Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.auf auswärtigen Handel kommt nur auf die Ausflucht hinaus, die Schwierigkeit, der man in der Analyse begegnet ist, aus einem Lande in ein anderes zu verlegen, ohne sie aber zu lösen. Die Analyse des Reproduktionsprozesses bezieht sich überhaupt nicht auf ein einzelnes kapitalistisches Land, sondern auf den kapitalistischen Weltmarkt, für den alle Länder Inland sind. Marx hebt dies schon im ersten Bande des "Kapitals" bei der Behandlung der Akkumulation ausdrücklich hervor: "Es wird hier abstrahiert vom Ausfuhrhandel, vermittelst dessen eine Nation Luxusartikel in Produktions- oder Lebensmittel umsetzen kann und umgekehrt. Um den Gegenstand der Untersuchung in seiner Reinheit, frei von störenden Nebenumständen aufzufassen, müssen wir hier die gesamte Handelswelt als eine Nation ansehn und voraussetzen, daß die kapitalistische Produktion sich überall fortgesetzt und sich aller Industriezweige bemächtigt hat."44
Die Analyse bietet dieselbe Schwierigkeit, wenn wir die Sache noch von einer anderen Seite betrachten. In dem Marxschen Schema der Akkumulation ist vorausgesetzt, daß der zu kapitalisierende Teil des gesellschaftlichen Mehrwertes von vornherein in der Naturalgestalt zur Welt kommt, die seine Verwendung zur Akkumulation bedingt und gestattet: "Mit einem Wort: der Mehrwert ist nur deshalb in Kapital verwandelbar, weil das Mehrprodukt, dessen Wert er ist, bereits die sachlichen Bestandteile eines neuen Kapitals enthält."45 In den Ziffern des Schemas ausgedrückt:
I. 5.000 c + 1.000 v + 1.000 m = 7.000 Produktionsmittel. II. 1.430 c + 285 v + 285 m = 2.000 Konsummittel. |
Hier kann der Mehrwert im Betrage von 570 m kapitalisiert werden, denn er besteht von vornherein in Produktionsmitteln; dieser Menge Produktionsmittel entspricht aber eine überschüssige Menge von Lebensmitteln im Betrage von 114 m, zusammen also können 684 m kapitalisiert werden. Aber der hier angenommene Vorgang der einfachen Übertragung der entsprechenden Produktionsmittel in das konstante Kapital, der Lebensmittel in das variable Kapital widerspricht den Grundlagen der kapitalistischen Warenproduktion. Der Mehrwert kann, in welcher Naturalgestalt er auch stecken mag, nicht direkt zur Akkumulation in die Produktionsstätte übertragen, sondern er muß erst realisiert, in Geld ausgetauscht werden.46 Der Mehrwert des I im Belaufe von 500 könnte kapitalisiert werden, er muß aber zu diesem Zwecke erst überhaupt realisiert werden, er muß seine Naturalgestalt erst abstreifen und seine reine Wertgestalt annehmen, ehe er wieder zum produktiven Kapital geschlagen wird. Das bezieht sich auf jeden Einzelkapitalisten, trifft aber auch auf den gesellschaftlichen Gesamtkapitalisten zu, denn die Realisierung des Mehrwertes in reiner Wertgestalt ist eine der Grundbedingungen der kapitalistischen Produktion, und bei gesellschaftlicher Betrachtung der Reproduktion "muß man nicht in die von Proudhon der bürgerlichen Ökonomie nachgemachte Manier verfallen und die Sache so betrachten, als wenn eine Gesellschaft kapitalistischer Produktionsweise, en bloc, als Totalität betrachtet, diesen ihren spezifischen, historisch ökonomischen Charakter verlöre. Umgekehrt. Man hat es dann mit dem Gesamtkapitalisten zu tun."47 Der Mehrwert muß also unbedingt die Geldform passieren, er muß die Form des Mehrprodukts erst abstoßen, ehe er sie wieder zum Zwecke der Akkumulation annimmt. Was und wer sind aber die Abnehmer des Mehrprodukts von I und II? Um nur den Mehrwert von I und II zu realisieren, muß nach dem Vorhergehenden schon ein Absatz außerhalb I und II vorhanden sein. So wäre aber der Mehrwert erst in Geld verwandelt. Damit dieser realisierte Mehrwert auch noch zur Erweiterung der Produktion, zur Akkumulation verwendet werden kann, dazu ist eine Aussicht auf noch größeren künftigen Absatz erforderlich, der gleichfalls außerhalb I und II selbst liegt. Dieser Absatz für das Mehrprodukt muß also in jedem Jahre um die akkumulierte Rate des Mehrwertes wachsen. Oder umgekehrt: Die Akkumulation kann nur in dem Maße stattfinden, als Absatz außerhalb I und II wächst.
Achtes Kapitel.
