Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.zu werden", d.h. in Löhnen für neuanzustellende Arbeiter draufzugehen. Diese irrige Annahme, die völlig außer acht läßt, daß jede Produktionserweiterung nicht bloß in der Vergrößerung der Zahl der beschäftigten Arbeiter, sondern auch in der Vermehrung der sachlichen Produktionsmittel (Baulichkeiten, Instrumente, zum mindesten und auf jeden Fall Rohstoffe) zum Ausdruck kommen muß, fußt offenbar auf dem bereits besprochenen falschen "Dogma" von Ad. Smith. Aus dem Mißverständnis, wonach der Preis aller Waren sich unter völliger Auslassung des konstanten Kapitals - in lauter Löhne und Mehrwert restlos auflöst, ergab sich auch die Annahme, zur Erweiterung der Produktion genüge es, mehr Kapital in Löhnen auszugeben. Merkwürdigerweise übernimmt auch Ricardo, der das Irrtümliche der Smithschen Lehre wenigstens gelegentlich eingesehen hat, ihre irrtümliche Schlußfolgerung mit vielem Nachdruck, indem er sagt: "Man muß verstehen, daß alle Produkte eines Landes konsumiert werden; aber es macht den denkbar größten Unterschied, ob sie konsumiert werden durch solche, die einen anderen Wert reproduzieren, oder durch solche, die ihn nicht reproduzieren. Wenn wir sagen, daß Einkommen erspart und zu Kapital geschlagen wird, so meinen wir, daß der Teil des Einkommens, von dem es heißt, er sei zum Kapital geschlagen, durch produktive statt durch unproduktive Arbeiter verzehrt wird." Nach dieser seltsamen Vorstellung, die alle hergestellten Produkte von den Menschen verzehren läßt, also für unverzehrbare Produktionsmittel: Werkzeuge und Maschinen, Rohstoffe und Baulichkeiten, im gesellschaftlichen Gesamtprodukt gar keinen Platz übrig hat, geht auch die erweiterte Reproduktion in der merkwürdigen Weise vonstatten, daß statt eines Teils feinerer Lebensmittel für die Kapitalistenklasse im Betrage des kapitalisierten Teils des Mehrwerts einfache Lebensmittel für neue Arbeiter produziert werden. Einer andere Verschiebung als innerhalb der Lebensmittelproduktion kennt die klassische Theorie der erweiterten Reproduktion nicht. Daß Marx mit diesem elementaren Schnitzer Smith-Ricardos spielend fertig wurde, versteht sich nach dem Bisherigen von selbst. Genauso wie bei der einfachen Reproduktion neben der Herstellung der erforderlichen Menge Lebensmittel für Arbeiter und Kapitalisten die regelmäßige Erneuerung des konstanten Kapitals - der sachlichen Produktionsmittel - stattfinden muß, ebenso muß bei der Erweiterung der Produktion ein Teil des neuen, zuschüssigen Kapitals zur Vergrößerung des konstanten Kapitalteils, d.h. zur Vermehrung der sachlichen Produktionsmittel, verwendet werden. Hier kommt noch ein anderes von Marx entdecktes Gesetz in Betracht. Der von der klassischen Ökonomie ständig vergessene konstante Kapitalteil wächst im Verhältnis zum variablen, in Löhnen verausgabten Teil beständig. Dies nur der kapitalistische Ausdruck der allgemeinen Wirkungen der zunehmenden Produktivität der Arbeit. Mit dem technischen Fortschritt vermag die lebendige Arbeit in immer kürzerer Zeit immer größere Massen Produktionsmittel in Bewegung zu setzen und zu Produkten zu verarbeiten. Kapitalistisch bedeutet dies eine fortschreitende Abnahme der Ausgaben für lebendige Arbeit, für Löhne, im Verhältnis zu Ausgaben für tote Produktionsmittel. Die erweiterte Reproduktion muß also nicht bloß entgegen der Smith-Ricardoschen Annahme jeweilig mit der Teilung des kapitalisierten Teils des Mehrwerts in konstantes und variables Kapital beginnen, sondern diese Teilung muß mit dem technischen Fortschritt der Produktion eine relativ immer größere Portion für den konstanten und eine relativ immer kleinere für den variablen Kapitalteil zuweisen. Dieser fortwährende qualitative Wechsel in der Zusammensetzung des Kapitals bildet die spezifische Erscheinungsform der Akkumulation des Kapitals, d.h. der erweiterten Reproduktion auf kapitalistischer Basis.34
Die andere Seite dieser beständigen Verschiebung im Verhältnis des konstanten zum variablen Kapitalteil ist das, was Marx die Bildung der relativen, d.h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssigen, daher überflüssigen oder Zuschuß-Arbeiterbevölkerung nennt. Die Produktion dieser stets vorrätigen Reserve nichtbeschäftigter Industriearbeiter (hier im weiteren Sinne, mit Einschluß der Proletarier, die unter dem Kommando des Handelskapitals stehen), die ihrerseits die notwendige Voraussetzung der plötzlichen Ausdehnungen der Produktion in den Zeiten der Hochkonjunktur bildet, ist in die spezifischen Bedingungen der Akkumulation des Kapitals eingeschlossen.35
Folgende vier Momente der erweiterten Reproduktion haben wir also aus der Akkumulation des Einzelkapitals abzuleiten:
1. Umfang der erweiterten Reproduktion ist in gewissen Grenzen unabhängig von dem Wachstum des Kapitals und kann über dasselbe hinausgehen. Die Methoden, die hierzu führen, sind: Erhöhung der Ausbeutung der Arbeitskraft und der Naturkräfte, Erhöhung der Produktivität der Arbeit (in letzterer eingeschlossen die Erhöhung der Wirksamkeit des fixen Kapitalteils).
