Gesammelte Werke. Ernst Wichert
Читать онлайн книгу.Tage in Raciaz gewesen, habe aber so unbillige Forderungen gestellt, daß man nicht zum Schluß hätte kommen können. Nun verhandelten die Kommissarien weiter, übrigens sei Großfürst Witowd mit frischen Truppen aus Litauen im Anzuge. Sobald er erst an der Grenze stehe, werde Plauen sich gefügiger zeigen.
So war man in das neue Jahr hineingekommen. Der Januar hatte große Kälte gebracht; das Schloß war eingeschneit, der Wald rundum wegen der in großen Rudeln andringenden Wölfe gefürchtet, die Verbindung mit der Nachbarschaft eigentlich nur über den gefrorenen Fluß hin möglich. Die Kälte drang nun auch ins Haus ein und ließ sich durch die Kaminfeuer, ob sie schon den ganzen Tag über brannten, nicht zurückschrecken. Man ging auch im Innern des Hauses in Pelzen und schloß sich am Kamin dicht zusammen.
Ein Mitglied der Schloßgenossenschaft war während der ganzen Zeit immer nur selten in den Familiengemächern gewesen: Natalia. So munter und ausgelassen sie anfangs nach der Übersiedlung von Buchwalde hierher mit den Vettern um die Wette allerhand Reitkünste betrieben hatte, so still und kopfhängerisch war sie später geworden. Jeder wußte den Grund, aber man sprach nicht mehr davon, am wenigsten mit ihr selbst, nachdem sie ein paarmal die vorwitzigen Frager und Rater scharf abgetrumpft hatte. Ihre Mutter hatte gar keinen Einfluß auf sie und ließ sie gewähren, da sie jede unnütze Aufregung vermied. Es war nicht die Nachricht vom Tode des Vaters, was sie in solcher Betrübnis erhielt. An ihr zehrte ein Leiden, das sich täglich erneuerte und immer schmerzlicher wurde.
Warum hatte ihr auch der Oheim vom Schlachtfelde einen Gefangenen zugeschickt, den sie nun zu hüten hatte?
Es war eine schwere Stunde gewesen, als damals im Juli der mit Beutestücken aller Art beladene Wagen auf den Hof fuhr, der Führer das Fräulein rufen ließ und verschmitzt lachend sagte, daß er auch ihr etwas mitgebracht habe, aber nicht wüßte, wie es angekommen sein werde, und wie er nun den weißen Mantel aufhob und Junker Heinz von Waldstein dalag, anscheinend ein Toter.
Sie schrie entsetzt auf. Der Schrei weckte ihn; er zuckte zusammen und öffnete matt die Augen, schloß sie aber gleich wieder, geblendet vom Licht, und schien vergebliche Anstrengungen zu machen, die trockenen Lippen zu bewegen.
Er lebte also noch – aber was für ein Leben. Vielleicht nur Minuten noch dauerte der Kampf. Mit dem ist's zu Ende, sagten die Vettern; holt den Kaplan herbei, daß er wenigstens wie ein Christ sterbe.
Nicht hier auf der Straße! rief Natalia, an allen Gliedern zitternd und doch schon innerlich ermutigt zu dem Liebeswerke, das ihr aufgetragen war. Er gehört mir, ich will über ihn verfügen. Helft mir, ihn in das Turmgemach hinaufschaffen; es ist kühl und luftig – er ist erschöpft von der weiten Fahrt und von der Hitze – er wird sich erholen.
Sie trat auf das Rad des Wagens, beugte sich über die Leiter und faßte schauernd seine kalte Hand. Junker Heinz – sagte sie, sterbt nicht – Ihr seid bei guten Freunden. Es war, als ob ein Lächeln über die eingefallenen, farblosen Wangen zog; aber es konnte auch der Todeskrampf sein.
Der Wagen wurde abgeladen und dann dicht bis an das Pförtchen im Turm gefahren. Frau Cornelia hatte indessen den verwunderten Vettern notdürftige Auskunft über den Mann gegeben, so daß sie sich nun teilnehmender zeigten. Der Hauskaplan kam heraus und traf mit geistlicher Ruhe Anordnungen, wie die Männer den Kranken vom Wagen heben sollten, nachdem die eine Leiter entfernt wäre. Tut ihm nicht weh, bat Natalia.
Sie eilte dann voraus an der Kapelle vorbei, die das untere Geschoß einnahm, die Steinstiege in der dicken Mauer hinauf nach dem zweiten Stock, in dem sich zwei Stübchen befanden, die Mönchszellen ähnlich sahen. Mitunter wurden Fremde dort logiert, wenn das Langhaus gefüllt war, und es stand in dem einen auch ein hölzernes Gestell, das für eine Bettlade gelten konnte. In einer anderen Ecke lagen ein Strohsack und ein Lederkissen. Sie warf beides rasch auf das Gestell und klopfte die Einlage glatt aus. Dann trat sie in die tiefe Fensternische und stieß die Laden auf, damit die frische Luft einströmen könnte. Auch im Stübchen nebenan, das ganz mit Waffen und Jagdgerät behängt und bestellt war, öffnete sie die Luke zu gleichem Zweck. Als die Männer den Verwundeten hinaufbrachten, war alles zu seiner Aufnahme zugerichtet.
