Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.vorhanden, wäre z.B. das konstante Kapital in II (als Wertgröße) größer als (v + m) I, so könnte es nicht ganz in Produktionsmittel verwandelt werden, denn die Abteilung I hätte einen zu geringen Bedarf nach Lebensmitteln. Wäre das konstante Kapital II kleiner als (v + m) I, dann könnten die Arbeitskräfte dieser Abteilung nicht im früheren Umfang beschäftigt werden oder die Kapitalisten nicht ihren ganzen Mehrwert verzehren. In allen Fällen waren die Voraussetzungen der einfachen Reproduktion verletzt.
Diese Proportionen sind jedoch nicht bloße mathematische Übungen und auch nicht bloß durch die Warenform der Produktion bedingt. Um uns davon zu überzeugen, haben wir ein einfaches Mittel. Stellen wir uns für einen Augenblick statt der kapitalistischen die sozialistische Produktionsweise, also eine planmäßig geregelte Wirtschaft vor, in der gesellschaftliche Arbeitsteilung an Stelle des Austausches getreten ist. In dieser Gesellschaft gäbe es gleichfalls eine Einteilung der Arbeit in Produktion von Produktionsmitteln und in Produktion von Lebensmitteln. Stellen wir uns ferner vor, daß die technische Höhe der Arbeit es bedingt, daß zwei Drittel gesellschaftlicher Arbeit auf Herstellung von Produktionsmitteln, ein Drittel auf Verstellung von Lebensmitteln verwendet werden. Nehmen wir an, daß unter diesen Bedingungen zur Erhaltung des ganzen arbeitenden Teils der Gesellschaft jährlich 1.500 Arbeitseinheiten (Tage, Monate oder Jahre) genügen würden, und zwar nach Annahme: 1.000 davon in der Abteilung der Produktionsmittel, 500 in Lebensmitteln, wobei jedes Jahr Produktionsmittel aus früherer Arbeitsperiode vernutzt werden, die selbst das Produkt von 3.000 Arbeitseinheiten darstellen. Dieses Arbeitspensum genügt jedoch nicht für die Gesellschaft, denn die Erhaltung aller nichtarbeitenden (im materiellen, produktiven Sinne) Mitglieder der Gesellschaft - Kinder, Greise, Kranke, öffentliche Beamte, Künstler und Wissenschaftler - erfordert einen bedeutenden Zuschuß an Arbeit. Außerdem braucht jede Kulturgesellschaft zur Sicherung vor Notfällen elementarer Natur einen gewissen Assekuranzfonds. Nehmen wir an, daß die Erhaltung aller Nichtarbeitenden samt Assekuranzfonds genau noch einmal soviel Arbeit erfordert wie die eigene Erhaltung der Arbeitenden, also auch noch einmal soviel Produktionsmittel. Dann bekämen wir nach früher angenommenen Zahlen das folgende Schema einer geregelten Produktion
I. 4.000 c + 1.000 v + 1.000 m = 6.000 Produktionsmittel. II. 2.000 c + 500 v + 500 m = 3.000 Konsummittel. |
wobei c die verbrauchten sachlichen Produktionsmittel, ausgedrückt in gesellschaftlicher Arbeitszeit, bedeutet, v die zur eigenen Erhaltung der Arbeitenden, m die zur Erhaltung der Nichtarbeitenden nebst Assekuranzfonds gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ausdrückt.
Prüfen wir jetzt die Proportionen des Schemas nach, so erhalten wir folgendes: Warenproduktion, also auch Austausch, existiert hier nicht, wohl aber gesellschaftliche Arbeitsteilung. Die Produkte von I werden in erforderlichem Quantum den Arbeitenden in II zugewiesen, die Produkte von II werden allen Arbeitenden und Nichtarbeitenden (in beiden Abteilungen) sowie dem Assekuranzfonds zugewiesen - nicht weil hier Äquivalentaustausch vorgeht, sondern weil die gesellschaftliche Organisation planmäßig den Gesamtprozeß leitet, weil die bestehenden Bedürfnisse gedeckt werden müssen, weil die Produktion eben keinen anderen Zweck als die Deckung der gesellschaftlichen Bedürfnisse kennt.
Trotzdem behalten die Größenproportionen volle Gültigkeit. Das Produkt in I muß I c + II c gleichen; das bedeutet einfach, daß in der I. Abteilung alle von der Gesellschaft in ihrem jährlichen Arbeitsprozeß vernutzten Produktionsmittel jährlich erneuert werden müssen. Das Produkt II muß der Summe (v + m) I + (v + m) II gleichen; das bedeutet, daß an Lebensmitteln von der Gesellschaft jedes Jahr soviel hergestellt werden, wie es den Bedürfnissen aller ihrer arbeitenden und nichtarbeitenden Mitglieder entspricht, nebst Rücklagen für Versicherungsfonds.
Die Proportionen des Schemas erscheinen ebenso natürlich und notwendig in einer planmäßig geregelten wie in der kapitalistischen, auf Warenaustausch und Anarchie gegründeten Wirtschaftsweise. Damit ist die objektive gesellschaftliche Gültigkeit des Schemas erwiesen - ob es gleichwohl gerade als einfache Reproduktion sowohl in der kapitalistischen wie in der geregelten Gesellschaft nur theoretisch gedacht, in der Praxis nur ausnahmsweise vorkommen kann.
Versuchen wir jetzt in derselben Weise das Schema der erweiterten Reproduktion nachzuprüfen.
