Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.ihn hierher! Er war sehr bleich und sah auch sonst ganz verstört aus. Ich habe die Stimme nicht zum erstenmal gehört, wandte er sich wieder an den Gutsherrn, und mir galt der Schuß. Wer war's – Ihr müßt ihn kennen! In Eurem Walde ist diese Schandtat –
Gnädigster Herr, fiel Hans ihm in die Rede, straft nicht einen Unschuldigen mit Eurem Zorn. Ich weiß nicht, welcher schändliche Bube – es treibt sich jetzt viel Raubgesindel um – vielleicht, daß man erfahren hat –
Aber die Stimme, die Stimme –?
Sie klang heiser und wie von Wut erstickt –
Verführer – Mörder –
Ich vernahm die Worte kaum deutlich. Nach dem Ton – aber das ist unmöglich!
Der Hochmeister sah finster vor sich hin. Die Freude an diesem Tage ist mir verdorben, sagte er. Nicht weil mein Leben gefährdet war – das steht überall in Gottes Hand, und stets hab' ich es eingesetzt mit leichtem Mut. Aber die Stimme – das war ein Feind, auf den ich nicht rechnete. Mörder – Verführer … Er sprach immer leiser in sich hinein, zuletzt ganz unverständlich. Dann schüttelte er sich, als ob er etwas abwerfen wollte, richtete den Kopf hoch auf und rief in herrischem Tone: Die Pferde herbei! Wir reiten heim.
Zwei von den Dienern hatten in dem unbekannten Walde bald die Verfolgung aufgegeben und eilten zu den Pferden zurück, des Hochmeisters Befehl auszuführen. Einige andere durchsuchten noch die Gebüsche in der Schlucht und drüben am Rande eine Strecke ins Gehölz hinein. Am flinksten war Liszek hinter dem Schützen her gewesen. Er hatte genau die Richtung gemerkt, aus welcher der Ruf kam, und sich in der Nähe gar nicht aufgehalten. Indem er dreist zulief und zu beiden Seiten ausspähte, sah er hinter einem Busch eine Gestalt auftauchen und sich eiligst in der Richtung nach dem See hin entfernen. Er verdoppelte nun seine Anstrengungen und war bald dem Fliehenden auf den Hacken. Steht, rief er ihm zu, oder ich sende Euch einen Bolzen nach, der besser treffen soll als der Eure!
Der Waldmeister mußte einsehen, daß es ihm nicht gelingen könne, sich seinem Verfolger zu entziehen und den Heidenwall zu erreichen. Das Blut kochte in seinen Adern, das Herz klopfte bis zum Halse hinauf. Schweiß stand auf der knochigen Stirn, und die Knie zitterten vom schnellen Lauf in solcher Erregtheit. Er stellte sich mit dem Rücken gegen einen Baum, spannte seine Armbrust und sagte, mühsam Atem schöpfend: Was wollt Ihr von mir? Keinen Schritt weiter – Ihr seid des Todes!
Liszek winkte beruhigend mit der Hand. Mann gegen Mann – nicht schießen! Lieber geben Antwort. Wer seid Ihr?
Gundrat überzeugte sich, daß er's nur mit diesem einen zu tun habe und setzte die Armbrust ab. Ein alter Mann, wie Ihr seht, entgegnete er, ein unglücklicher Mann, dessen Auge nicht mehr sicher ist und dem die Hand zittert. Oder traf mein Bolzen ihn doch, den schändlichen Verführer meines Kindes – den Buben, der mich zum Mörder machte? Nein, nein, nein, er traf nicht! Es gibt keinen gerechten Gott!
Liszek horchte auf und bekreuzte sich bei den letzten Worten.
Den Buben – hahaha! Ihr sprecht wenig respektvoll von Eurem gnädigen Herrn Hochmeister.
Der Alte schrak zusammen. Hölle und Teufel! Der Mann unter der Eiche war –? Die Augen schienen ihm aus dem Kopf treten zu wollen. Wer war der Mann?
Ja, Ihr müßt ihn doch kennen, wenn Ihr ihm an die Kehle wollt! Heinrich von Plauen, Hochmeister des Deutschen Ordens, kein Geringerer.
Gundrat sank in die Knie. Heinrich von Plauen – er! rief er. Der Gast meines jungen Herrn –!
So seid Ihr des Junkers von der Buche Waldmeister, den er an den drei Eichen erwartete. Aber was sprecht Ihr da? Das ist eine schwere Anklage für einen Hochmeister des Deutschen Ordens. Getraut Ihr Euch, sie aufrechtzuerhalten?
Gundrat ballte die Fäuste. Ich hasse ihn! Er hat mein Leben vergiftet, er hat mich aus Heil in Unheil gebracht! Ja – ich hatt' ihn erkannt. Er war's – er war's gewißlich.
