Der Dreißigjährige Krieg (Teil 1-3). Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.Satzungen zuwiderlaufe und ein bedenkliches Beispiel geben könne. Als der Zustand des Kranken sich gegen den Abend verschlimmerte, schickte er noch einmal an den Rat, der die Antwort gab, zu so später Stunde könne man nicht so viele Herren zusammenbringen, daß ein gültiger Beschluß zustande komme, man wolle die Sache am folgenden Morgen in Erwägung ziehen und ihm dann Bericht sagen. Von seinem Sterbebette aus ließ Mercoeur dem Rate sagen, er habe nicht gewußt, daß die Angelegenheit so schwierig sei, und bitte um Verzeihung, daß er den Herren eine solche Ungelegenheit bereitet habe; worauf er seinen Geist aufgab.
Doch erfüllte sich Rußworms Hoffnung noch nicht sogleich; erst als auch der Nachfolger des Mercoeur, Graf Solms, eines plötzlichen Todes gestorben war, beförderte Rudolf seinen Liebling zum Oberbefehl. Wenn der stolze Mann im glänzenden Harnisch vor den Kaiser hintrat, so glich er dem Ritter Georg, der sich von seinem himmlischen Herrn zum Kampfe gegen den Sündendrachen weihen läßt. Wenn er schwur, daß der Kaiser ihm Gott auf Erden sei, daß er seinen Namen unter Heiden und Ketzern groß machen, ja seinen besten Freund und eigenen Bruder um des Kaisers willen niederstoßen würde, so fühlte dieser, daß es dem jungen Kriegshelden damit Ernst sei und daß er sich auf seine Ergebenheit durchaus verlassen könne. Rußworm zweifelte niemals weder an den Rechten des Kaisers in irgendeiner Beziehung noch an seiner eigenen Fähigkeit und Unüberwindlichkeit. Mit der Erlaubnis, frei zu reden, ausgestattet, erzählte er dem Kaiser, sein Heer, soweit es deutsch sei, sei ihm ganz ergeben und würde unter seiner Leitung jeden Feind besiegen, wäre es nur nicht durch die Trägheit und Selbstsucht des Kriegsrates und durch die Zweideutigkeit der welschen Offiziere gehemmt. Die Welschen, die ja die Mehrzahl der hohen Stellen innehätten, die Basta, die Gonzaga, die Belgiojoso und viele andere, umgarnten wohl das kaiserliche Ohr mit schmeichlerischen Worten, meinten es aber nicht ehrlich; das Schicksal des Reiches sei ihnen, den Fremden, gleichgültig, sie wollten nur ihre Taschen füllen, säßen wie habgierige Geier über den ihnen anvertrauten Provinzen und verließen sie, selbst vollgesogen, als ausgemergelte Wüsten. Der Kaiser sei zu milde, er habe das Schwert über den Erdkreis und solle seine Schärfe der Welt zeigen. Die Ketzer spotteten seiner und rühmten sich, er sei ihnen heimlich zugetan oder er fürchte sich, sie offen zu bekämpfen; wollte er nur einmal seine Majestät scheinen lassen, so würden sie geblendet niederfallen, und die alte Kaisermacht würde sich erneuern.
Siegesnachrichten vom Schauplatze des Türkenkrieges trugen dazu bei, den Kaiser in Vorstellungen von unerschütterlicher Macht zu wiegen. Der Bildhauer Adriaen de Vries erhielt den Auftrag, ihn geharnischt, in olympischer Haltung, gleichsam als einen Jupiter darzustellen, und durfte sogar zuweilen in Rudolfs Gegenwart, mit Benutzung seiner Person arbeiten. Der ihm von Philipp Lang dargebrachte Glückwunsch, daß er nach Überwindung der häßlichen Krankheit als ein anderer Herkules vergnügt und vergöttlicht aus der Asche des Scheiterhaufens steige, leuchtete ihm ein, und er beeilte sich, die Erde soweit wie möglich vor seiner Macht erzittern zu lassen.
Staunend und mit Kopfschütteln hörten die Prager zu, wie auf den Gassen und Plätzen unter Trompetenschall ein jahrhundertaltes Edikt verlesen wurde, welches die Anhänger der Böhmischen Brüderunität mit dem Tode bedrohte. Der protestantische Herrenstand überlegte sich, ob etwas vorzunehmen, etwa ein Aufstand einzuleiten sei; aber da geraume Zeit verging, ohne daß dem wunderlichen Erlaß etwas Weiteres folgte, vielmehr alles beim alten blieb, ließ man es hingehen. So konnte dem Kaiser berichtet werden, das Edikt sei vom ganzen Volke mit stillschweigender Unterwürfigkeit aufgenommen, worauf eine weit schärfere Maßregel, um Ungarn zu schrecken, erfolgte: es wurden nämlich alle Gesetze und Verordnungen bestätigt, die seit König Stephans Zeiten zum Schutze der katholischen Religion erlassen waren.
