Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.dieser gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die zu zahllosen privaten Austauschakten führt, bei denen das Zusammenfallen der Käufe mit Verkäufen der gegenseitigen Waren zu den seltensten Ausnahmefällen gehört. Die MacCullochsche simplistische Auffassung des Warenaustausches macht überhaupt die ökonomische Bedeutung und das historische Auftreten des Geldes ganz unbegreiflich, indem sie die Ware direkt zum Gelde macht, ihr unmittelbare Austauschbarkeit andichtet.
Sismondis Antwort ist nun allerdings ziemlich unbeholfen. Er führt uns, um die Untauglichkeit der MacCullochschen Darstellung des Warenaustausches für die kapitalistische Produktion darzutun, auf die Leipziger Büchermesse:
"Zu der Büchermesse in Leipzig kommen alle Buchhändler aus ganz Deutschland, jeder mit vier oder fünf Werken, die er ausgestellt hat, von denen jedes Werk in einer Auflage von 500 oder 600 Exemplaren gedruckt ist. Jeder von ihnen tauscht sie gegen andere Bücher ein und bringt 2.400 Bände nach Hause, wie er 2.400 mit zur Messe gebracht hat. Er hatte aber vier verschiedene Werke hingebracht und bringt 200 verschiedene heim. Das ist die korrelative und wandelbare Nachfrage und Produktion des Schülers Ricardo: Die eine kauft die andere, die eine bezahlt die andere, die eine ist die Folge der anderen, aber nach unserer Meinung, nach der Meinung des Buchhändlers und des Publikums, hat die Nachfrage und der Verbrauch noch nicht begonnen. Das schlechte Buch, wenn es auch in Leipzig getauscht worden ist, bleibt nichtsdestoweniger unverkauft (ein arger Irrtum von Sismondi dies! - R. L.), es wird nicht weniger die Regale des Buchhändlers füllen, sei es, daß niemand Bedarf nach ihm hat, sei es, daß der Bedarf bereits gedeckt ist. Die in Leipzig eingetauschten Bücher werden sich nur dann verkaufen, wenn die Buchhändler Privatleute finden, die sie nicht nur begehren, sondern die auch bereit sind, ein Opfer zu bringen, um sie aus dem Umlauf zu ziehen. Diese erst bilden eine wirkliche Nachfrage." Trotz seiner Naivität zeigt das Beispiel deutlich, daß Sismondi sich durch die Finte seines Widersachers nicht beirren läßt und weiß, worum es sich im Grunde genommen handelt.81
MacCulloch macht nun weiter einen Versuch, die Betrachtung vom abstrakten Warenaustausch zu konkreten sozialen Verhältnissen zu wenden: "Nehmen wir z.B. an, daß ein Landbebauer hundert Arbeitern Nahrung und Kleidung vorgeschossen hat und daß diese ihm Nahrungsmittel haben entstehen lassen, die für zweihundert Menschen ausreichend sind, während ein Fabrikant seinerseits hundert Arbeitern Nahrung und Kleidung vorgeschossen hat, für die ihm diese Kleidungsstücke für zweihundert Menschen angefertigt haben. Es wird dann dem Pächter nach Abzug der Nahrung und Kleidung für seine eigenen Arbeiter noch Nahrung für hundert andere zur Verfügung stehen, während der Fabrikant nach Ersatz der Kleidung seiner eigenen Arbeiter noch hundert Kleider für den Markt übrigbehält. In diesem Falle werden die beiden Artikel, der eine gegen den anderen, getauscht werden, die überschüssigen Nahrungsmittel bestimmen die Nachfrage nach den Kleidern, und die überschüssigen Kleider bestimmen die Nachfrage nach der Nahrung."
Man weiß nicht, was man mehr an dieser Hypothese bewundern soll: die Abgeschmacktheit der Konstruktion, die alle wirklichen Verhältnisse auf den Kopf stellt, oder die Ungeniertheit, mit der gerade alles, was zu beweisen war, in den Prämissen bereits vorausgeschickt ist, um hinterher als "bewiesen" zu gelten. Jedenfalls erscheint die Leipziger Büchermesse dagegen als das Muster einer tiefen und realistischen Denkweise. Um zu beweisen, daß für jede Sorte Waren jederzeit eine unumschränkte Nachfrage geschaffen werden könne, nimmt MacCulloch als Beispiel zwei Produkte, die zu den dringendsten und elementarsten Bedürfnissen jedes Menschen gehören: Nahrung und Kleidung. Um zu beweisen, daß die Waren in jeder beliebigen Menge ohne Rücksicht auf das Bedürfnis der Gesellschaft zum Austausch gebracht werden können, nimmt er ein Beispiel, wo zwei Produktenmengen von vornherein aufs Haar genau den Bedürfnissen angepaßt sind, wo also gesellschaftlich gar kein Überschuß vorhanden ist, nennt aber dabei die gesellschaftlich notwendige Menge einen "Überschuß" - nämlich gemessen an dem persönlichen Bedürfnis der Produzenten an ihrem eigenen Produkt - und weist so glänzend nach, daß jeder beliebige "Überschuß" an Waren durch einen entsprechenden "Überschuß" an anderen Waren zum Austausch gelangen kann. Um endlich zu beweisen, daß der Austausch zwischen verschiedenen privat produzierten Waren - trotzdem ihre Mengen, ihre Herstellungskosten, ihre Wichtigkeit für die Gesellschaft naturgemäß verschiedene sein müssen - dennoch zuwege gebracht werden könne, nimmt er als Beispiel von vornherein zwei genau gleiche Mengen Waren von genau gleichen Herstellungskosten und genau gleicher allgemeiner Notwendigkeit für die Gesellschaft. Kurz, um zu beweisen, daß in der planlosen kapitalistischen Privatwirtschaft keine Krise möglich, konstruiert er eine streng planmäßig geregelte Produktion, in der überhaupt keine Überproduktion vorhanden ist.