Die Versuche der Lösung der Schwierigkeit bei Marx
Wir finden daß das völlige Absehen von der Geldzirkulation im Schema der erweiterten Reproduktion, das uns den Akkumulationsprozeß so glatt und einfach erscheinen ließ, zu großen Unzuträglichkeiten führt. Bei der Analyse der einfachen Reproduktion war dieses Verfahren vollkommen gerechtfertigt. Dort, wo die Produktion ausschließlich für die Konsumtion stattfand und auf sie berechnet war, diente das Geld nur als verschwindender Vermittler der Verteilung des gesellschaftlichen Produkts unter die verschiedenen Konsumentengruppen und der Erneuerung des Kapitals. Hier bei der Akkumulation spielt die Geldform eine wesentliche Funktion: Sie dient nicht mehr bloß als Vermittler in der Warenzirkulation, sondern als Erscheinungsform des Kapitals, als Moment in der Kapitalzirkulation. Die Verwandlung des Mehrwertes in Geldgestalt ist die wesentliche ökonomische Voraussetzung der kapitalistischen Akkumulation, wenn auch kein wesentliches Moment der wirklichen Reproduktion. Zwischen der Produktion und der Reproduktion liegen also hier zwei Metamorphosen des Mehrprodukts: die Abstoßung der Gebrauchsform und dann die Annahme der den Zwecken der Akkumulation entsprechenden Naturalform. Es kommt nicht darauf an, daß es sich etwa um Jahresabschnitte handelt, die zwischen den einzelnen Produktionsperioden lägen. Es seien unseretwegen Monate, oder die Metamorphosen einzelner Portionen des Mehrwertes in I und II mögen sich zeitlich in ihrer Reihenfolge kreuzen. Was diese Jahresfolgen in Wirklichkeit bedeuten, sind nicht Zeitabschnitte, sondern Reihenfolge ökonomischer Verwandlungen. Diese Reihenfolge muß aber eingehalten werden, ob sie kürzere oder längere Zeit beansprucht, soll der kapitalistische Charakter der Akkumulation eingehalten werden.
Wir kommen damit wieder auf die Frage: Wer realisiert den akkumulierten Mehrwert?
Marx fühlt selbst die Lücke in seinem äußerlich lückenlosen Schema der Akkumulation und faßt das Problem mehrfach von verschiedenen Seiten an. Hören wir zu:
"Es wurde in Buch I gezeigt, wie die Akkumulation für den einzelnen Kapitalisten verläuft. Durch die Versilberung des Warenkapitals wird auch das Mehrprodukt versilbert, in dem sich der Mehrwert darstellt. Diesen so in Geld verwandelten Mehrwert rückverwandelt der Kapitalist in zuschüssige Naturalelemente seines produktiven Kapitals. Im nächsten Kreislauf der Produktion liefert das vergrößerte Kapital ein vergrößertes Produkt. Was aber beim individuellen Kapital, muß auch erscheinen in der jährlichen Gesamtreproduktion, ganz wie wir gesehn bei Betrachtung der einfachen Reproduktion, daß der sukzessive Niederschlag - beim individuellen Kapital - seiner verbrauchten fixen Bestandteile in Geld, das aufgeschatzt wird, sich auch in der jährlichen gesellschaftlichen Reproduktion ausdrückt."48
Weiter untersucht Marx den Mechanismus der Akkumulation gerade von diesem Standpunkt. d.h. unter dem Gesichtswinkel, daß der Mehrwert, bevor er akkumuliert wird, die Geldform passieren muß:
"Wenn Kapitalist A z.B. während eines Jahrs oder einer größren Anzahl von Jahren die sukzessive von ihm produzierten Mengen von Warenprodukt verkauft, so verwandelt er auch damit den Teil des Warenprodukts, der Träger des Mehrwerts ist - das Mehrprodukt -, also den von ihm in Warenform produzierten Mehrwert selbst sukzessive in Geld, speichert dies nach und nach auf und bildet sich so potentielles neues Geldkapital; potentiell wegen seiner Fähigkeit und Bestimmung, in Elemente von produktivem Kapital umgesetzt zu werden. Tatsächlich aber vollzieht er nur einfache Schatzbildung, die kein Element der wirklichen Reproduktion ist. Seine Tätigkeit besteht dabei zunächst nur im sukzessiven Entziehn von zirkulierendem Geld aus der Zirkulation, wobei natürlich nicht ausgeschlossen ist, daß das zirkulierende Geld, das er so unter Schloß und Riegel sperrt, eben selbst noch - vor seinem Eintritt in die Zirkulation - Teil eines andern Schatzes war ...
Geld wird der Zirkulation entzogen und als Schatz aufgespeichert durch Verkauf der Ware ohne nachfolgenden Kauf. Wird diese Operation also als allgemein vorsichgehend aufgefaßt, so scheint nicht abzusehn, wo die Käufer herkommen sollen, da in diesem Prozeß - und er muß allgemein aufgefaßt werden, indem jedes individuelle Kapital sich in Akkumulationsprozedur befinden