Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.Pferde in der Nähe weideten. Der eine Haufe jubelte dem andern zu, und laut erschollen die Siegesgesänge der Frohlockenden bis zu dem Totenfelde hin. Auch drüben im polnischen Lager gab man sich ungebunden der Lust hin. Der König und der Großfürst hatten eiligst ihren Troß herangezogen und reichliche Vorräte unter das Kriegsvolk verteilt. Jede Rotte lagerte, wo sie gerade zuletzt ihren Standort gehabt hatte. Wüstes Geschrei tönte bald überall, und der Fürsten Gesundheit wurde so oft getrunken, daß die Zecher ins Gras taumelten.
Wenn jetzt ein Heer von einigen Tausenden mit einem kühnen Führer an der Spitze aus dem Hinterhalt vorgebrochen wäre und die Siegestrunkenen überfallen hätte, die Verwirrung wäre furchtbar gewesen, die ganze Frucht des Kampfes vielleicht verloren. Aber die Erschöpfung der Fliehenden war zu groß, niemand dachte an solche Rückkehr, und im Dunkel der Nacht verloren die einzelnen Haufen bald jede Fühlung. Am besten geschlossen bewirkten noch die Söldner ihren Rückzug; doch suchte auch hier nur jeder Hauptmann für sich die Reste seines Fähnleins zu sammeln und auf irgendeiner Landstraße nordwärts in Sicherheit zu bringen.
Endlich überwältigte der Schlaf die lärmenden Zecher, und es wurde still in den Lagerplätzen. Auf dem langgestreckten Schlachtfelde aber ächzten und stöhnten die Sterbenden, Freund und Feind beieinander. An hunderttausend lagen da von den beiden Heeren, und wohl denen, die ein tödlicher Streich gefällt hatte! Ewig lang schien die Nacht dem langsam Verschmachtenden. –
König Wladislaus Jagello war durch den so entscheidenden Sieg überrascht worden. Er überließ es auch jetzt seinen Feldherren und Witowd, für die weiteren kriegerischen Maßregeln zu sorgen, dankte Gott in seiner Feldkapelle für die erwiesene Gnade und ordnete für den nächsten Tag einen feierlichen Gottesdienst seines ganzen siegreichen Heeres auf dem Schlachtfelde an.
Zugleich gelobte er, daß er daselbst dem Brigittiner Orden ein Kloster gründen und reich mit Gütern ausstatten wolle. Täglich solle dort für das Seelenheil der Gefallenen gebetet werden.
Die Leiche des Hochmeisters ließ er auf dem Schlachtfelde aufsuchen und vor seinem Zelte niederlegen. Lange stand er, umgeben von seinen Großen, neben derselben und stellte Betrachtungen an über den Wechsel des Glückes. Es schien ihm eine barbarische Genugtuung zu gewähren, den Sieger und den Besiegten so nebeneinander allem Volke zu zeigen. Bedeutete doch der gefallene Hochmeister das ganze vernichtete Ordensheer! Aber was er sprach, waren fromme und demütige Worte. Nicht ihm gehöre der Ruhm des Sieges, sondern dem Höchsten. Ritterlich sei Ulrich von Jungingen gefallen, nicht nur den Seinigen, sondern auch seinen Feinden ein glänzendes Vorbild der Tapferkeit. Von Herzen verzeihe er dem toten Manne, was er im Leben an ihm gesündigt, und nicht wolle er sich im Glück überheben, daß nicht Gott seinen Übermut strafe. Die Leiche des Meisters solle nicht auf dem Schlachtfelde eingescharrt, sondern nach der Marienburg vorausgeschickt werden, daß sie dort in der Sankt-Annen-Kapelle ihre Ruhestätte finde bei den anderen Ordensmeistern. So ehren wir Polen noch im Tode den tapferen Feind, schloß er.
Gleichwohl blieb die Leiche noch viele Stunden lang in der Nähe des königlichen Zeltes, dem rohen Kriegsvolk zur Schau, am Boden liegen. Erst spät am Abend wurde sie fortgeschafft.
Mit dem Dankgottesdienst auf freiem Felde wurde eine Siegesfeier verbunden, die ebenso geeignet war, die Meinung des Königs von sich selbst zu erhöhen, als ihm in den Augen der kriegerischen Polen, Litauer, Russen und Tataren das Ansehen eines siegreichen Feldherrn zu geben. Er stand dabei in voller Waffenrüstung auf einer eigens zu diesem Zweck aufgeschlagenen, mit kostbaren Tüchern belegten und mit einem Baldachin bedeckten Estrade, umgeben von den Großen seines Reiches, den litauischen Bojaren, den Anführern der Hilfsvölker und den Söldnerhauptleuten – selbst der Großfürst Witowd hatte seinen Platz einen Schritt hinter ihm – und ließ sich die eroberten Banner und Fähnlein vorüberführen. Es waren ihrer wohl hundert, die meisten nicht im Kampfe selbst genommen, sondern auf dem Schlachtfeld aufgelesen oder unter den Leichen ihrer tapferen Verteidiger hervorgezogen. Darunter befand sich das große Banner des Hochmeisters, dessen kleines Banner, das Banner des Ordens, das der Großmarschall Friedrich von Wallenrod geführt hatte, auch die Fahne des heiligen Georg, die Georg von Gersdorf trug, bis alle seine Mannen erschlagen waren und man den Verwundeten gefangennahm. Weiter folgten die Banner der Bischöfe, der Komture, der Städte, auch viele Fähnlein der Söldner. Alle diese Trophäen, dazu Waffenstücke von ausgezeichneten Gefallenen und Mäntel der Ordensritter wurden von denen getragen, die sie erobert oder aufgefunden hatten, und alle Banner und Fahnen neigten sich vor dem mächtigen Könige. Sein Schreiber aber zählte sie und schrieb jedes Stück in ein Verzeichnis.
