Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Gesammelte Werke - Ernst Wichert


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die Mauern zwar stark genug, in gewöhnlichen Fällen einem Heerhaufen Widerstand zu leisten; aber eine ernstliche Belagerung von einigen Tausenden, die mit Geschütz versehen sind, kann die Stadt schwerlich aushalten. Wird sie genommen, so hat sie das Schicksal Gilgenburgs zu erwarten. Ich zittere vor dem Gedanken, daß Waltrudis den rohen Horden der Litauer oder Tataren in die Hände fallen könnte; nicht einmal das schlimmste wär's dann, wenn sie in Gefangenschaft fortgeschleppt und in die Sklaverei verkauft würde. Auch hier im Schlosse weiß ich sie nicht genügend sicher, und den Zurückbleibenden mag ich nicht die Sorge für ein Weib aufbürden. Am besten aufgehoben halte ich Waltrudis in meinem eigenen Schutz, mag die Gefahr für sie sonst in meiner Nähe auch größer sein, da ich dem Kampf entgegengehe. Sie ist ein mutiges Mädchen und wird sich von mir nicht trennen wollen. So habe ich denn beschlossen, sie mit mir nach der Marienburg zu nehmen.

      Oh, das ist das beste! rief der Junker. Die Heilige Jungfrau selbst hat Euch das eingegeben.

      Ich hoffe es, sagte der Komtur. Aber die Ausführung ist nicht so leicht. Ich bin der Heerführer und habe in den nächsten Tagen andere Sorgen, als auf ein Mädchen zu achten. Auch könnte ich Waltrudis nicht in meiner Nähe haben, ohne allerhand schlimmen Argwohn zu erregen. Dem lieben Kinde muß jede Nachrede erspart werden. So will ich denn, daß Waltrudis mir erst morgen in der Frühe folge und nach mir im Haupthause eintreffe. Ich werde sorgen, daß sie dort bei einem der Beamteten ein Unterkommen findet, die verheiratet sind und ihre Familie bei sich haben. Auf dem Wege aber braucht sie einen Begleiter und Beschützer – und dazu hab' ich Euch ausersehen, Junker. Wollt Ihr der Schwester eines Freundes den Dienst erweisen?

      Oh, von ganzem Herzen, versicherte Hans eifrig, indem er des Komturs Hand ergriff. Ihr ehrt mich hoch durch diesen Auftrag, und mein ganzes Bemühen soll sein, daß ich ihn zu Eurer Zufriedenheit erledige.

      Plauen schüttelte seine Hand. So nehme ich Euer Ehrenwort, daß der Jungfrau kein Leides geschehen soll in Eurem Schutz, und daß Ihr sie hüten wollet wie Eure eigene Schwester.

      Mit meinem Leben will ich einstehen für mein Wort.

      Gut, es sei so! Ihr reitet den ersten Tag bis Neuenburg. Dort wird Waltrudis bei den Schwiegereltern des jungen Lippolt Clocz nächtigen. Ihr selbst findet Herberge auf dem Schloß; der Pfleger soll bei meinem Durchzuge unterrichtet werden. Den folgenden Tag gelangt Ihr bis Mewe. Bringt dem Bürgermeister diesen Brief, so wird er willig Eure Begleiterin bei sich aufnehmen. Am dritten Tage erreicht Ihr leicht die Marienburg vor Abend, wenn Ihr nicht Aufenthalt habt beim Passieren des Flusses. Aber haltet in Mewe erst genaue Nachfrage, ob etwa der Feind schon vorgerückt ist und die Straße besetzt hat. Wär's so, dann handelt nach Umständen. Meidet die Gefahr und bringt das Fräulein lieber nach der Stadt Danzig. Und nun, Gott befohlen, Junker! Ich muß meines Amtes warten.

      So verabschiedete er ihn, und Hans von der Buche ging sogleich nach der Stadt, die erforderliche Abrede zu treffen. So traurig er noch wenige Stunden vorher gestimmt war, jetzt fühlte er sich frohen Mutes, durch das Vertrauen des Komturs gehoben und in Hoffnung des Wiedersehens. Wie eine Gunst des Himmels schien es ihm, daß er ausersehen war, das teure Mädchen in seinen ritterlichen Schutz zu nehmen. Die nächsten drei Tage gehörten ihm.

      In der Stadt fand er alles in großer Unruhe. Der Bürgermeister hatte gleich nach seiner Rückkehr vom Schloß Anordnungen wegen der Verteidigung getroffen, und von den besorgten Gesichtern war abzulesen, daß man den Feind schon in der Nähe glaubte. Den Ratmann Johannes Clocz traf der Junker im Hausflur an. Er hatte aus einer Kammer, deren Tür offen stand, seinen Harnisch herausgeholt und war eifrig bemüht, die Rostflecken von der Platte fortzuputzen und das Riemenzeug in Ordnung zu bringen. Jungfrau Maria! rief er. Seid Ihr's? So weiß ich auch, wer der Bote gewesen ist, der alle die Hiobsposten gebracht hat. Einen hübschen Lärm habt Ihr angerichtet. Steht's denn wirklich so schlimm um des Ordens Sache?

