Gesammelte Werke (Über 150 Titel in einem Band). Rosa Luxemburg
Читать онлайн книгу.href="#ulink_be111010-6d07-5f13-8bbd-e28f6d67bad5">119 Es kann sich also höchstens darum handeln, daß in demselben Maße wie in "ordinären Waren" ständig ein Zuviel, in feineren Waren für die Kapitalisten ständig ein Zuwenig sich herausstellt. Rodbertus kommt hier unversehens auf eigentümlichen Pfaden zu der von ihm so hitzig bekämpften Theorie Say-Ricardos: der Überproduktion auf der einen Seite entspräche stets die Unterproduktion auf der anderen. Und da die Wertanteile der Arbeiterklasse und der Kapitalisten sich ständig zuungunsten der ersteren verschieben, so würden unsere Handelskrisen im ganzen immer mehr den Charakter von periodischer Unterproduktion an Stelle von Überproduktion annehmen! Doch lassen wir diese Rätsel. Was aus alledem einleuchtet, ist, daß Rodbertus sich das Nationalprodukt dem Werte nach als lediglich zusammengesetzt aus zwei Teilen, aus v und m, denkt, darin also ganz die Auffassung und Überlieferung der klassischen Schule teilt, die er mit solcher Erbitterung bekämpft, verschönert noch um die Vorstellung. daß der ganze Mehrwert von den Kapitalisten konsumiert wird. Er spricht dies an mehreren Stellen mit dürren Worten aus, so im "Vierten socialen Brief": "Demgemäß muß man gerade, um zuvörderst das Prinzip der Rente (des Mehrwerts - R. L.) überhaupt, das Prinzip der Teilung des Arbeitsprodukts in Lohn und Rente, zu finden, von den Gründen abstrahieren, welche die Scheidung der Rente überhaupt in Grundrente und Kapitalrente veranlassen."120 Und im "Dritten [socialen] Brief": "Grundrente, Kapitalgewinn und Arbeitslohn, wiederhole ich, sind Einkommen. Grundbesitzer, Kapitalisten und Arbeiter wollen davon leben, d.h. ihre unmittelbaren menschlichen Bedürfnisse damit befriedigen. Die Güter, die im Einkommen bezogen werden, müssen also dazu brauchbar sein."121 Krasser ist die Verfälschung der kapitalistischen Wirtschaft in eine nur für die Zwecke der direkten Konsumtion bestimmte Produktion nirgends formuliert worden, und darin hat Rodbertus unzweifelhaft die Palme der " Priorität" - nicht sowohl vor Marx wie vor allen Vulgärökonomen. Um ja keinen Zweifel über diese seine Konfusion bei dem Leser zu lassen, stellt er in demselben Briefe etwas weiter den kapitalistischen Mehrwert als ökonomische Kategorie direkt mit dem Einkommen des antiken Sklavenhalters in eine Reihe: "Mit dem ersten Zustand (der Sklaverei - R. L.) ist die einfachste Naturalwirtschaft verbunden; es wird der Teil des Arbeitsprodukts, der dem Einkommen der Arbeiter oder Sklaven entzogen ist und das Eigentum des Herrn oder Besitzers ausmacht, ungeteilt als eine Rente dem einen Grund-, Kapital-, Arbeiter- und Arbeitsproduktbesitzer zufallen; es werden selbst nicht dem Begriffe nach Grundrente und Kapitalgewinn zu unterscheiden sein. - Mit dem zweiten Zustande ist die komplizierteste Geldwirtschaft gegeben; es wird der Teil des Arbeitsprodukts, der dem Einkommen jetzt der freien Arbeiter entzogen ist und auf den Grund- und Kapitalbesitz fällt, sich zwischen den Besitzern des Rohprodukts uni den Besitzern des Fabrikationsprodukts weiter teilen; es wird endlich die eine Rente des früheren Zustandes in Grundrente und Kapitalgewinn auseinanderfallen und zu scheiden sein."122 Den hervorstechendsten ökonomischen Unterschied zwischen der Ausbeutung unter der Herrschaft der Sklaverei und der modernen kapitalistischen Ausbeutung erblickt Rodbertus - in der Spaltung des "dem Einkommen" der Arbeiter "entzogenen" Mehrwerts in Grundrente und Kapitalgewinn. Nicht die spezifische historische Form der Teilung des Mehrwerts zwischen Arbeit und Kapital, sondern die für den Produktionsprozeß gleichgültige Teilung des Mehrwerts unter seine verschiedenen Nutznießer ist die entscheidende Tatsache der kapitalistischen Produktionsweise! Sonst bleibt der kapitalistische Mehrwert als Ganzes dasselbe, was "die eine Rente" des Sklavenhalters war: ein privater Konsumtionsfonds des Ausbeuters!