2. Ausgangspunkt jeder wirklichen Akkumulation ist Teilung des zu kapitalisierenden Teils des Mehrwerts in konstantes und variables Kapital.
3. Die Akkumulation als gesellschaftlicher Prozeß wird begleitet von einer ständigen Verschiebung im Verhältnis des konstanten Kapitals zum variablen, wobei der in toten Produktionsmitteln ausgelegte Kapitalteil im Verhältnis zu dem in Löhnen ausgelegten ständig wächst.
4. Die andere Begleiterscheinung und Bedingung des Akkumulationsprozesses ist Bildung der industriellen Reservearmee.
Diese schon der Reproduktionsbewegung des Einzelkapitals abgewonnenen Momente sind ein enormer Schritt über die Analyse der bürgerlichen Ökonomie hinaus. Jetzt galt es aber, von der Bewegung des Einzelkapitals ausgehend, die Akkumulation des Gesamtkapitals darzustellen. Nach dem Schema der einfachen Reproduktion mußten nun auch für die erweiterte Reproduktion sowohl die Wertstandpunkte einer Mehrwertproduktion wie die sachlichen Gesichtspunkte des Arbeitsprozesses (Produktion von Produktionsmitteln und Produktion von Konsummitteln) unter dem Gesichtswinkel der Akkumulation miteinander in exakte Verhältnisse gebracht werden.
Der entscheidende Unterschied der erweiterten Reproduktion von der einfachen besteht darin, daß bei dieser der ganze Mehrwert von der Kapitalistenklasse nebst Anhang konsumiert wird, während bei jener ein Teil des Mehrwerts der persönlichen Konsumtion seiner Besitzer entzogen wird, jedoch nicht um aufgeschatzt, sondern um zum tätigen Kapital geschlagen, kapitalisiert zu werden. Damit jedoch letzteres auch wirklich stattfinden kann, ist erforderlich, daß das neue, zuschüssige Kapital auch die sachlichen Vorbedingungen seiner Betätigung vorfindet. Hier kommt also die konkrete Zusammensetzung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts in Betracht. Marx sagt schon im ersten Band des "Kapitals" bei der Betrachtung der Akkumulation des Einzelkapitals:
"Zunächst muß die Jahresproduktion alle die Gegenstände (Gebrauchswerte) liefern, aus denen die im Laufe des Jahres verbrauchten sachlichen Bestandteile des Kapitals zu ersetzen sind. Nach Abzug dieser bleibt das Netto- oder Mehrprodukt. worin der Mehrwert steckt. Und woraus besteht dies Mehrprodukt? Vielleicht in Dingen, bestimmt zur Befriedigung der Bedürfnisse und Gelüste der Kapitalistenklasse, die also in ihren Konsumtionsfonds eingehen? Wäre das alles, so würde der Mehrwert verjubelt bis auf die Hefen, und es fände bloß einfache Reproduktion statt.
Um zu akkumulieren, muß man einen Teil des Mehrprodukts in Kapital verwandeln. Aber, ohne Wunder zu tun, kann man nur solche Dinge in Kapital verwandeln, die im Arbeitsprozeß verwendbar sind, d.h. Produktionsmittel, und des ferneren Dinge, von denen der Arbeiter sich erhalten kann, d.h. Lebensmittel. Folglich muß ein Teil der jährlichen Mehrarbeit verwandt worden sein zur Herstellung zusätzlicher Produktions- und Lebensmittel, im Überschuß über das Quantum, das zum Ersatz des vorgeschossenen Kapitals erforderlich war. Mit einem Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält."36
Freilich genügen auch zuschüssige Produktionsmittel und zuschüssige Lebensmittel für die Arbeiter nicht, es sind noch zuschüssige Arbeitskräfte erforderlich, um die erweiterte Reproduktion in Fluß zu bringen. Diese Bedingung bietet aber nach Marx keine besondere Schwierigkeit. "Dafür hat der Mechanismus der kapitalistischen Produktion ebenfalls schon gesorgt, indem er die Arbeiterklasse reproduziert als vom Arbeitslohn abhängige Klasse, deren gewöhnlicher Lohn hinreicht, nicht nur ihre Erhaltung zu sichern, sondern auch ihre Vermehrung. Diese ihm durch die Arbeiterklasse auf verschiednen Altersstufen jährlich gelieferten zuschüssigen Arbeitskräfte braucht das