Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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weit stärker als die Beziehung zur Landesherrschaft, wurde durch kein von Natur und Geschichte gebildetes Band gehemmt. Im Nordwesten des Reiches bestand ein ähnliches Verhältnis zu Dänemark, wie das der Preußen zu Polen war; aber Lübeck, wenn es sich auch zuweilen mit Dänemark besser als mit deutschen Nachbarn vertrug, war doch stolz auf den Titel einer Reichsstadt. In Preußen gab es keine Reichsstädte. Was für unbedenkliche Politik man in den Kolonialländern trieb, zeigt der Umstand, daß der große Bischof Albert, der Eroberer Livlands und Gründer des Schwertordens, sich Dänemark in die Arme warf, als er sich vom Reich in Stich gelassen sah. Das von ihm gegründete Riga verband sich hartnäckig mit Litauen gegen den Orden. Unter den Reichsfürsten selbst aber gaben nationale Gesichtspunkte so wenig den Ausschlag, daß Kurfürst Friedrich von Brandenburg, der Schützling König Siegmunds, ein Bündnis mit Polen einging grade zu der Zeit, als der Deutsche Orden die ärgste Bedrängnis durch dieses Land erlitt. Ein gewisses Zugehörigkeitsgefühl hatten die preußischen Städte wohl zur Hanse; doch auch ihr gegenüber überwog weit der Wille zur Selbständigkeit.

      Unangesehen des dauernden Gegensatzes zu Polen hatte der Orden doch öfters mit den Polen gemeinsam gekämpft, so daß die Polen den Anspruch auf gemeinsam eroberte Gebiete nie aufgegeben hatten, ganz besonders auf Pommerellen, das wirtschaftlich so wichtige Land an der unteren Weichsel, das Danzig umfaßte. Allerdings wenn die Gesandtschaft des Bundes in Krakau vortrug, Preußen sei von jeher ein Teil des Königreiches Polen gewesen und ihm zu Unrecht durch den Deutschen Orden entrissen worden, so sprach sich in dieser kaum ehrlich gemeinten Behauptung wohl ein Haß gegen den Orden aus, der auf eine lange Kette von Feindseligkeit und Gewalttat auf beiden Seiten deutet.

      Noch zwölf Jahre nach dem Übergang der Bündner an Polen hielt sich der Orden unter den Hochmeistern Konrad und Ludwig von Erlichshausen, wenn auch die Marienburg aufgegeben und die Residenz nach Königsberg verlegt werden mußte, das vom Bunde abgefallen war. Gedrängt von den Söldnern, die auszuzahlen keine Mittel vorhanden waren, ohne Unterstützung von irgendeiner Seite mußte er sich endlich zu einem demütigenden Frieden entschließen; es war der zweite Friede zu Thorn des Jahres 1466. Nicht nur, daß der Orden auf Pommerellen, das Kulmerland, Schloß und Gebiet Marienburg, Christburg und Elbing verzichtete, er leistete dem König von Polen den Treueid und gelobte ihm Heeresfolge. Demütigend und verhängnisvoll war die Bestimmung, daß die Hälfte der Ordensmitglieder Untertanen des Königs von Polen sein sollten; der Orden verlor dadurch seinen deutschen Charakter, der eine der Bedingungen seiner Gründung gewesen war. So hatte sich gezeigt, daß mit der Veränderung gewisser Verhältnisse, für die sie geschaffen war, diese mittelalterliche Einrichtung untergehen mußte. Zur Bekämpfung der Heiden bestimmt, geriet der Orden, nachdem die Heiden Christen geworden waren, in eine zweideutige Lage, als er leicht zu durchschauende Vorwände zur Fortsetzung der Eroberungen suchte. Es lag etwas in seinem mönchisch-ritterlichen Wesen, was der Entwicklung zum Landesväterlichen widersprach, in seinem Sonderwesen etwas, was es zu dem rechtzeitigen natürlichen Anschluß nicht kommen ließ. Es war ein vorzüglicher Einfall König Siegmunds, den Orden als Grenzschutz gegen die Türken anzusiedeln; aber der Versuch mißlang, zum Teil wohl, weil er vom Orden ohne Eifer zur Sache unternommen wurde. Der große kolonisatorische Schwung, der die Deutschen vom Westen nach dem Osten führte, hatte sein Ende erreicht, die lange zurückgeworfenen Slawen drangen vor. Doch kam das Unterliegen des Deutschen Ordens nicht so sehr den Polen zugute wie den preußischen Städten, namentlich Danzig, das die Vormachtstellung an der Ostsee gewann. Wie es den Kampf gegen den Orden in den letzten Jahren energischer als Polen selbst geführt hatte, so strich es auch die Vorteile des Sieges ein. Als eine mächtige deutsche Stadt stellte es unter polnischer Hoheit glanzvoll den republikanischen Gedanken dar, der im Reich zu erlöschen begann.

