Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.welchem er einen Käufer für sie findet, bedarf. Er besitzt nicht mehr die Rohstoffe, welche oft von weit her bezogen werden müssen und welche er zur Ausführung seiner Arbeit bedarf. Noch weniger besitzt er die kostbaren Maschinen, welche seine Arbeit erleichtert und unendlich produktiver gemacht haben. Der Reiche, welcher diese Nahrungsmittel, diese Rohstoffe, diese Maschinen besitzt, kann sich selbst der Arbeit enthalten, da er ja in gewissem Sinne Herr der Arbeit dessen ist, dem er die Mittel zur Arbeit liefert. Als Entgelt für die Vorteile, welche er dem Arbeiter zur Verfügung gestellt hat, nimmt er für sich vorweg den größten Teil der Früchte der Arbeit." Dies ist der Kapitalgewinn. Das, was von dem Reichtum nach der zweimaligen Abschöpfung durch den Grundbesitzer und den Kapitalisten übrigbleibt, ist Arbeitslohn, Einkommen des Arbeiters. Und Sismondi fügt hinzu: "Er verzehrt es, ohne daß es sich erneuert." Sismondi stellt hier beim Lohn - ebenso wie bei der Rente - das Sich-nicht-wieder-Erneuern als das Merkmal des Einkommens - im Unterschied vom Kapital auf. Dies ist jedoch nur in bezug auf die Rente und den konsumierten Teil des Kapitalgewinns richtig; der als Lohn verzehrte Teil des gesellschaftlichen Produkts hingegen erneuert sich wohl: in der Arbeitskraft des Lohnarbeiters - für ihn selbst als die Ware, die er stets von neuem auf den Markt bringen kann, um von ihrem Verkauf zu leben, und für die Gesellschaft als die sachliche Gestalt des variablen Kapitals, die bei der jährlichen Gesamtreproduktion stets wiedererscheinen muß, wenn die Reproduktion nicht ein Defizit erleiden soll.
Doch so weit, so gut. Wir haben bis jetzt nur zwei Tatsachen erfahren: Die Produktivität der Arbeit erlaubt die Ausbeutung der Arbeitenden durch Nichtarbeitende. die Trennung der Arbeitenden von den Produktionsmitteln macht die Ausbeutung der Arbeitenden zur tatsächlichen Grundlage der Teilung des Einkommens. Was jedoch Einkommen, was Kapital ist, wissen wir noch immer nicht, und Sismondi geht daran, es aufzuklären. Wie es Leute gibt, die nur tanzen können, wenn sie von der Ofenecke aus anfangen, so muß Sismondi immer wieder von seinem Robinson den Anlauf nehmen. "In den Augen des Einzelmenschen ... war aller Reichtum nichts anderes als ein Vorrat, aufgesammelt für den Augenblick des Bedürfnisses. Indessen unterschied auch er schon zwei Dinge bei dieser Aufbewahrung; einen Teil, welchen er aufbewahrte, um ihn später für seinen unmittelbaren oder nahezu unmittelbaren Gebrauch zu verwenden, und einen anderen, den er bestimmt hatte zur Verwendung für eine neue Produktion. So sollte ein Teil seines Getreides ihn bis zur künftigen Ernte ernähren, ein anderer Teil, welchen er zur Aussaat bestimmt hatte, sollte im folgenden Jahre Frucht tragen. Die Bildung der Gesellschaft und die Einführung des Tausches gestattete fast bis ins unendliche die Vermehrung dieser Aussaat, dieses fruchtbringenden Teils des angesammelten Reichtums: Dies heißt man Kapital."
Dies heißt man nur Galimathias. Nach Analogie der Aussaat identifiziert hier Sismondi Produktionsmittel mit Kapital, was in zweifacher Hinsicht falsch ist. Erstens sind die Produktionsmittel nicht an sich, sondern nur unter ganz bestimmten historischen Verhältnissen Kapital, zweitens ist der Begriff des Kapitals mit Produktionsmitteln nicht erschöpft. In der kapitalistischen Gesellschaft - alles andere, was Sismondi außer acht gelassen, vorausgesetzt - sind Produktionsmittel nur ein Teil des Kapitals, nämlich konstantes Kapital.
Was Sismondi hier aus dem Konzept gebracht hat, ist offenbar der Versuch, den Begriff des Kapitals mit sachlichen Gesichtspunkten der gesellschaftlichen Reproduktion in Zusammenhang zu bringen. Solange er oben den Einzelkapitalisten im Auge hatte, zählte er als Bestandteile des Kapitals neben Produktionsmitteln auch die Lebensmittel des Arbeiters auf - was wiederum vom sachlichen Standpunkte der Reproduktion des Einzelkapitals schief ist. Sobald er dann den Versuch macht, die sachlichen Grundlagen der gesellschaftlichen Reproduktion ins Auge zu fassen und den Anlauf zur richtigen Unterscheidung zwischen Konsummitteln und Produktionsmitteln macht, zerrinnt ihm der Begriff des Kapitals unter den Händen.
