Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.ihm einzuflößen.
Sie eilte wieder die Treppe hinab und rief nach dem Kellermeister. Er verstand sich nur ungern dazu, ihr zu Dienst zu sein, denn auf dem Hofe war Herrschaft und Dienerschaft um den Führer des Wagens und seine Begleiter versammelt, die von der siegreichen Schlacht bei Tannenberg erzählten. Es war ein Faß Bier herangerollt, und des Königs Wohl wurde so oft getrunken, daß die Zungen schon zu lallen anfingen. Was kümmerte man sich um den deutschen Junker?
Sie stieg selbst in den Keller hinab, der unter dem Turm lag, füllte eine Kanne mit Wein und trug sie hinauf. Mühsam gelang es, dem Kranken die krampfhaft verbissenen Zähne voneinander zu bringen. Dann aber schien der Wein seine ermatteten Lebensgeister wundersam zu kräftigen. Wieder schlug er die Augen auf und ließ den Blick auf dem bekümmerten Gesicht des Mädchens verwundert haften, bis sie zufielen. Der Kaplan hielt seine schlaffe Hand und fühlte den Puls, der sich ein wenig gehoben hatte. Dann legte er die wollenen Decken über das Lager. Wir können jetzt weiter nichts tun, sagte er, ich will in der Kapelle für ihn beten.
Als sie allein war, kniete sie neben der Bettstelle nieder, faltete die Hände und blickte unverwandt auf sein Gesicht. Mitunter streichelte sie den Arm, der sich unter der Decke unbeweglich am Körper hinstreckte. Er lag in tiefem Schlaf.
Die Sonne ging unter und warf beim Scheiden durch das Fenster einen glutroten Schein auf die Wand, daß sich das ganze Gemach erhellte. Nun sah der Kranke recht erhitzt aus; er atmete auch lauter und hastiger. Als es dämmerte, löste der Kaplan das Mädchen ab. Schlaft, sagte er, Ihr werdet hoffentlich noch viel bei ihm zu wachen haben.
Er hatte recht. Die Nacht ging ohne einen Unfall vorüber, und der nächste Tag forderte wieder ihre unausgesetzte Pflege. So auch die folgenden Tage. Sie wechselte mit dem Geistlichen am Krankenbett ab und ließ sich's auch nicht nehmen, hin und wieder eine Nachtwache zu leisten, damit er nicht seine Kräfte erschöpfe. Ein furchtbar heftiges Wundfieber hatte den Kranken ergriffen. Mehr als einmal glaubte der Arzt sein Ende gekommen. Aber seine kräftige Natur überwand diesen Anfall. Die Besinnung fand sich wieder, er erkannte seine Pflegerin, er sprach einige verständliche Worte, nahm mit Behagen Nahrung zu sich. So vergingen viele Wochen zwischen Fürchten und Hoffen.
Habt Ihr meinen Ring verwahrt? fragte er eines Morgens nach einer meist in ruhigem Schlaf verbrachten Nacht schüchtern.
Welchen Ring, Junker?
Einen Ring mit kleinen blauen Steinen –
Ah, den! Ich sah ihn damals im Buchwalde am kleinen Finger Eurer Hand.
Und jetzt fehlt er an der Stelle. Habt Ihr ihn nicht bemerkt, als ich hierher –
Nein, Junker. Man wird ihn Euch auf dem Schlachtfelde vom Finger gezogen haben. Nach Kostbarkeiten haben die Plünderer sicher zuerst gesucht.
Er nickte.
Der Ring war Euch sehr wert! bemerkte sie, die Augen senkend und an den Schnüren ihres Mieders zupfend.
Darauf antwortete er nicht. –
Und wieder vergingen Wochen. Die Stirnwunde fing an sich zu schließen, die Kopfwunde eiterte noch, aber immer seltener lösten sich Knochensplitter aus. Pater Stanislaus, der täglich den Verband erneute, glaubte mit gutem Gewissen die Versicherung geben zu können, daß die Gefahr beseitigt sei und die Heilung bald rasch fortschreiten werde. Natalia setzte mit einer Ausdauer, die ihr keiner der Verwandten zugetraut hätte, ihre Pflege fort und schlug jede Lockung der Vettern ab, zu Pferde in der Nachbarschaft einen Besuch abzustatten oder in dem kleinen Boot auf dem Flusse zu fahren, was ihr sonst das größte Vergnügen bereitet hatte. Es fehlte selbst an Fasttagen nicht an kräftiger Fleischkost, nicht an süßem Ungarwein und frischem Met. Dennoch wollte sich in dem Befinden des Kranken keine Besserung zeigen, im Gegenteil schienen die Kräfte sich immer mehr zu erschöpfen.
Das konnte seinen Grund nur in der bösartigen Schulterwunde haben, an der Pater Stanislaus vergebens alle seine Kunst versuchte. Das kleine Dreieck schloß sich nicht, und die Ränder blieben weithin entzündet. Vielleicht war die Pfeilspitze abgebrochen und steckengeblieben. So schmerzhaft die Stelle bei der geringsten Berührung war, entschloß Heinz sich doch, die Wunde nochmals genau sondieren zu lassen. Der Pater führte diese Operation mit seinen rohen Instrumenten nicht allzu geschickt aus. Der arme Kranke biß die Zähne zusammen, um nicht zu schreien: der Angstschweiß stand ihm auf der Stirn. Natalia hielt seine Hand und suchte ihn durch die freundlichsten Worte zu ermutigen. Wenn die Schmerzen ein wenig nachließen, dankte er ihr dafür durch einen warmen Blick. Umsonst litt er alle diese Qual; die Pfeilspitze wurde nicht gefunden.
