Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.von Ragnit; weiter ostwärts am Dremenzflusse entlang lag der Komtur von Virgelau, Paul Kotmann von Dademberg, mit ansehnlicher Streitmacht. Das Hauptheer aber sammelte sich um den Ordensmarschall nicht weit von Schwetz in einem Lager.
Von Norden her sandte der Landmeister von Livland Hilfstruppen; der Herzog von Stettin schickte seinen Sohn Kasimir mit sechshundert Rossen und etlichen Fähnlein Knechten; der Herzog Konrad von Öls führte seine Schlesier heran; Söldner aus Meißen, Franken und vom Rhein stießen dem Ordensmarschall zu. Aber auch in den Städten und auf dem Lande regte sich's überall, wenn man auch mit dem Auszuge bis zum letzten Termin wartete, um die Verpflegung nicht zu erschweren. Wer kriegspflichtig war, sorgte für seine Rüstung.
Die Komture, die noch auf ihren Schlössern saßen, hielten ihre Aufgebote bereit, musterten Mannschaften, Pferde und Waffen. Schulzen und Köllmer hatten leichten Roßdienst zu leisten und sich mit Plate, Eisenhut, Schwert und Schild zu gestellen. Ritter und Knechte des Gebietes, die größeren Grundbesitz hatten, sammelten sich mit ihren Hintersassen um den Bannerführer, der aus ihrer Mitte gewählt war. Die Angesehensten kämpften gleich den Deutschordensrittern auf einem gepanzerten Streithengst in voller Eisenrüstung mit Lanze und Schild, ihre Gesellen in leichteren Waffen. Der Komtur ordnete die einzelnen Kriegshaufen, übte sie ein und führte sie dann gesamt nach dem ihm angewiesenen Lagerplatz. Withinge auf schnellen Pferden ritten zwischen ihm und dem Ordensmarschall oder dem Hochmeister ab und zu, Botschaften zu überbringen und Befehle abzuholen.
In die Städte ging das Aufgebot an die Magistrate; nur im ganzen war die Zahl der zu stellenden Mannschaft bestimmt, die Bürgerschaft machte es unter sich aus, wie dieselbe aufzubringen. Da gab es nun Rats- und Gemeindeversammlungen und Morgensprachen der Ämter, und die ganze Stadt war in fieberhafter Erregung. War die gestellte Mannschaft so ansehnlich, so zog sie mit ihrem Schultheißen oder seinem Stellvertreter aus dem Rat unter eigenem Fähnlein dem Komtur zu. In den großen Städten rüstete man noch selbständiger zur Kriegsreise.
Der Hochmeister machte zunächst zu Engelsburg Rast und ließ sich dorthin von allen Seiten Bericht erstatten. Obschon der Weg von da bis Rheden nicht weit war, unterließ Heinz doch einen zweiten Besuch in Buchwalde. Der Ritter Arnold von der Buche war, wie er erfuhr, mit seinem Sohne Hans bereits dem Bannerführer des Kulmer Landes, Nikolaus von Renys, ins Feld gefolgt. Frau Cornelia und Natalia hatten sich im alten Hause eingerichtet, da das neue gegen allerhand herumziehendes Volk in dieser schlimmen Zeit nicht sicher genug zu sein schien. Der eine von den polnischen Herren war abgereist, der andere hielt sich noch dort auf, wahrscheinlich um die Damen im geeigneten Zeitpunkt über die Grenze zu bringen. Der Ritter mochte ihre Abreise jetzt noch nicht gewünscht haben, damit im Ordenshause kein Gerede entstehe. Unter solchen Umständen meinte Heinz sich zurückhalten zu müssen.
Dann verlegte Ulrich von Jungingen sein Quartier nach Thorn, um der Grenze näher zu sein. Hier versuchten die Gesandten des ungarischen Königs noch einmal, Verhandlungen zwischen ihm und dem König von Polen in Gang zu bringen. Sie mußten aber rasch abgebrochen werden, da Jagello auf Abtretung Szamaitens und des Dobriner Landes bestand, so scheinheilig er auch seine Friedensliebe versicherte. Der Hochmeister berief sich auf den Schiedsspruch des Königs von Böhmen, den Polen nicht angenommen hatte.
Wie Jungingen nun seine Streiter insgesamt überzählte, hatte er fünfzigtausend Mann aus Preußen und den Ordenslanden und dreiunddreißigtausend Mann Söldner unter fünfundsechzig Heerbannern zu seiner Verfügung, darunter sechsundzwanzigtausend Reiter, eine gar ansehnliche Macht, die aufwärts des Drewenzflüßchens bei dem Orte Kauernick auf sein Geheiß ein Lager bezog. Aber doppelt so stark war nach allen glaubhaften Berichten der Feind. Zu den sechzigtausend Polen unter fünfzig Heerfahnen waren mehr als vierzigtausend Litauer, Szamaiten und Russen unter gleich viel Fahnen gestoßen. Dazu gebot der König über vierzigtausend Tataren und mehr als zwanzigtausend Söldner aus Böhmen, Mähren, Ungarn und Schlesien. Seine Reiterei allein war an Zahl fast so stark als das ganze Ordensheer. Das mußte den Hochmeister besorgt machen, ob er schon der größeren Tapferkeit und Kriegserfahrung der Seinigen vertraute und auch auf einen Einfall des Königs von Ungarn im Polenland hoffen durfte, der eine Teilung des Heeres notwendig machen mußte. Doch ließ er eiligst aus dem Haupthause Marienburg und den andern Schlössern alles irgend entbehrliche schwere Geschütz heranschaffen, um darin wenigstens dem Feinde überlegen zu sein. Heinz war mit seinen Aufträgen fortwährend unterwegs hierhin und dorthin.
