Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.Ich war dort – bei Tannenberg –
Nun – was?
Der Junker schöpfte nur mühsam Atem. Nicht vor diesen Leuten. Er beugte sich vor und sagte leise: Das Ordensheer ist aufs Haupt geschlagen – der Hochmeister gefallen –
Plauen fuhr zusammen, wie von einem Blitzschlage getroffen. In seinen grauen Augen loderte das Zornfeuer hell auf. Er stieß den Unglücksboten mit der Hand zurück und rief: Das lügst du, Bube!
Das verzeihe Gott Eurem Schmerz, sagte Hans, sich nur mit Not auf den Füßen haltend, daß Ihr mich so verkennt.
Euer Vater ist einer von den Eidechsen.
Er war's. Seine Leiche liegt auf dem Tannenberger Felde.
Nein, nein und aber nein! Ich kann – ich will Euch nicht glauben. Das Ordensheer – der Meister – es ist unmöglich.
Ich sage die Wahrheit. Ich bin geritten Tag und Nacht –
Wer sendet Euch an mich?
Niemand.
Und welche Beglaubigung habt Ihr?
Keine. Es war alles in wilder Flucht.
Und ich soll Euch glauben?
Ich schwör's – bei dem Andenken eines teuren Freundes, Heinz von Waldstein –
Der Komtur faßte krampfhaft seinen Arm. Ha – er – auch er?
Ich sah ihn unter den Gefallenen – mit einer tiefen Wunde über der Stirn. Diesen Ring – er riß den Handschuh von der Hand –, diesen Ring zog ich ihm vom Finger.
Plauen starrte darauf hin. Aller Zorn war von ihm gewichen, im Augenblick schien ihn der Schmerz zu betäuben. Er sah Hans in die Augen, als wollte er ihm in die tiefste Seele sehen. Ja, es war die Wahrheit! Er preßte die Lippen zusammen, schaute zum Himmel auf und drückte die Hand auf die Stirn. Kommt, sagte er nach einer Weile in ganz verändertem Tone, Ihr sollt mir berichten.
Er übergab den Befehl einem von den Rittern und schritt rasch voran über die Brücke und durch das Tor nach dem Schloßhof. Dort wandte er sich dem Eingang zur Kapelle zu und winkte dem Junker zu folgen. Auf dem ganzen Wege sprach er kein Wort.
Die Kapelle war leer. Plauen sprach ein kurzes Gebet am Seitenaltar und nahm dann in einem der Ritterstühle Platz. Dem Junker wies er den nächsten. Sagt, was geschehen – Gott wird mir Kraft geben, alles zu hören.
Hans von der Buche erzählte, was er mit eigenen Augen gesehen oder von Augenzeugen erfahren. Lebhaft schilderte er alle Schrecken der Schlacht. Der Komtur hatte den Arm aufgestützt und das krause graue Haar über der Stirn mit zusammengeballter Hand gefaßt. Er saß unbeweglich, die Augenlider gesenkt, die Zähne scharf ineinander verbissen. Kein Zeichen des Unglaubens machte sich mehr sichtbar. Es schien, daß kein Zweifel weiter Raum finden konnte in seiner Seele, nachdem sein Herz so schwer getroffen war. Als Hans aber erzählte von des Hochmeisters letztem ritterlichen Kampf und von seinem heldenhaften Ende, da seufzte er laut und stöhnte schmerzlich und sagte leise: Gott – Gott – Gott sei uns gnädig!
Er brauchte einige Zeit, sich zu sammeln: das Ungeheure dieser Nachrichten überwältigte ihn. Und wer führt nun das Heer zurück? fragte er dann.
Es schien keinen Führer mehr zu haben, antwortete Hans. Und ein Heer war's auch nicht mehr. Aufgelöste Haufen stürmten über das Feld hin, keinem Hauptmann gehorchend. Viele versanken in den Moorgründen der Semnitz, andere zerstreuten sich in den Wäldern – die Tataren waren auf ihren schnellen Pferden hinter ihnen her.
Und der Ordensmarschall? Friedrich von Wallenrod ist in der Schlacht gefallen. Und Kuno von Lichtenstein, der Großkomtur –?Gefallen.
So ergriff Graf Albrecht von Schwarzburg das große Banner – er ist ein tapfrer Mann!
Er starb den Heldentod. Ritter an Ritter lag neben ihm hingestreckt.
Auch der Oberst-Trappier – o Jammer! Aber der Ordenstresler –? Sprecht, sprecht!
Man sagte mir, auch der tapfere Thomas von Merheim sei unter den Erschlagenen. Aber ich sah ihn nicht. Die Leichen lagen hoch getürmt, wo er gestanden hatte.
So blieb von den obersten Gebietigern nur noch der Spittler, Werner von Tettingen. Er ist ein alter, kranker Mann.