       Inhaltsverzeichnis

      Stark, reich, sicher ruhend in der Herrlichkeit vollendeter Blüte, so schildert der junge Piccolomini, ein Italiener aus Siena, das deutsche Land, das ihm zweite Heimat wurde. Er schildert die deutschen Männer, die das Reiten fast eher als das Sprechen lernen, die als Knaben mit ihrem Pferde verwachsen, die das Schwert und die Lanze bewegen wie eigene Glieder, die so abgehärtet sind, daß sie jeder Strapaze, der Hitze wie der Kälte, spotten, die so mit Waffen ausgerüstet sind, daß sie auch beim unvorhergesehenen Angriff schlagfertig dastehen. Nirgends gibt es so reichhaltig ausgestattete Zeughäuser. Er schildert die fruchtbaren Äcker, die Weinberge, die Wiesen, vor allem aber geräumig und prächtig die deutschen Städte mit bequem eingerichteten Häusern, mit Kirchen voller Kostbarkeiten, mit Gasthäusern, in denen von silbernen Schüsseln gegessen und aus silbernen Bechern getrunken wird, mit einem geordneten Haushalt, in Friedlichkeit und Sauberkeit, wie sie sonst nirgends zu finden sind. Diese Städte, sagt der Italiener, der die altersgrauen Mauern seiner Heimat gewohnt ist, haben den Glanz der Jugend, sie sehen aus, als wären sie eben erst erbaut worden.

      Dies scheinbar jugendschöne, jugendstarke Deutschland nun wurde von allen, auch von demselben Piccolomini, der es rühmte, als ganz und gar zerrüttet und einer Erneuerung dringend bedürftig angesehen. Um die Jahrhundertwende wird der Humanist Heinrich Bebel es schildern als ein erhabenes Weib im zerrissenen Gewande, so elend und herabgekommen, daß, wer es sieht, von Schauder und Mitleid ergriffen wird, wenn auch ein blendender Glanz von ihrem lorbeergekrönten Haupte ausgeht. In allen Kreisen wurde das Unhaltbare der Verfassung Deutschlands gefühlt und erkannt, und die Notwendigkeit der Reformation beschäftigte die Gebildeten; gelang sie nicht, so glaubte man den Zerfall und das Ende des Reiches vor Augen zu sehen. Auseinander fielen Kaisertum und Papsttum, die gemeinsam die Spitze des Reiches bilden sollten, auseinander fielen Kaiser und Reich, die, ursprünglich eins, nun als das monarchische Haupt und der Kreis der Fürsten sich feindlich oder wenigstens mit entgegengesetzten Interessen gegenüberstanden, auseinander fielen die Stände: Klerus, Adel, Städte und Bauern; ein bald schleichender, bald offener Krieg aller gegen alle war im Gange. Das Streben der Deutschen nach Unabhängigkeit hatte den Willen zur Gemeinsamkeit so überwuchert, daß nichts Ganzes bestehen konnte. Da erlebten die einzelnen, daß die erträumte Selbständigkeit, sowie sie erreicht war, Ohnmacht wurde, eine Erfahrung, die wohl erschütterte, ohne doch im allgemeinen Einsicht und Heilung zu bringen.

      Den klarsten, überzeugendsten Reformplan tat ein großer deutscher Denker, einer der größten seiner Zeit, Nikolaus von Cusa, in seiner Schrift De concordantia catholica im Jahre 1433 entworfen. In Cues an der Mosel war er geboren, ein Graf von Manderscheid, dessen Namen zwei stolze Ruinen in der Eifel verherrlichen, nahm den Knaben auf, der, man weiß nicht warum, das väterliche Haus verließ, und schickte ihn auf die berühmte Schule von Deventer zur Erziehung. Später studierte er die Rechte und Mathematik in Padova, dann in Heidelberg; der Zufall, daß er infolge eines Formfehlers seinen ersten Prozeß, den er in Mainz führte, verlor, soll die Ursache gewesen sein, daß er in den geistlichen Stand trat.

      Wie die meisten bedeutenden Geistlichen im Anfange des 15. Jahrhunderts hing Nikolaus von Cusa der Richtung an, die die durch ein Konzil vertretene Kirche über den Papst stellte. Er beklagte es, daß die Kirche zu einem römischen Patriarchat zusammengeschrumpft sei; einem allgemeinen Konzil, sagte er, müsse der Papst sich unterwerfen. Später kam er von diesen Ansichten ab; während er früher angenommen hatte, die Gewalt sei dem Papst von der Gesamtheit übertragen, sagte er nun, der Papst sei absolut und sein Prinzipat in der Kirche enthalten. Was jede demokratische Regierung erschwert, daß sich die Meinungen und Strebungen vieler vereinigen müssen, bevor man handeln kann, daß auch dann das Handeln nicht so schnell und straff vollzogen werden kann, wie es die Umstände manchmal erfordern, und es der menschlichen Ungeduld wünschbar erscheint, zeigte sich auf dem Konzil zu Basel und stimmte viele um: die Herrschaft der vielen erschien unbequemer und unleidlicher als die Herrschaft des einen. Als junger Mann jedoch glaubte Cusa, Einigkeit unter den Bischöfen würde leicht zu erreichen sein, und wollte die Autorität des Konzils von der Übereinstimmung aller abhängen lassen. Nur der allgemeinen Kirche, nicht dem römischen Bischof habe Christus den heiligen Geist und die Unfehlbarkeit verheißen. Auch das Kaisertum und die Rechte der Kurfürsten leitete er nicht vom Papst ab. Der Kaiser habe seine Macht durch die Wahl der Kurfürsten, die Kurfürsten hätten ihr Wahlrecht durch die gemeinsame Zustimmung der Reichsuntertanen. Erhaben über alle irdischen Mächte


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