Jagello zögerte noch. Er schrieb Briefe nach Preußen, um sich der Stimmung im Lande zu versichern, machte Versprechungen, zog Erkundigungen ein. Aber als der Bischof von Leslau ihm die Antwort erteilte, er solle nicht zögern, zu ziehen und zu streiten gegen den Orden, da es ihm in der Offenbarung Johannis verkündigt sei, in Preußen einzuziehen, sitzend auf einem weißen Rosse und ein goldenes Kreuz an seinem Schilde tragend, da ward der abergläubische König überzeugt, daß er Sieger sein werde, und gab Befehl zum Aufbruch aus seinem Lager bei Ploczk. Alle Ritter und Edle aus fremden Landen, die unter ihm kämpften, schickten dem Hochmeister ihre Absagebriefe, sich im Streite wider den Orden an ihrer Ehre zu verwahren. Noch vor Ablauf des Waffenstillstandes in den ersten Tagen des Juli überschritt er die Grenze. Nun zog ihm der Meister entgegen und lagerte bei Soldau.
Dorthin kam Kunde von Greueltaten, die von den Königlichen in dem Städtchen Gilgenburg verübt waren. Die Bürger hatten sich nicht ergeben wollen und ihre Mauern tapfer verteidigt: Witowd aber mit seinen wilden Litauern und Tataren hatte sie in heftigem Anlaufe erstürmt und die Stadt geplündert. Schrecklich hausten die rohen Horden; von Männern machten sie alt und jung schonungslos nieder, Frauen und Jungfrauen, die sich in die Pfarrkirche flüchteten, peinigten sie in viehischer Weise. Das Sakrament zerrieben sie in den Händen und warfen es unter die Füße und trieben damit ihren Spott. Dann schleppten sie die schönsten von den Jungfrauen hinaus und ließen sie in die Sklaverei fortführen, die andern wurden in die Kirche eingeschlossen und mit derselben verbrannt.
Jammer und Wehklagen scholl durch das Lager von den Flüchtlingen, die mit Mühe und Not dem gleichen Schicksal entgangen waren. Da sahen des Ordens Untertanen, die Waffen trugen, mit Schrecken, welches Unheil dem Lande drohte, und riefen laut, daß sie gegen den Feind geführt werden wollten. Ingrimmig schlugen auch die deutschen Söldner ans Schwert und wollten für ihre Landsleute gegen die unchristlichen Horden kämpfen, daß solche Frevel nicht ferner das Land besudeln sollten. Das brachten Gebietiger und Hauptleute an den Hochmeister und baten ihn, eiligst das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Ungern ließ er sich drängen, da er noch Verstärkungen erwartete, aber auch ihm schwoll das Herz vor Zorn, und weil er die Seinen so mutig sah, gab er nach und zog gegen den König.
Bei dem Dorfe Frögenau schlug er ein Lager auf.
Der König weilte noch bei Gilgenburg; des Ordensheeres rascher Vormarsch kam ihm unerwartet und ermutigte ihn wenig. So schickte er denn an diesem Tage nur den Großfürsten Witowd, seinen Vetter, mit den Litauern, Szamaiten, Russen und Tataren voraus, einen plötzlichen Überfall zu verhindern, während er selbst das Gepäck und die Gefangenen sichern wollte. So schlecht war plötzlich sein Vertrauen auf den Sieg geworden, daß er heimlich Befehl gab, auf allen Stationen Pferde für ihn bereit zu halten, wenn es zu schleuniger Flucht kommen müßte.
Witowd drang mit seinen Scharen bis zu den Dörfern Logdan und Faulen vor und lagerte dort, geschützt durch Wald, Gebüsch und Sumpf.
Es war eine schreckliche Nacht, die vom vierzehnten auf den fünfzehnten Juli. Ein furchtbarer Sturm erhob sich und brauste über die Ebene hin, mit immer heftigeren Stößen gegen die beiden feindlichen Lager anstürmend, als wollte er sie wegfegen vom Erdboden. Die Pflöcke wurden aus dem Boden gerissen, die Zelte weit fortgetrieben, die Stangen zerbrachen. Der Himmel füllte sich mit schwarzen Wolken, daraus zuckten von allen Seiten feurige Blitze, plötzlich die grause Finsternis über der Erde erhellend. Regenströme stürzten vom Sturme gepeitscht nieder und überschwemmten das Land. Entsetzt sprangen die Krieger auf, die sich nach den Marschmühen des Tages zur Ruhe gelegt hatten; über kein Auge kam auch nur eine Stunde Schlaf.
Heinz von Waldstein hüllte sich fest in seinen Mantel und durchwanderte die Lagerstraßen. Oft mußte er stehenbleiben und sich abwenden, um das Unwetter gegen seinen Rücken anbrausen zu lassen, oder sich an dem Pfahl eines Feldzaunes halten. Er wußte, wo der Kulmer Bannerträger seinen Stand hatte und vermutete den