Ich bemerkte ihn unter den Fliehenden. Er bemühte sich, die Reste der Elbinger Fähnlein zusammenzuhalten. Wenige Ritter waren um ihn.
Und die Komture?
Sie müssen in der Schlacht geblieben sein bis auf wenige. Der von Danzig rettete sich mit einigen Rotten Danziger Bürger und einer Söldnerschar in den Wald. Ich verlor sie bald aus den Augen.
Plauen schwieg wieder eine Weile. Sein Gesicht hatte einen finsteren Ausdruck, die Falten auf der Stirn vertieften sich, die Finger wühlten im krausen Haar. Und warum – kommt Ihr zu mir ?
Ich weiß nicht, wie ich darauf fiel. Es war ein Gedanke – ganz plötzlich. Ich glaube, als ich den armen Freund in seinem Blut – Jetzt nichts von ihm. Was will des einzelnen kleines Leid – Die Stimme versagte ihm.
Ihr standet plötzlich hochaufgerichtet vor meinen Augen, wie ich Eure Gestalt im Gedächtnis bewahrte. Und eine innere Stimme rief mir zu: der ist es – der kann retten aus dieser Not – der ist der einzige, der retten kann! Zu ihm! Und ich spornte mein Pferd und eilte zu Euch, Herr.
Der Komtur lehnte den Kopf zurück. Retten –! Was ist zu retten, wo alles verloren ward? Nicht einmal ein geschlagenes Heer, die Burgen zu decken! Der König wird mit seinen wilden Horden das Land überschwemmen – ein Würgengel wird durch das ungeschützte Land ziehen, morden und brennen. Was kann ich –? Wenig mehr denn dreitausend Mann stehen unter meinem Befehl. Wenn ich mich den Polen entgegenwerfe – ich opfere sie unnütz. Hier kann ich das Schloß – kann ich Pommerellen verteidigen – mich in der Neumark mit Sternberg vereinigen, vielleicht im Rücken des Feindes. Aber wird er uns Zeit lassen? Wird er sich hierher wenden? Wird er einen Angriff abwarten? Was hindert ihn, die Marienburg –
Er sprang auf. Ha, die Marienburg – das muß sein Ziel sein, wenn er nicht mit Blindheit geschlagen ist – ja, ja, die Marienburg! Ist sie genommen, so endet aller Widerstand. Solange des Ordens Banner von ihren Zinnen weht, ist der König nicht Herr im Lande. Des Ordens Haupthaus muß gerettet werden! Dorthin – und sollten wir uns unter seinen Mauern und Türmen begraben!
Es war, als ob eine wilde Begeisterung ihn erfaßte, die Augen blitzten, und helle Röte stieg in sein eben noch aschfahles Gesicht. Laßt mich mit mir allein, rief er, ich will zu Gott beten, daß er mir Kraft gebe zu diesem Menschenwerk, und mich mit ihm beraten, wie ich's vollbringe! Ihr habt mir eine traurige Botschaft ausgerichtet, und wahrlich, so oft ich Euer Gesicht sehe, werde ich an diese Stunde gedenken müssen! Aber wenn ich zur Zeit die Marienburg erreiche vor des Königs Ankunft, will ich sie Euch doch danken. Geht jetzt!
Der Junker entfernte sich: Er schwankte über den Burghof nach dem Brunnen, sich durch einen kühlen Trunk zu erfrischen. Der Körper war ihm so schwer, als könnten die Füße nicht länger die Last trägen. So setzte er sich denn auf die Steinbank und lehnte den Kopf an den Brunnenrand. Keine Minute verging, so war er fest eingeschlafen. Das Hausgesinde fand ihn dort, konnte ihn aber nicht erwecken. Einige Mitleidige, die ihn für erkrankt hielten, trugen ihn nach dem Schlafhause und legten ihn in eine Gastzelle desselben nieder.
Heinrich von Plauen aber sank vor dem Altar auf die Knie und faltete die Hände über der Brust. Unverwandt sah er auf das Bild des Gekreuzigten. Er sprach kein Gebet, nicht laut und nicht leise. Seine Gedanken beschäftigten sich nur mit irdischen Dingen, aber womit sie sich erfüllten, das galt ihm nur als Eingebung von Gott. Er überzählte seine Ritter, seine Dienstleute, seine Söldner, seine Harnische, Armbrüste und Spieße; er überschlug seine Vorräte an Fleisch und Brot und allerhand Zehrung; er teilte den Weg bis zur Marienburg in Tagemärsche und bedachte, welche Flüsse zu passieren, welche Brücken zu schlagen seien. Und wundersam klar wurde ihm alles. Da stand er auf und sagte: Hilf Gott! und schritt durch die Pforte in der Mittelwand