch Bettel fristeten. Die strenge Richtung wurde von den Päpsten bald gebilligt, bald verworfen, Johann XXII. verwarf sie und schritt gegen ihre Bekenner mit voller Strenge ein; in Marseille wurden mehrere verbrannt. Bei seinem Hang zu gelehrter Theologie konnte es Johann XXII. nicht unterlassen, die Streitfrage selbst wissenschaftlich zu begutachten, und das Ergebnis war, daß er die Armut Christi leugnete. Bald darauf ließ Michael von Cesena in einer Ordens Versammlung feststellen, daß die Behauptung, Christus und die Apostel hätten kein gemeinsames Eigentum gehabt, nicht häretisch sei. Als Gegenschlag erklärte Johann in der Dekretale Cum inter nonullos diese Lehre für ketzerisch, und in der Dekretale Quia quorundum, daß den Päpsten das Recht zustehe, Erklärungen ihrer Vorgänger in Glaubens- und Sittensachen zu widerrufen. So befanden sich die Minoriten im offenen Gegensatz zum Papst. Unter ihnen waren außer Michael von Cesena noch mehrere geistvolle und entschlossene Männer, namentlich der Engländer Wilhelm von Ockham und der streitbare, unerschrockene Bonagratia, eigentlich Boncortese, von Bergamo. Ockham, der Doctor invincibilis, war als scholastischer Philosoph ein Neuerer; wie ein Löwe, der keinen Angriff fürchtet, sagt der Chronist von Winterthur, widerlegte er in den Disputationen seine Gegner.
Von anderer Seite, obwohl auch von Ockham beeinflußt, kam Marsiglio von Padova. Man nimmt an, daß er bürgerlicher Herkunft war, Raimondini hieß und um 1270 geboren ist. Er studierte in Padova Philosophie und Medizin und scheint Soldat gewesen zu sein; daraus, daß er im Jahre 1312 Rektor der Pariser Universität war, ist zu schließen, daß er Geistlicher war, wenigstens die niederen Weihen empfangen hatte. Durch Angriffe auf das päpstliche System erschütterte er seine Stellung, so daß er Paris verlassen mußte; in dieser Bedrängnis dachte er an den Kaiser und begab sich mit seinem Gefährten Jandun nach Nürnberg, wo Ludwig damals Hof hielt. Eine Stunde des Schicksals stieg aus der Tiefe der Zeit, eine Stunde, wo alle Strömungen wunderbar zusammenschießen, daß die große Tat wie eine Blume gepflückt werden kann. Der Name des Kaisers flammte weit ins Land und zog die Schiffe der Verwegenen, die mit den Wellen kämpften, an. Wie mancher Imperator hatte, gehaßt und verflucht, ungebeugt bis zum Tode, mit den römischen Tyrannen gerungen, die im ganzen Abendlande den Geist fesseln wollten! Wer die Ketten sprengen wollte, scharte sich nun um den einzigen, der als ebenbürtige Macht den Kampf mit dem Papst aufnehmen konnte. Marsiglio war ganz Italiener, klar, kühl und glühend, unbeirrt durch Träume des Herzens, wenn er seinen Verstand brauchte wie ein rasches Schwert. In seinem Blick waren Strahlen, die den magischen Himmel über der mittelalterlichen Seele verzehrten; er sah die Dinge als Protestant und als bürgerlicher Mensch, der sein eigenes Gewissen und sein eigenes Urteil hat, der sich nach allen Seiten rühren und sich nur beugen und beschränken lassen will, wenn Einsicht und Nutzen es fordern. Der Kirche sprach er alle weltliche Macht, alles Recht zur Einmischung in weltliche Dinge ab. Aber auch der weltliche Regent, sei er Kaiser oder König, ist nach ihm dem Volke verantwortlich; denn das Volk ist der eigentliche Souverän. In Glaubenssachen hat nicht der Papst, sondern ein Konzil zu entscheiden, das den gesamten Klerus, aber auch Laien umfassen soll. Die Gemeinde wählt den Priester, der Papst hat keine höhere Gewalt, als andere Priester haben. Die Grundlage des Glaubens ist die Heilige Schrift, zum Glauben kann niemand gezwungen werden: infolgedessen ist niemand wegen Ketzerei zu strafen, als wer sich zugleich gegen weltliche Gesetze vergeht.