Der Hauptwitz des pfiffigen Mac liegt aber in anderem. Es handelt sich ja bei der Debatte um das Problem der Akkumulation. Was Sismondi plagte und womit er Ricardo und dessen Epigonen plagte, war folgendes: Wo findet man Abnehmer für den Überschuß an Waren, wenn ein Teil des Mehrwerts, statt von den Kapitalisten privat konsumiert zu werden, kapitalisiert, d.h. zur Erweiterung der Produktion über das Einkommen der Gesellschaft hinaus verwendet wird? Was wird aus dem kapitalistischen Mehrwert, wer kauft die Waren, in denen er steckt? So fragte Sismondi. Und die Zierde der Ricardoschule, ihr offizieller Vertreter auf dem Katheder der Londoner Universität, die Autorität für derzeitige englische Minister der liberalen Partei wie für die Londoner City, der herrliche MacCulloch, antwortete darauf, indem er ein Beispiel konstruiert, wo überhaupt gar kein Mehrwert produziert wird! Seine "Kapitalisten" plagen sich ja nur um Christi willen mit der Landwirtschaft und der Fabrikation: Das ganze gesellschaftliche Produkt nebst "Überschuß" reicht nur für den Bedarf der Arbeiter, für die Löhne hin, während der "Pächter" und der "Fabrikant" hungrig und nackend die Produktion und den Austausch dirigieren.
Sismondi ruft darauf mit berechtigter Ungeduld: "In dem Augenblick, in dem wir erforschen was aus dem Überschuß der Produktion über den Verbrauch der Arbeiter wird, darf man nicht von diesem Überschuß absehen, der den notwendigen Profit der Arbeit und den notwendigen Anteil des Arbeitgebers bildet."
Der Vulgarus jedoch potenziert seine Abgeschmacktheit weiter ins Tausendfache, indem er den Leser annehmen läßt, "daß es tausend Pächter gibt", die ebenso genial verfahren wie jener einzelne, und ebenfalls "tausend Fabrikanten". Natürlich verläuft wieder der Austausch glatt nach Wunsch. Endlich läßt er "infolge einer geschickteren Verwendung der Arbeit und Einführung von Maschinen" die Produktivität der Arbeit genau um das Doppelte zunehmen, und zwar in der Weise, daß "jeder der tausend Pächter, der seinen hundert Arbeitern die Nahrung und die Bekleidung vorschießt, gewöhnliche Nahrungsmittel für zweihundert Personen zurückerhält und außerdem Zucker, Tabak und Wein, die dieser Nahrung an Wert gleich sind", während jeder Fabrikant durch eine analoge Prozedur neben der bisherigen Menge Kleider für alle Arbeiter auch noch "Bänder, Spitzen und Batiste erhält, "die eine gleiche Summe zu produzieren kosten und die folglich einen tauschbaren Wert haben werden, der diesen zweihundert Bekleidungen gleich ist". Nachdem er so die geschichtliche Perspektive völlig umgekehrt und erst kapitalistisches Privateigentum mit Lohnarbeit, dann in einem späteren Stadium jene Höhe der Produktivität der Arbeit angenommen hat, die die Ausbeutung überhaupt ermöglicht, nimmt er nun an, diese Fortschritte der Produktivität der Arbeit vollzögen sich auf allen Gebieten in genau demselben Tempo, das Mehrprodukt jedes Produktionszweiges enthielte genau denselben Wert, es verteile sich auf genau dieselbe Anzahl Personen, alsdann läßt er die verschiedenen Mehrprodukte sich gegeneinander austauschen - und siehe da! alles tauscht sich wieder glatt und restlos zur allgemeinen Zufriedenheit aus. Dabei begeht Mac unter den vielen anderen auch noch die Abgeschmacktheit, seine " Kapitalisten", die bisher von der Luft lebten und im Adamskostüm ihren Beruf ausübten, nunmehr bloß von Zucker, Tabak und Wein sich ernähren und ihre Leiber bloß mit Bändern, Spitzen und Batisten schmücken zu lassen.
Doch der Hauptwitz liegt wiederum in der Pirouette, mir der er dem eigentlichen Problem ausweicht. Was wird aus dem kapitalisierten Mehrwert, d.h. aus dem Mehrwert, der nicht zur eigenen Konsumtion der Kapitalisten, sondern zur Erweiterung der Produktion verwendet wird? Das war die Frage. Und MacCulloch antwortet darauf, einmal, indem er überhaupt von der Mehrwertproduktion absieht, und zum anderen Mal - indem er den ganzen Mehrwert zur Luxusproduktion verwendet. Wer ist nun Abnehmer für die neue Luxusproduktion? Nach dem Beispiel MacCullochs offenbar eben die Kapitalisten (seine Pächter