Mehr als zwanzig Jahre sind darüber hingegangen. Aber wären's fünfzig – ich könnte mich nicht täuschen – er war's! O Mechthild – mein Kind, mein armes Kind! O unseliger Vater! Er schlug mit den Händen gegen die Stirn und raufte sein graues Haar.
Liszek überkam etwas wie Mitleid, während er zugleich schlau zu überlegen bemüht war, wie diese unverhoffte Entdeckung sich könnte ausnützen lassen. So trat er nun zu ihm und suchte ihn aufzurichten. Wenn Ihr Rache nehmen wollt, sagte er, dazu könnte mit der Zeit vielleicht Rat werden. Ich diene dem Bischof von Kujawien, der des Hochmeisters Feind ist. Habt Ihr einen Anschlag gegen Plauen, so eröffnet Euch dem hochwürdigen Herrn ohne Anstand im Beichtstuhl – der Vergebung Eurer Sünden seid Ihr sicher. Das sagte er in polnischer Sprache.
Gundrat stieß ihn unwillig zurück. Ich brauche keinen Pfaffen! rief er. Meine Sünde ist so groß, daß sie im Beichtstuhl nicht vergeben werden kann. Nicht Gott – der Teufel ist mächtig in mir. Fort mit Euch! Rührt mich nicht an! Wollt Ihr mich verraten, das steht bei Euch. Ich bin Gundrat, der Waldmeister, und meine Hütte weiß jedes Kind zu finden. Es ist so viel Ungerechtigkeit in der Welt – warum soll der Mann nicht zu Gericht sitzen über mich und den Stab brechen? Heinrich von Plauen – er! Hahaha, die Welt – die schöne Welt!
Er lachte wie ein Verrückter, daß es weithin durch den Wald schallte, warf seine Armbrust über die Schulter und schritt, ohne ein Wort des Abschieds zu sprechen, an seinem Verfolger vorüber. Liszek war der Alte unheimlich geworden. Er schlug hinter ihm dreimal das Kreuz und ließ ihn unangefochten gehen. Unmöglich war's nicht, daß er's mit dem Teufel selbst zu tun gehabt hatte.
Während er langsam in der Richtung nach der Schlucht zurückschritt, bedachte er, was zu tun sei. Er wurde mit sich einig, weder dem Herrn Hochmeister noch dem Junker von der Buche etwas von dieser sonderbaren Begegnung zu sagen, übrigens aber sich alles wohl zu merken und bei nächster Gelegenheit dem Bischof Bericht zu erstatten. Der würde sich's wohl zusammenreimen, meinte er.
Als er an den Halteplatz kam, waren die Jäger schon fort. Er zäumte sein Pferd auf und folgte ihnen.
An der Stelle, wo der Hirsch lag, waren sie vorübergeritten. Schade um den Braten, dachte er, sprang ab und lud das Wild auf. Im Dorfe Okonin gab er's den Bauern mit dem Befehl, es nach dem Schlosse zu schaffen.
Noch denselben Tag verließ Hans von der Buche die Engelsburg, um zu Hause seine Wirtschaft zu übernehmen. Der Hochmeister hatte sich in sein Gemach eingeschlossen und wollte ihn nicht mehr sprechen.
Bald nach diesem Vorfalle begab Heinrich von Plauen sich nach der Stadt Thorn, um mit dem König über den Frieden zu verhandeln.
24. EINE SAMARITERIN
Sczanowa lag einige Meilen von der Grenze auf einer mäßigen Erhöhung des Weichselufers. Das, was die Besitzer selbst »das Schloß« nannten, war ein lang hingestrecktes Gebäude unter Strohdach, dessen beide Flügel sich im rechten Winkel an einen viereckigen plumpen Turm von drei Stockwerken anlehnten, der aus rohen Feldsteinen aufgeführt war und wohl schon ein paar Jahrhunderte überdauert hatte. In den Seitenflügeln befanden sich menschliche Wohnungen, aber auch Ställe für Pferde und Vieh und unter den Dächern Getreideschüttungen. Vor den Türen lagen ungeheure Misthaufen auf dem Hofe, der auf der dritten und vierten Seite teils durch Gebäude, deren Dach fast bis zur Erde reichte, teils durch einen verfallenen Palisadenzaun abgegrenzt wurde. Um dieses Viereck lagen ohne Ordnung Lehmhütten von schlechtestem Aussehen in großer Anzahl, die meisten mit seitwärts gesenktem Strohdach und gestütztem Giebel. Weiter die Uferhöhe hinauf zeigten sich auch noch einfachere Wohnplätze: bloße Bedachungen über Gruben, an den Giebelseiten durch aufgeschichtete Rasenstücke notdürftig geschlossen, ganz ohne Fensteröffnungen und mit einem niedrigen Loch statt der Tür. Noch weiter hinaus, schon nahe der Uferböschung, waren in langen Reihen mächtige Baumstämme, daneben auch Bretter aufgestapelt. Von hier führte ein breiter Weg zum Flusse hinab, wenn man eine geebnete Strecke einen Weg nennen will.
Nirgends