Zum Teil waren dieselben und ähnliche Gedanken schon ausgesprochen: auch Dante in seiner Monarchie hatte den Staat in bezug auf Gewalt über die Kirche gestellt, und verschiedentlich war der Verzicht der Kirche auf weltliche Güter gefordert, Ketzer stellten der Kirche die Bibel als Grundlage des Glaubens entgegen; aber noch nie vorher war ein Weltbild so verschieden von den herrschenden, so zusammenhängend, so in sich geschlossen entworfen, und noch nie war seine Verwirklichung mit solcher Energie und solcher Rücksichtslosigkeit gefordert. Es ist darin nichts mehr von dem bombastischen Prunk der Erlasse, mit denen Friedrich II. und seine päpstlichen Gegner sich herausforderten, als sie wie Halbgötter zu Häupten der Sterblichen ein Weltenschicksal auskämpften. Den Goldgrund der Geschichte wischt Marsiglio fort. Auch die Heilige Schrift ist ihm weniger eine Offenbarung der Geheimnisse Gottes, als ein Buch, das man lesen und wieder zuklappen kann, wenn es etwa ungenießbar werden sollte. Mit Staunen sprach man in Paris davon, daß Marsiglio den Defensor pacis, das Buch, in dem er seine Ansichten niederlegte, als Waffe des Kaisers gegen den Papst, mit Hilfe seines Freundes Jandun in zwei Monaten geschrieben habe. Dieser Denker, der in einer anderen Atmosphäre zu atmen schien als alle anderen Menschen, dieser Feldherr, der eine Armee aufwog, stellte sich dem Kaiser zur Verfügung.
Die Gunst der Stunde entging den Ghibellinen in Oberitalien und den Römern nicht, die ihren Anspruch auf Weltherrschaft nie vergaßen. Im Frühjahr 1327 vertrieben sie Robert von Anjou, den der Papst zum Reichsvikar gemacht hatte, und setzten eine republikanische Regierung ein, an deren Spitze Sciarra Colonna trat. Ludwig, der in Mailand von zwei exkommunizierten Bischöfen mit der italienischen Krone gekrönt war, zog nach dem stets kaisertreuen Pisa und betrat am 7. Juni 1328 das jubelnde Rom. Nachdem eine Volksversammlung auf dem Kapitol ihm die Kaiserwürde übertragen hatte, salbte ihn ein exkommunizierter Bischof und setzte Sciarra Colonna ihm die Krone auf.
Es ist gewiß, daß Friedrich I. und wohl auch Friedrich II. die Römer hart angelassen und Marsiglio von Padova dem Papst ausgeliefert hätten. Konnte ein Kaiser sich von aufständischen Römern krönen lassen und die Grundsätze des Marsiglio zu den seinen machen und Kaiser bleiben? Oder hatte Ludwig wirklich eine Umwälzung, eine großartige Säkularisation im Sinne? Oder wollte er den Papst niederzwingen, die Macht an sich bringen, und wenn er sie hatte, sich ihrer im alten Sinne bedienen? Es scheint, daß Ludwig nur lächelte und wenig dachte. Er tat etwas Unerhörtes ohne das Unerhörte zu wollen, zufällig, ohne Plan, von Ereignissen, die er nicht regierte, zur Stelle getrieben; er hatte kein Heer, kein Geld und nicht einmal eine Überzeugung. Auf dem Kapitol, einer monumentalen Bühne, trat er auf wie ein Schauspieler in einem Mummenschanz. An geistigen Waffen, zweischneidigen, gefährlichen, fehlte es ihm nicht. Während er in Italien war, nahm ein von ihm ausgesandtes Kriegsschiff Michael von Cesena, Wilhelm von Ockham und Bonagratia auf, die von Avignon geflohen und von dem zornigen Papst verfolgt worden waren. In Pisa wurden sie festlich empfangen, und der von Ludwig eingesetzte Gegenpapst erhob Cesena zum Kardinal von Ostia, Ludwig ernannte Marsiglio von Padova zu seinem Leibarzt und den deutschen Minoriten Heinrich von Thalheim zum Kanzler. Wie der Magnetberg zog der Kaiser die Protestierenden an; aber nur die Krone war magnetisch, nicht der sie trug; er fiel, als die Ereignisse ihn nicht mehr fortwehten, in sich zusammen wie ein Segel, das der Wind nicht mehr aufbläht. Da von seiner Seite nichts Entscheidendes, Wirksames geschah, handelten die Gegner. In Rom überwanden die welfischen Orsini die ghibellinischen Colonna, eine Volksversammlung hob alles durch Ludwig und unter Ludwig Geschehene auf. Nur