Gesammelte Werke. Ricarda Huch

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Gesammelte Werke - Ricarda Huch


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mundi, Schirmherr des orthodoxen Glaubens. So wenigstens sollte es sein; tatsächlich war die kaiserliche Macht verschlungen von den weltlichen und geistlichen Fürsten. In der Stärkung der kaiserlichen Zentralgewalt sah Cusa die Rettung des verderbten Reiches. Er ging zurück auf die blühenden Zeiten unter einem mächtigen Kaiser, die ihm gefestigter, vollendeter vorschwebten, als sie gewesen waren, die aber allerdings der herrschenden Anarchie als ein Vorbild majestätischer Ordnung gelten konnten. Damals scharten sich die Fürsten um den Kaiser und bildeten mit ihm zusammen das Reich, gaben mit ihm zusammen die Gesetze, die geachtet wurden, denen sich niemand, auch der Höchste nicht, entziehen konnte; ungehorsamen Fürsten nahm der Kaiser ihre Lehen. Fürsten, Grafen und Herren wußten, daß sie für ihre Tätigkeit verantwortlich waren; diese Abhängigkeit, durch die das Volk vor Gewalttat und Ungerechtigkeit geschützt war, ging verloren, als sich die Erblichkeit ausbildete und der hohe Adel nicht mehr zu fürchten brauchte, das Verliehene könne ihm genommen werden. Seit jeder unabhängig geworden war und ungehindert nur seinen Vorteil suchte, wurden die Gesetze nicht mehr geachtet; Cusa verglich sie Spinnweben, in denen sich nicht eine einzige Mücke mehr fängt. Der Gehorsam gegen die Gesetze, sagt er, müsse erzwungen werden können, und zwingen könne nur ein Mächtiger; dem Kaiser müsse ein Reichsheer zur Verfügung stehen, mit dem er das Reich nach außen verteidigen könne, das ihn im Innern gefürchtet mache. Schrecklich hatten die Hussitenkriege die Untauglichkeit der Reichsheeresverfassung offenbart. Die für die damalige Zeit, wo man Besteuerung als Zeichen der Knechtschaft ansah, heikele Frage des Aufbringens der Geldmittel zur Besoldung eines solchen Heeres löste Cusa durch den Vorschlag, sie aus den Zöllen zu ziehen, die vom Reich oder vom Kaiser den Fürsten verliehen seien. Nur auf ein ständiges Heer sich stützend könne der Kaiser wieder wie einst ein Erhalter der Freiheit, ein Schirm der Unterdrückten, ein Ahnder der Störungen des Friedens sein. Als verhängnisvollen Schaden bezeichnete Cusa die Zugeständnisse, die die Kaiser vor der Wahl den Kurfürsten zu machen pflegten, die sie hinderten, unrechtmäßig angeeignete Zölle aufzuheben und andere Ungerechtigkeiten abzustellen. Damit der allgemeinen Rechtlosigkeit gesteuert werde, wünschte er die Errichtung von Gerichtshöfen in allen Ländern des Reiches, an denen, entsprechend den drei Ständen, drei Richter zu fungieren hätten; sie sollten aus öffentlichen Mitteln besoldet werden. Die höchste Instanz bildete eine jährliche Reichsversammlung, der der Kaiser in Person oder, falls er verhindert sei, ein Kurfürst vorsitzen solle. Als Ort der Versammlung schlug er Frankfurt vor. Was sich die Gerichte hauptsächlich sollten angelegen sein lassen, sei die Abstellung des Fehdewesens, durch welches, seit ein jeder sich erlaube, auf eigene Faust, ohne vorausgegangenen richterlichen Spruch, Fehde anzusagen, das Reich verwüstet werde. Den Gerichten sollten die Geistlichen so gut wie die Weltlichen unterworfen sein, wenn es sich um weltlichen Besitz handele. Überhaupt erinnerte sich Cusa mit Genugtuung der Zeit, wo deutsche Kaiser auch in kirchlichen Angelegenheiten Bestimmungen trafen; wenn er die Meinung ausspricht, der Kaiser dürfe mit einem ihm unterworfenen Konzil es unternehmen, die Kirche zu reformieren, so schrieb er Sigismund eine Macht und einen Einfluß zu, wie sie kaum Karl der Große und Otto der Große besessen hatten. »O Gott«, ruft er aus, hingerissen von der Vision eines solchergestalt verjüngten Reiches, »wenn alle, die solchen Gedanken Beifall geben, auch zur Ausführung eilten, dann würde noch in unseren Tagen das Reich eine neue Blüte erleben!« Im innersten Herzen glaubte er nicht daran; prophetisch zürnend und trauernd malt er aus, wie es kommen werde. »Man wird das Reich in Deutschland suchen und nicht finden, und die Folge wird sein, daß Fremde unsern Boden an sich reißen, daß wir unter uns zerteilt werden und so unter die Botmäßigkeit einer fremden Nation kommen!« Ähnlich sagte der fränkische Ritter Gregor von Heimberg in einer Rede: »O blindes und unvernünftiges Deutschland, einen einzigen Kaiser weigerst du dich zu ertragen und unterwirfst dich dafür tausend Herren! Vielleicht ist schon das Ende unseres Ruhmes da! Denn keine Macht auf Erden läßt Gott auf ewige Dauer bestehen. Ich fürchte, ich fürchte, es kommen die Fremden und nehmen Land und Leute hinweg.«