Sismondi fühlt aber selbst, daß mit Produktionsmitteln allein weder Produktion noch Ausbeutung vonstatten gehen kann, ja, er hat das richtige Empfinden, daß der Schwerpunkt des Ausbeutungsverhältnisses gerade im Austausch mit der lebendigen Arbeitskraft liegt. Und nachdem er soeben das Kapital ganz auf konstantes Kapital reduziert hatte, reduziert er es im nächsten Augenblick ganz auf variables:
"Der Landbebauer, der alles Getreide zurückgelegt hatte, dessen er bis zur nächsten Ernte zu bedürfen glaubte, sah ein, daß es für ihn vorteilhafter wäre, den Überschuß seines Getreides dazu zu benutzen, um andere Menschen, die für ihn die Erde bearbeiteten und neues Getreide entstehen ließen, zu ernähren; ferner die, welche seinen Flachs spinnen und seine Wolle weben" usw. "Bei dieser Tätigkeit tauschte der Landbebauer einen Teil seines Einkommens gegen Kapital ein (so in der entsetzlichen Übersetzung des Herrn Prager; in Wirklichkeit muß es heißen: verwandelte einen Teil seines Einkommens in Kapital - R. L.), und so ist in der Tat der Vorgang, wie neues Kapital sich bildet.76 Das Korn, was er geerntet hatte über das hinaus, dessen er bei seiner eigenen Arbeit zur Ernährung bedurfte, und über das hinaus, was er aussäen mußte, um seinen Betrieb auf der alten Höhe zu erhalten, bildete einen Reichtum, welchen er fortgeben, verschwenden, im Müßiggang verbrauchen konnte, ohne dadurch ärmer zu werden, es war ein Einkommen, aber wenn er es nutzte zur Erhaltung von Neues schaffenden Arbeitern oder es eintauschte gegen Arbeit oder gegen die Früchte von Arbeit seiner Handarbeiter, seiner Weber, seiner Bergleute, wurde es zu einem dauernden Werte, der sich vermehrte und nicht untergehen konnte: Es wurde zum Kapital."
Hier läuft viel Krauses mit Richtigem kunterbunt durcheinander. Zur Erhaltung der Produktion auf alter Höhe, d.h. zur einfachen Reproduktion, scheint noch konstantes Kapital nötig zu sein, wenn dieses konstante Kapital seltsamerweise auch nur auf zirkulierendes (Aussaat) reduziert, die Reproduktion des fixen hingegen ganz vernachlässigt ist. Zur Erweiterung jedoch der Reproduktion, zur Akkumulation, ist auch das zirkulierende Kapital scheinbar überflüssig: Der ganze kapitalisierte Teil des Mehrwerts wird in Löhne für neue Arbeiter verwandelt, die offenbar in der Luft arbeiten, ohne jegliche Produktionsmittel. Dieselbe Ansicht formuliert Sismondi noch deutlicher an einer anderen Stelle: "Der Reiche sorgt also für das Wohl des Armen, wenn er an seinem Einkommen Ersparnisse macht und sie seinem Kapital hinzufügt, denn indem er selbst die Teilung der jährlichen Produktion vornimmt, bewahrt er alles das, was er Einkommen nennt. auf, um es selbst zu verbrauchen, dagegen überläßt er alles das, was er Kapital nennt, dem Armen als Einkommen." (l.c., Bd. I, S. 84.) Zugleich aber hebt Sismondi das Geheimnis der Plusmacherei und den Geburtsakt des Kapitals treffend hervor: Mehrwert entsteht aus dem Austausch von Kapital gegen Arbeit, aus dem variablen Kapital, Kapital entsteht aus der Akkumulation des Mehrwertes.
Bei alledem sind wir jedoch in der Unterscheidung von Kapital und Einkommen nicht viel vorwärtsgekommen. Sismondi macht jetzt den Versuch, die verschiedenen Elemente der Produktion und des Einkommens in entsprechenden Portionen des gesellschaftlichen Gesamtprodukts darzustellen: "Der Unternehmer ebenso wie der Landbebauer verwendet nicht seinen ganzen produktiven Reichtum auf die Aussaat; einen Teil verwendet er auf Gebäude, auf Maschinen, auf Werkzeuge, welche die Arbeit leichter und fruchttragender machen; ebenso wie ein Teil des Reichtums des Landbebauers den dauernden Arbeiten zufließt, welche den Boden fruchtbarer machen. So sehen wir die verschiedenen Arten des Reichtums entstehen und sich nach und nach trennen. Ein Teil des Reichtums, den die Gesellschaft aufgehäuft hat, wird von jedem seiner Inhaber dazu verwandt, die Arbeit lohnender zu machen dadurch, daß er nach und nach aufgezehrt wird, ferner dazu, den blinden Naturkräften die Arbeit des Menschen zu übertragen; dies nennt man das feststehende Kapital und versteht darunter den Neubruch, die Kanäle zur Bewässerung, die Fabriken und die Maschinen jeder Art. Ein anderer Teil des Reichtums ist dazu bestimmt, verzehrt zu werden, um sich in dem Werk, welches er geschaffen hat, zu erneuern, ohne Aufhören seine Gestalt zu wechseln, dabei aber seinen Wert zu bewahren; dieser Teil, den man das umlaufende Kapital nennt, begreift in sich die Aussaat, die zur Verarbeitung bestimmten Rohstoffe und die Löhne. Ein dritter Teil des Reichtums endlich löst sich von diesem zweiten ab: der Wert, um den das fertige Werk die darauf gemachten Vorschüsse übersteigt. Dieser Wert, welchen man das Einkommen von dem Kapital genannt hat, ist dazu bestimmt, ohne Wiedererzeugung verzehrt zu werden."
Nachdem so mit Mühe die Einteilung des gesellschaftlichen Gesamtprodukts nach den inkommensurablen Kategorien: fixes Kapital, zirkulierendes Kapital und Mehrwert, versucht worden ist, zeigt sich im nächsten Moment, daß Sismondi, wenn er vom fixen Kapital