Stellen wir uns eine sozialistische Gesellschaft vor, und legen wir der Nachprüfung das Schema des zweiten Marxschen Beispiels zugrunde. Vom Standpunkt der geregelten Gesellschaft muß die Sache natürlich nicht von der Abteilung I, sondern von der Abteilung II angefaßt werden. Denken wir uns, daß die Gesellschaft rapid wächst, woraus sich ein wachsender Bedarf nach Lebensmitteln für Arbeitende und Nichtarbeitende ergibt. Dieser Bedarf steigt so rasch, daß - die Fortschritte der Produktivität der Arbeit vorläufig beiseite gelassen - eine stets wachsende Menge Arbeit zur Herstellung von Lebensmitteln notwendig wird. Die erforderliche Menge Lebensmittel, ausgedrückt in der in ihnen steckenden gesellschaftlichen Arbeit, steige von Jahr zu Jahr, sagen wir, im Verhältnis 2.000 - 2.215 - 2.399 - 2.600 usw. Um diese wachsende Menge Lebensmittel herzustellen, sei technisch eine wachsende Menge von Produktionsmitteln erforderlich, die, in gesellschaftlicher Arbeitszeit gemessen, im folgenden Verhältnis von Jahr zu Jahr wachse: 7.000 - 7.583 - 8.215 - 8.900 usw. Ferner sei, nach Annahme, zu dieser Erweiterung der Produktion eine jährliche Arbeitsleistung von 2.570 - 2798 - 3030 - 3284 (die Zahlen entsprechen den respektiven Summen von (v + m) I + (v + m) II) erforderlich. Und endlich sei die Verteilung der jährlich geleisteten Arbeit derart, daß die Hälfte davon jedesmal zur Erhaltung der Arbeitenden selbst, ein Viertel zur Erhaltung der Nichtarbeitenden, ein letztes Viertel zur Erweiterung der Produktion des nächsten Jahres verwendet werden. Wir erhalten dann für die sozialistische Gesellschaft die Proportionen des zweiten marxschen Schemas der erweiterten Reproduktion. In der Tat ist eine Erweiterung der Produktion in jeder Gesellschaft, so auch in der geregelten, nur dann möglich, 1. wenn die Gesellschaft über eine wachsende Anzahl Arbeitskräfte verfügt, 2. wenn die unmittelbare Erhaltung der Gesellschaft in jeder Arbeitsperiode nicht ihre ganze Arbeitszeit in Anspruch nimmt, so daß ein Teil der Zeit der Sorge für die Zukunft und ihre wachsenden Anforderungen gewidmet werden kann, 3. wenn von Jahr zu Jahr eine genügend zunehmende Menge von Produktionsmitteln angefertigt wird, ohne die eine fortschreitende Erweiterung der Produktion nicht bewerkstelligt werden kann.
Von diesen allgemeinen Gesichtspunkten behält also das Marxsche Schema der erweiterten Reproduktion - mutatis inutandis - seine objektive Gültigkeit auch für die geregelte Gesellschaft.
Prüfen wir jetzt die Gültigkeit des Schemas für die kapitalistische Wirtschaft. Hier haben wir vor allein zu fragen: Was ist der Ausgangspunkt für die Akkumulation? Von diesem Standpunkte haben wir die gegenseitige Abhängigkeit des Akkumulationsprozesses in beiden Abteilungen der Produktion zu verfolgen. Zweifellos ist auch kapitalistisch die Abteilung II insofern auf I angewiesen, als ihre Akkumulation an eine entsprechende Menge verfügbarer zuschüssiger Produktionsmittel gebunden ist. Umgekehrt ist die Akkumulation in der Abteilung I an eine entsprechende zuschüssige Menge von Lebensmitteln für zuschüssige Arbeitskräfte gebunden. Daraus folgt nun aber durchaus nicht, daß es genügt, beide Bedingungen einzuhalten, damit die Akkumulation in beiden Abteilungen auch tatsächlich vonstatten geht und von Jahr zu Jahr sich ganz automatisch vollzieht, wie das nach dem Marxschen Schema den Anschein hat. Die angeführten Bedingungen der Akkumulation sind eben nur Bedingungen, ohne die die Akkumulation nicht stattfinden kann. Auch der Wille zur Akkumulation mag in I wie in II vorhanden sein. Allein der Wille und die technischen Vorbedingungen der Akkumulation genügen in einer kapitalistischen Warenwirtschaft nicht. Damit tatsächlich akkumuliert, d.h. die Produktion erweitert wird, dazu ist noch eine andere Bedingung notwendig: eine Erweiterung der zahlungsfähigen Nachfrage nach Waren. Wo rührt nun die ständig wachsende Nachfrage her, die der fortschreitenden Erweiterung der Produktion im Marxschen Schema zugrunde liegt?
Soviel ist zunächst klar: Sie kann unmöglich von den Kapitalisten I und II selbst, d.h. von ihrem persönlichen Konsum herrühren. Im Gegenteil, die Akkumulation besteht gerade darin, daß sie einen - und zwar mindestens absolut wachsenden - Teil des Mehrwerts nicht selbst konsumieren, sondern dafür Güter schaffen, die von anderen verwendet werden. Die persönliche Konsumtion der Kapitalisten wächst zwar mit der Akkumulation, sie mag selbst dem verzehrten Wert nach wachsen. Immerhin ist es nur ein Teil des Mehrwerts, der für die Konsumtion der Kapitalisten