      Wäre es aber selbst bei mehr gutem Willen und geringerem Eigennutz aller Beteiligten möglich gewesen, das mittelalterliche Reich wieder zur Blüte zu bringen? Ließen sich die Verhältnisse zurückbringen, auf Grund deren Karl der Große, Otto der Große und Friedrich Barbarossa geherrscht hatten? »Keine Macht auf Erden läßt Gott auf ewige Dauer bestehen.« Alle Ideen, die sich unter Menschen, in einem Volke auswirken, wachsen, bis sie alles, was in ihnen lag, hervorgebracht und ausgebildet haben. Da das niemals alles sein kann, was in der menschlichen Natur oder in einem Volke als Keim liegt, werden sich ergänzende und entgegengesetzte Kräfte einstellen, die das Entstandene und zur Herrschaft Gelangte angreifen, desto heftiger angreifen und zersetzen, je mehr es einseitig auf die Spitze getrieben ist, wozu die herrschenden Ideen naturgemäß geneigt sind. So waren im Schoße des Reiches Kräfte erwachsen, die anfangs nicht beachtet oder als ketzerisch unterdrückt wurden, die allmählich in alle Lücken und Ritzen eindrangen, die das, was unerschütterlich schien, zertrümmerten, und in deren Frische sich das Alte als schadhaft, mängelvoll, sinnlos spiegelte. Nikolaus von Cusa beschwor den Kaiser Sigismund, seinen Plan ins Werk zu setzen. Aber war dieser Weltherrscher, dem niemand gehorchte, dessen Acht und Aberacht niemand vollzog, der sich das Geld für seine Wirtschaft zusammenborgen mußte, nicht eine lächerliche Person? Und war nicht ebenso lächerlich der Papst, der sich Gott gleich dünkte und auf einem Konzil wegen schändlicher Verbrechen abgesetzt, auf einem anderen überhaupt nicht mehr beachtet wurde? Und hatte nicht dies Konzil zu Basel die Hussiten, die ihres verbrannten Meisters Lehre bekannten und Deutschland verwüstet hatten, ehrenvoll empfangen, und hatte nicht der Papst sie vom Banne befreien und in die Kirche aufnehmen müssen?

      Schon seit langer Zeit war es namentlich in den Städten üblich, die Pfaffen und Mönche wegen ihres unsittlichen Lebens zu verspotten und zu verachten, der Kirche Habgier und listige Ausbeutung der Deutschen zum Vorwurf zu machen. Bedeutungsvoller noch als solche Anfeindungen aber war das Aufkommen von Ansichten, die der kirchlichen Lehre widersprachen oder sich jenseits derselben bewegten. Nikolaus von Cusa, Bischof von Brixen und Kardinal, hatte Anschauungen, die von dem, was innerhalb der Kirche geläufig und gebräuchlich geworden war, weit abwichen. Als in Wilsnack eine geweihte Hostie aufgefunden wurde, an der sich Spuren des Blutes Christi gezeigt haben sollten, und daraufhin das Dorf ein besuchter Wallfahrtsort wurde, was die Fürsten duldeten, verbot Cusa die Wallfahrten und ließ die Hostie verbrennen, bevor noch die päpstliche Entscheidung erfolgt war. Er befahl den Geistlichen, dergleichen irreführende Wunder nicht zu verbreiten; denn der katholische Glaube lehre, daß der verklärte Leib Christi in verklärten Adern verklärtes Blut enthalte. In seinen Verordnungen gegen den Bilderdienst ging er so weit, daß er die Bilder ganz abgeschafft wissen wollte, wenn sich zeige, daß das Volk mehr an den Bildern hänge, als mit der gesunden Glaubenslehre verträglich sei. Er tadelte die Auffassung der Religion als einer Anstalt für Magie, wozu Volk und Geistlichkeit sie wetteifernd gemacht hätten. Über den Ablaß suchte er richtige Ansichten zu verbreiten und sprach seine Verwunderung darüber aus, daß die Geistlichen soviel Wesens davon machten, da doch ein zerknirschtes und demütiges Herz Vergebung aller Sünden habe. Mit solchen Auffassungen stand Cusa nicht etwa allein: der Grund zu ihnen wurde bei ihm wohl in der Schule von Deventer gelegt, die Gerhard Groot oder de Groot, der von 1340 bis 1384 lebte, gegründet hat. Dieser selbst war beeinflußt von seinem Freunde Heinrich Aeger von Kalkar und von Johann Ruysbroek, so genannt nach einem Dorf in der Nähe von Brüssel, wo er 1293 geboren war. Ruysbroeks Gedankengänge zielten nach Art der Mystiker auf ein Einswerden der menschlichen Seele mit Gott, wobei die Seele nicht in Gott zerfließe, sondern ihre Selbständigkeit behalte. Die beständige Vernichtung unseres Ich in der Liebe ist nach ihm das Wesen der Seligkeit. Das Zusammenleben der Brüder in Grünthal, einem Augustinerkloster, wohin Ruysbroek sich zurückgezogen hatte, machte solchen Eindruck auf Gerhard Groot, daß er nach diesem Muster in seiner Vaterstadt Deventer eine Genossenschaft junger Leute begründete, die ihren Lebensunterhalt durch Abschreiben von Büchern verdienten. Diese »Brüder vom gemeinsamen Leben«, die sich rasch ausbreiteten, unterschieden sich von den Mönchen durch Freiwilligkeit, von der Kirche schied sie ihre Gesinnung, ohne daß sie sich dessen bewußt waren oder darüber nachdachten. Der scholastischen Wissenschaft setzte Gerhard einen Unterricht entgegen, der von der Anschauung des Lebens ausging, etwa vom Leben der Heiligen, namentlich vom Leben Christi. In der Heiligen Schrift, deren Studium er für die wichtigste Aufgabe hielt, suchte er vor allem Christus, Christus als Vorbild und Gegenstand der Liebe, aus der, wenn sie im Menschen entzündet


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