Der Kaplan hatte seine Zelle in einem seitlichen Ausbau des Turmes, der schon unter dem Dache des Langhauses lag, neben der Kapelle. Er konnte also immer in der Nähe sein, was Natalia sehr beruhigte, sowohl seines geistlichen Amtes wegen, das ihn ja zu Werken der Barmherzigkeit verpflichtete, als weil er einige medizinische und chirurgische Kenntnisse besah. Er war nicht nur der Seelsorger, sondern auch der Arzt für die Schloßherrschaft und die Gemeinde der leibeigenen Bauern. Auch deshalb hatte Natalia dieses Turmzimmer gewählt. Nun beweiset Eure Kunst, Pater Stanislaus, sagte sie zu ihm, als sie allein waren, und Ihr sollt den Dank nicht missen. Mich aber betrachtet als Eure Gehilfin und dienstwillige Dienerin. Tragt mir auf, was zu tun ist, und ich will Euch in allem gehorchen.
So entfernt Euch jetzt, bat der Kaplan, damit ich seinen wunden Körper untersuche. Wahrscheinlich ist der Hieb über Kopf und Stirn nicht der einzige, den er in der Schlacht davongetragen. Hier an der linken Schulter ist das Wams von Blut gefärbt, und auch sonst sind wohl nicht alle Glieder heil. Schafft indessen kaltes und warmes Wasser herbei, auch altes Linnen zu Binden und wollene Decken. Ich will gern sehen, was ich vermag, aber ich fürchte, er erlebt die Nacht nicht mehr.
Sie eilte fort, und er besichtigte nun aufmerksam die breite Stirnwunde, indem er mit geschickter Hand die angetrocknete Blutkruste ein wenig hob und mit den Fingern tastend prüfte, ob der Knochen erheblich verletzt sei. Dann öffnete er das Lederwams über der Brust und untersuchte die Verletzung an der Schulter. Hier war ein Pfeil zwischen Plate und Armschienen eingedrungen. Die Wunde war dreieckig und anscheinend tief, ihre Ränder zeigten sich weithin entzündet. Die ganze Umgebung mußte sehr schmerzhaft sein, denn der Körper zuckte bei der leisesten Berührung. Eine Quetschung des Schenkels, wahrscheinlich von dem Hufschlage eines Pferdes herbeigeführt, erwies sich ebensowenig gefährlich als einige Schrammen und Beulen hier und dort, die durch die Rüstung nicht hatten abgewehrt werden können.
Natalia brachte Wasser und Verbandzeug. Mit ängstlicher Spannung sah sie zu, wie der Kaplan die Kopfwunde wusch und die Blutkruste löste, indem er zugleich das lockige braune Haar zur Seite strich. Als nun der breite Spalt in der Kopf- und Stirnhaut klaffte, überfiel sie einen Augenblick ein Schwindel, daß sie die Schale mit dem Wasser niedersetzen und sich an das Holzgetäfel der Wand stützen mußte. Sie ächzte leise, als ob sie selbst Schmerz empfände. Rasch aber faßte sie sich wieder und setzte die Handreichungen fort. Das ist eine entsetzliche Wunde, sagte sie, ihrer Beängstigung durch Worte Luft machend.
Der Schädel scheint nicht gespalten zu sein, antwortete er bedächtig. Es wäre freilich fast ein Wunder zu nennen, wenn der Knochen ganz unverletzt geblieben sein sollte. Der Helm hat die Wucht des Hiebes geschwächt, ist aber offenbar gesprengt worden, so daß die Schneide des Schwertes oder der Axt eine lange Bahn reißen konnte. Ein kräftiger Schädel! Ah, hier gibt die Decke dem Druck doch nach – diese scharfe Spitze – ein Knochensplitter. Das hat noch keine Gefahr, wenn das Gehirn nicht verletzt ist. Wäre nur schon auf dem Schlachtfelde ein Verband –
Es hat keine Gefahr? erkundete das Mädchen eifrig, sich an das einzige Wort haltend, das tröstlich klang.
An sich nicht, liebes Fräulein, erwiderte er; solche Brüche heilen bei guter Behandlung. Aber ob hier … Sicher hat der arme Mensch Tag und Nacht auf dem Felde gelegen, und dann die lange Fahrt in der Sonnenhitze? Man muß staunen, was der Mensch ertragen kann. Und dieser atmet doch noch!
Also keine Hoffnung?
Das sage ich nicht. Wer atmet, lebt – und wer lebt, den soll man nicht verloren geben, denn Gottes Rat macht alle Menschenweisheit zuschanden. Eine solche Wunde läßt sich heilen, wenn nur die Kraft ausreicht. Er zog ein kleines Täschchen aus dem Ärmelaufschlag seines Rockes vor, nahm ein blankes Instrument heraus und sondierte vorsichtig. Der Bruch scheint in der Tat nicht bedeutend –
Gott sei gelobt!
Aber die andere Wunde –
Die an der Schulter?
Eine Pfeilspitze ist tief eingedrungen, und man weiß nicht, was sie im Innern beschädigt hat. Eine sehr heftige Entzündung rundum