Dahinter wurden die Gefangenen vorübergeführt. Es war ein Zug von mehreren Tausenden, aber nur wenige Komture und Ordensritter waren darunter, viele Verwundete.
Das Banner des Bischofs von Pomesanien – der goldene Adler im roten Felde zwischen zwei Bischofsstäben war darauf zu schauen – ließ der König sich reichen und übergab es seinem Kronfeldherrn mit dem Auftrage, es als Siegeszeichen voraus an seine Gemahlin und die polnischen Großen, die mit der Hut des Krakauer Schlosses betraut waren, abzusenden. Die anderen Banner und Fahnen befahl er rings um seine Feldkapelle aufzupflanzen, später aber ebenfalls nach Krakau zu schaffen und in der Kirche des heiligen Stanislaus daselbst aufzuhängen. Hier erhob Witowd ehrerbietigen Einspruch. Er meinte, die von den Litauern eroberten Siegeszeichen sollten ihm wohl nach Billigkeit bleiben. Die Bojaren stimmten zu. Da hielt der König es nicht geraten, geradeaus zu widersprechen. Die Trophäen sollten erst in allen großen Städten des Reiches ausgestellt werden, entschied er, damit alles Volk sich des Sieges erfreue; dann wolle er über die Teilung beschließen.
Diese Festlichkeiten unterbrach nur für wenige Stunden das schon am frühen Morgen begonnene Werk der Plünderung auf dem Schlachtfelde. Scharen beutegieriger Polen, Litauer und Tataren zogen über den weiten Plan hin und warfen sich über die Haufen der Erschlagenen. Sie nahmen ihnen die Waffen ab, zogen ihnen die Kleider aus, leerten ihnen die Taschen, rissen ihnen die Siegelringe und Goldreifen von den starren Fingern. Mancher, der noch atmete, erhielt dabei den Gnadenstoß.
Unter diesen Plünderern war auch ein Bekannter. Auf einem kleinen braunen Pferde mit dichter heller Mähne und langem Schweif ritt der Pole Michael von Kroczinski, umgeben von der gleichfalls berittenen Schar seiner Dienstleute. Sein Zaumzeug war mit allerhand Zierat dicht behängt, und die Füße steckten in breiten silbernen Bügeln, die an roten Riemen hingen. Seine Begleiter hatten sich schon mit Beutestücken aller Art beladen und sprangen von Zeit zu Zeit ab, wenn ihre Aufmerksamkeit sich auf einen Gegenstand lenkte, der des Aufhebens wert schien. Herr von Kroczinski spähte umher, ob er etwas von seinem Schwager von der Buche entdecken könnte, der sich, wie er annehmen mußte, unter den Kämpfenden befunden hatte.
Es konnte ihm nur die geringste Beruhigung gewähren, daß er ihn bisher nicht unter den Erschlagenen entdeckte, denn an vielen Stellen lagen sie übereinandergehäuft oder mit dem Gesicht der Erde zugekehrt, ihrer Waffen und Kleider bereits beraubt, und ihre Zahl war so groß, daß immer nur der Zufall leiten konnte. Es war aber auch möglich, daß er entkommen war, und er wünschte es seiner Schwester wegen, der er gern nach Schloß Sczanowo eine gute Nachricht gegeben hätte.
Während er so im Kreise umschaute, stieß sein Pferd mit dem Vorderfuß an einen der menschlicher Körper, die gerade hier so dicht auf das Feld gesät waren, daß auch das vorsichtigste Tier sie nicht hätte vermeiden können, und trat gleich darauf wie erschreckt zurück. Er vernahm einen ächzenden Laut und blickte seitwärts hinab, flüchtig zu erforschen, wen er da unter sich habe. In demselben Augenblick zog er aber auch den Zügel an und zwang das Pferd mit dem Sporn, zur Seite zu treten. Beim heiligen Stanislaus, rief er, den Burschen kenne ich!
Er täuschte sich nicht. Es war Heinz von Waldstein, der da hingestreckt lag. Das Blut über der Kopfwunde war geronnen und sickerte nur noch tropfenweise über die bleiche Stirn. Das Wams hatte man ihm abgerissen, die Brust war nackt bis zum Gürtel hinab, an dem die Tasche fehlte. Er hatte die Hände über derselben gefaltet. Schon früh am Morgen war er von den Leuten des Königs geplündert, die des Hochmeisters Leiche suchten.
Seid Ihr's, Junker? rief der Pole, ihn mit dem Schaft der Lanze berührend, als ob er ihn wecken wollte. Tot sein oder noch lebendig? He, wachen auf, Junker! Noch nicht sein tot, aber Kopf schwer. Er sprang ab, warf einem