Dies gewaltsame Gesetz, das nichts weniger als die Ausrottung des Protestantismus bedeutete, schlug in Ungarn, das sich ohnehin in einem Zustande dauernder Gärung befand, als ein Zeichen zum Aufruhr ein, der sogleich auch Siebenbürgen ergriff und Mord und Blutvergießen in dem wilden Lande hervorrief. Unbehagen erfaßte die habsburgische Familie und auch die kaiserlichen Räte; denn wenn man die schwierige Stimmung der Protestanten im Reich bedachte und wie sie jederzeit im trüben zu fischen geneigt wären, ferner, daß der Kaiser kein Geld hatte und infolgedessen auch kein zuverlässiges Heer aufbringen konnte, um einer großen Kriegsmacht zu widerstehen, so hatte es das Ansehen, als steuere man unaufhaltsam dem Abgrunde zu. Der Grausamkeit der Basta und Belgiojoso, die zuerst zur Durchführung des Ediktes, dann zur Niederwerfung des Aufstandes nach Ungarn geschickt waren, gelang es wohl, das Feuer an einzelnen Orten zu ersticken, aber es flammte stets an anderen desto heftiger auf, und schließlich hielt es der Kriegsrat für notwendig, Basta, den unmenschlichen Neapolitaner, zurückzurufen, damit das kaiserliche Regiment nicht vollends verhaßt gemacht werde. Die Feinde Bastas, an deren Spitze Rußworm stand, ergriffen die Gelegenheit und verlangten die Bestrafung dieses Teufels, der unter dem Vorwande der Religion seiner Lust an Quälerei und Blutvergießen gefrönt, eine Menge Menschen wahllos dem Henker überliefert und durch Verhöhnung und Vergewaltigung der Opfer seinen Namen fluchwürdig gemacht habe. Rußworm selbst leitete das Gericht, vor dem sich Basta zu verantworten hatte, und zweifelte nicht am Untergange seines Gegners, dem eine Reihe schändlicher Vergehen nachgewiesen waren, als der Prozeß plötzlich eine andere Wendung nahm, indem Basta eine Vollmacht des Kaisers vorlegte, nach welcher er über seine Verwaltung Ungarns niemandem sollte Rechenschaft abzulegen haben und jedes ihm gut dünkende Mittel zur Bekämpfung des Aufstandes sollte anwenden dürfen. Außer sich vor Entrüstung, eilte Rußworm zum Kaiser, der denn auch leugnete, die Vollmacht ausgestellt zu haben; Basta, meinte er, müsse sie sich wohl auf betrügerische Weise verschafft haben. Im ersten Augenblick fühlte sich Rußworm erleichtert; aber wie er von der Burg herunterstieg, sank seine Stimmung. Die Miene des Kaisers, sein unsicherer Blick, der schnelle Wechsel der Farbe auf seinem blassen Gesicht schwebten ihm vor und wollten ihm nicht gefallen; er konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß der Kaiser die Unwahrheit gesagt habe. Er dachte sich den Zusammenhang so, daß Lang, von Basta bestochen, Rudolf die Unterschrift abgelistet habe; man wußte ja, daß er die Geschäfte haßte und sie sich gern von seinem Kammerdiener abnehmen ließ. Rußworm bemerkte, daß die Richter im allgemeinen den Worten des Kaisers keinen Glauben schenkten, und wenn dies auch nicht geradezu ausgesprochen wurde, so fiel doch dementsprechend das Urteil milde aus, was anfangs niemand für möglich gehalten hatte.
Diese Niederlage Rußworms ermutigte seine italienischen Feinde, und selbst unter seinen früheren Anhängern waren manche, die es ihm jetzt verdachten, daß er, dessen Laufbahn von Gewalttätigkeiten keineswegs frei war, einen Kameraden hatte richten wollen. Es war an einem warmen Sommerabend im Jahre 1605, als er, von einer Audienz beim Kaiser heimkehrend, an einer Straßenecke auf Francesco Belgiojoso stieß, der, festlich in Weiß gekleidet, im Begriffe schien, eine Gesellschaft aufzusuchen. Zwischen ihnen entspann sich ein Wortwechsel und Kampf, in dessen Verlaufe Belgiojoso von einem Diener Rußworms erstochen wurde; ob der Italiener, wie Rußworm behauptete, ihm aufgelauert hatte, um ihn zu überfallen, und er in der Notwehr sich befunden hatte, ließ sich zunächst nicht feststellen. Da es nicht das erstemal war, daß Rußworm einen Gegner im angeblichen Zweikampf getötet hatte, rechnete er auch diesmal mit Sicherheit darauf, daß die Untersuchung unterdrückt werden oder nur zu einer leicht zu ertragenden Scheinstrafe führen würde.
Indessen das gefängnisartige Zimmer, in dem er verwahrt, und die Rücksichtslosigkeit, mit der er behandelt wurde, machten ihn stutzig, und vollends als er die vielen Anklagepunkte las, die die Grundlage eines gegen ihn eingeleiteten Prozesses bilden sollten, erschrak er und begriff, daß es auf seinen Untergang abgesehen war. Er wurde da nicht nur beschuldigt, den Belgiojoso getötet, sondern auch den Herzog von Mercoeur und den Grafen Solms ermordet zu haben, die seinem Ehrgeiz im Wege gewesen wären, ja er sollte den schmählichen Ausgang eines Feldzuges gegen die Türken verschuldet haben, den der junge Erzherzog Ferdinand in so unzureichender Weise geführt hatte, daß Rußworm, als er zu seiner Hilfe herbeieilte, das unglückliche Ende nicht mehr abwenden konnte. In dieser Bedrängnis wußte Rußworm keinen Mann von Einfluß am Hofe, der für ihn hätte wirken wollen, nur auf die Gnade des Kaisers hoffte er; zuweilen jedoch fiel ihm dessen blasses Gesicht und seine furchtsame Haltung von jenem Tage ein, wo er ihn wegen Bastas Vollmacht befragt hatte, und dann wurde ihm bange zumute. Sollte es wahr sein, was Graf Kinsky, den er als einen evangelischen Böhmen verachtete, gesagt haben sollte, daß die heilige kaiserliche Majestät ein hohles Binsenrohr und ein feiger, zweizüngiger Lügner