Von neuem probte der Pater seine Heilmittel durch; kein einziges brachte in dem Zustande des Kranken eine mehr als vorübergehende Besserung. Von dem blühenden Menschen war bald nicht mehr als der Schatten übrig. Der Körper magerte gänzlich ab und wurde so kraftlos, daß an ein Verlassen des Bettes nicht zu denken war. Kaum daß er den Arm heben und sich ohne Beistand auf die andere Seite legen konnte. Tag und Nacht rüttelte ihn das Fieber, die Stirn war fortwährend feucht, die Augen lagen tief in ihren Höhlen, das ganze Gesicht zeigte eine grünliche Farbe. Manchmal, wenn Natalia am Morgen in das Stübchen trat, um für den Tag wieder ihr Pflegeamt zu übernehmen und Heinz die Augen geschlossen hatte, glaubte sie schon eine Leiche auf der Bettlade liegen zu sehen.
Sie ermüdete nicht. Keine andere Unterstützung nahm sie an als die des guten Paters, der ihr ganz ergeben war. Sie reichte dem Kranken den Kräutertrank, den dieser bereitet hatte, den Becher mit Wein oder frischem Wasser, sie hob zur Essenszeit seinen Kopf in ihren Arm und führte jeden Bissen Speise in seinen Mund. Als der Herbst mit den kalten Tagen herankam, ließ sie das Fenster verdichten, Binsenmatten über den ganzen Fußboden ausbreiten, die Tür mit einer wollenen Decke verhängen. Sie sorgte auch für eine Lampe, damit ihm die finsteren Abende nicht lang würden. Ihr seid engelgut, sagte er wohl nach solchen neuen Beweisen von freundlicher Werktätigkeit, ihr mit den hageren, zitternden Fingern die kleine Hand drückend, das habe ich mir um Euren Bruder Hans nicht verdient.
Still, still, antwortete sie dann und nickte ihm aus den dunklen Augen freundlich zu, Ihr seid mein Gefangener, und ich will mein Lösegeld nicht verlieren – wenn ich Euch überhaupt freigebe.
Lange hoffte er selbst auf Besserung und Genesung. Als aber Tag nach Tag, Woche nach Woche schied und sein Zustand immer kläglicher wurde, meinte er sich die Wahrheit nicht vorenthalten zu dürfen, daß es mit ihm rasch oder langsam zu Ende gehen müsse. Eine traurige, manchmal recht verzweifelte Stimmung bemächtigte sich seiner. In schlaflosen Stunden der Nacht klagte er Gott an, daß er ihn nicht auf dem Schlachtfelde habe sterben lassen, und dann bat er wieder recht kindlich und inbrünstig, daß der Herr über Leben und Tod seinen Leiden bald ein Ziel stecken möge. Die düsteren Dezembertage schienen recht geeignet, solche Trübseligkeit zu fördern. Wenn freilich des Morgens seine treue Pflegerin hinter dem Türvorhang vorschaute und ihm mit der hellen Stimme einen Gruß zurief oder das Lederkissen unter seinem Kopf zurechtrückte und dabei mit der Hand seine Wange streifte oder sie auch wohl, wenn das Fieber ihn schüttelte, beruhigend auf die seine legte, dachte er nicht ans Sterben. Er war ja so jung! Manchmal freilich überkam ihn bei solchen Liebkosungen eine ganz eigene Beklommenheit. Es war ihm dann, als ob nicht nur das Mitleid dem Kranken sie spendete, sondern ein wärmeres Gefühl sich bei dem Mädchen regte. Wie konnte das auch bloßes Mitleid sein, was sich bei dem jungen Ding mit so ausdauernder Werktätigkeit zu erkennen gab? Nein, da sprach eine herzlichere Teilnahme mit, und er mußte sich's gestehen, daß sie ihm wohltat. Wenn sie neben seinem Bette saß, zwang's ihn recht, die matten Augen von der Decke zu heben und auf das jugendlich frische Gesichtchen zu richten, dem die bekümmerte Miene gar nicht anpassen wollte und doch so viel Reiz verlieh. Er träumte sich dann zu dem Tag zurück, als sie beide, strotzend von Lebenskraft, zur Zigeunermusik getanzt und hoch zu Pferde in raschem Lauf die Heide durchmessen hatten. Diese schlanke, biegsame Gestalt – dieses leuchtende Auge – diese keck herausfordernde Sprache – dieses muntere Lachen! Schon damals hatte sie Gefallen an ihm gehabt – ganz gewiß. Und seinetwegen war sie nun die Samariterin! Stundenlang saß sie bei ihm in dem kalten, halbdunklen Gemach, in ihren Augen glänzten oft Tränen, ihre Stimme klang weich und mild, nur die Lippen lachten still, wenn er ihr ein Wort des Dankes sagte. Sie wollte, daß er lebe. Warum wollte sie es? Welche