      Hans beantwortete seine Fragen mit möglichst knappen Worten. Der Alte kratzte sich hinterm Ohr und zog den Mund schief. Da werden böse Tage kommen, sagte er, böse Tage. Wir Bürger sind der Nachtwachen auf den Mauergängen schier entwöhnt. Und die Ernte hat noch nicht einmal angefangen. Könnten wir wenigstens unser Getreide gut einbringen, ehe die polnischen Pferde unsere Äcker zerstampfen! Böse Tage, böse Tage!

      In der großen Stube oben waren die Frauen beschäftigt, die wertvolleren Kleider, Pelzsachen und Silberzeug in feste Holzkisten zu verpacken. Sie sollten im Notfalle zu Schiff gebracht und nach Neuenburg geschafft oder in die Erde vergraben werden.

      Waltrudis half dabei. Als sie nun beim Knarren der Tür aufblickte und den Junker erkannte, erhellte sich ihr ganzes Gesicht. Gott sei Lob und Dank, sagte sie, Ihr lebt! Ihr seid heil entkommen aus der mörderischen Schlacht!

      Beglückt durch diesen Empfang trat er auf sie zu und hielt ihr zum Gruß beide Hände hin. Sie legte die ihrigen hinein, senkte nun aber tief errötend den Blick. Da war's plötzlich, als ob sie sich an einer spitzen Nadel verletzt hätte, so fuhr sie zusammen. Sie hatte den Ring mit den blauen Steinen an seinem Finger bemerkt. Mein Bruder! schrie sie auf. Und als bedürfte es gar keiner Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtung, wiederholte sie in leisem Klageton: Mein Bruder!

      Es fiel Hans schwer auf die Seele, daß er während des Ganges hierher des armen Freundes gar nicht mehr gedacht und sich's nicht einmal vorgestellt hatte, wie schmerzlich der Bericht seines Todes das Schwesterherz berühren müsse. Nun, schon in der Minute des Wiedersehens, war ihr dieser Verlust gewiß geworden, ohne daß er zu sprechen brauchte. Er ließ den Kopf und die Arme sinken, jetzt ganz mutlos. Er ist tot, klagte das Mädchen. Wie hätte er sich sonst von diesem Ringe getrennt!

      Der Junker nickte schwermütig: er war keines Wortes mächtig.

      Ein Tränenstrom brach gewaltsam aus den Augen des schönen Mädchens vor und überflutete die bleichen Wangen. Krampfhaft schluchzte die Brust. Marie-Annel und Bärbel umarmten sie und suchten sie durch freundliche Worte zu beruhigen. Nach einer Weile faßte sie sich und bat um Bericht, wo und wie er gefallen sei.

      Hans teilte mit, was er wußte. Es war nicht viel und sagte doch alles. Waltrudis dankte ihm, wandte sich ab und verließ das Zimmer. Man hielt sie nicht zurück. Jeder verstand, daß es ihr Bedürfnis sein mußte, mit sich allein zu sein und sich auszuweinen.

      Nach einer Stunde kam sie wieder. Der Junker hatte indessen die Hausfrau von dem unterrichtet, was der Komtur über Waltrudis beschlossen hatte. Es war ihr, so lieb sie das Fräulein hatte, eine Erleichterung, in dieser Zeit der Not dieser fremden Sorge überhoben zu werden, und so machte sie sich gleich eifrig an die Zurüstung zur Reise. Eben als Waltrudis eintrat, hörte man draußen in einiger Entfernung die Pfeifer und Trompeter des abziehenden Heeres. Sie erkundigte sich, was das bedeute, und so hatte der Junker nun gleich einen Anlaß, seinen Auftrag auszurichten.

      Sie hörte ihn ruhig an. Es geschehe mit mir, wie der Herr Komtur will, sagte sie. Kann ich doch nicht zu Heinz, seinen Leib zu bestatten. Die Tränen flossen wieder. Ach, die Freude war so kurz – ich habe keinen Bruder mehr!

      Aber einen Freund, versicherte Hans mit wärmstem Ausdruck, und was an ihm ist, das will er sein Leben lang daransetzen, Bruderstelle zu vertreten. Glaubt mir!

      Sie sah zu ihm auf mit einem Blick, der unter Tränen zu lächeln versuchte. Ich glaube Euch – ich habe einen Freund!

      16. AUF DEM SCHLACHTFELDE

       Inhaltsverzeichnis

      Zurück zum Schlachtfelde von Tannenberg! Nicht gar weit hinaus hatten die Polen und Litauer ihre Verfolgung fortgesetzt. Zufrieden mit dem Erfolge, die Reste des Ordensheeres zerstreut und in die Wälder getrieben zu haben, dachten sie nur daran, sich selbst wieder in Sicherheit zu bringen und über die Beute herzufallen, die unschwer zu erjagen war.

      Das Lager bei Dorf Frögenau war genommen. Viele Hunderte von Wagen, beladen mit Lebensmitteln und Getränken aller Art, fielen den Siegern in die Hände und wurden sofort geplündert. Die Anführer kannten ihre Leute und gaben sich nicht vergebliche Mühe, diesem tollen Treiben Einhalt zu tun. Bald brannten überall auf dem Felde,


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