Freilich widerspricht sich Rodbertus auch wieder an anderen Stellen und erinnert sich an das konstante Kapital sowie die Notwendigkeit seiner Erneuerung im Reproduktionsprozeß. Er nimmt also statt der Zweiteilung des Gesamtprodukts in v + m die Dreiteilung in c + v + m an. In seinem "Dritten [socialen] Brief" führt er über die Reproduktionsformen der Sklavenwirtschaft aus: "Weil der Herr darauf halten wird, daß ein Teil der Sklavenarbeit darauf verwandt werde, die Felder, Herden und Werkzeuge in der Landwirtschaft und Fabrikation in gleichem Zustande zu erhalten oder auch zu verbessern, so wird das, was heute 'Kapitalersatz' genannt wird, sich so vollziehen, daß ein Teil des nationalen Produkts der Wirtschaft immer gleich unmittelbar und ohne Dazwischenkunft des Tausches und selbst des Tauschwerts zur Instandhaltung des Vermögens verwandt wird."123 Und zur kapitalistischen Reproduktion übergehend: "Es wird also jetzt ein Wertteil des Arbeitsprodukts zur Instandhaltung des Vermögens oder als 'Kapitalersatz' verwandt oder berechnet; es wird ein Wertteil des Arbeitsprodukts in dem Geldlohn der Arbeiter zum Unterhalt derselben verwandt, und es bleibt endlich ein Wertteil desselben in den Händen der Grund-, Kapital- und Arbeitsproduktbesitzer als deren Einkommen oder als Rente zurück."124
Hier haben wir ausdrücklich die Dreiteilung in konstantes Kapital, variables Kapital und Mehrwert, und ebenso formuliert er nochmals ausdrücklich in diesem "Dritten [socialen] Brief als Eigentümlichkeit seiner "neuen" Theorie. "Nachdem also diese Theorie, bei hinreichender Produktivität der Arbeit, denjenigen Teil des Produktwerts, der vom Kapitalersatz zum Einkommen übrigbleibt, infolge des Grund- und Kapitaleigentums unter Arbeiter und Besitzer als Lohn und Rente hat sich teilen lassen" usw.125 Rodbertus hat hier anscheinend einen entschiedenen Schritt in der Wertanalyse des Gesamtprodukts über die klassische Schule hinaus gemacht, ja, er kritisiert etwas weiter direkt das "Dogma" von Smith, und es bleibt nur, sich zu wundern, daß die gelehrten Bewunderer Rodbertus', die Herren Wagner, Dietzel, Diehl u. Co., verabsäumt haben, die " Priorität" ihres Lieblings vor Marx in einem so wichtigen Punkte der ökonomischen Theorie mir Beschlag zu belegen. - In Wirklichkeit sieht es mit der Priorität hier genauso windig aus wie in der Werttheorie überhaupt. Auch dort, wo Rodbertus anscheinend zu einer richtigen Einsicht gelangt, stellt sich dies im nächsten Augenblick als ein Mißverständnis oder mindestens eine Schiefheit heraus. Wie wenig Rodbertus tatsächlich mit der Dreiteilung des Nationalprodukts anzufangen wußte, zu der er sich vorwärtsgetastet hatte, beweist gerade am besten seine Kritik an dem Smithschen Dogma, die wörtlich so lautet: "Sie wissen, daß alle Nationalökonomen schon seit Ad. Smith den Wert des Produkts in Arbeitslohn, Grundrente und Kapitalgewinn zerfallen lassen und daß also die Idee, das Einkommen der verschiedenen Klassen und namentlich auch die Rententeile auf eine Teilung des Produkts zu gründen, nicht neu ist. Allein sofort geraten die Nationalökonomen auf Abwege. Alle - selbst nicht mit Ausnahme der Ricardoschen Schule - begehen zuvörderst den Fehler, nicht das ganze Produkt, das vollendete Gut, das ganze Nationalprodukt als Einheit aufzufassen, an der Arbeiter, Grundbesitzer und Kapitalisten partizipieren, sondern die Teilung des Rohprodukts als eine besondere Teilung, an der drei Teilnehmer, und die Teilung des Fabrikationsprodukts wieder als eine besondere Teilung aufzufassen, an der nur zwei Teilnehmer partizipieren. So sehen diese Systeme schon das bloße Rohprodukt und das bloße Fabrikationsprodukt jedes für sich als ein besonderes Einkommensgut an. - Sie begehen dann zweitens - hier indessen mit Ausnahme Ricardos und auch Smith' - den Fehler, daß sie die natürliche Tatsache, daß die Arbeit ohne Mitwirkung der Materie, also ohne den Boden, kein Gut produzieren kann, für eine wirtschaftliche und die gesellschaftliche Tatsache, daß in Teilung der Arbeit das Kapital im heutigen Sinne dazu gebraucht wird, für eine ursprüngliche halten. So fingieren sie ein wirtschaftliches Grundverhältnis, auf welches sie, bei dem geteilten Besitz des Bodens, des Kapitals und der Arbeit in der Gesellschaft, auch die Anteile dieser verschiedenen Besitzer in der Weise zurückführen, daß die Grundrente aus der Mitwirkung des Bodens, den der Grundbesitzer zur Produktion hergebe, der Kapitalgewinn aus der Mitwirkung des Kapitals, das der Kapitalist dazu verwende, und der Lohn endlich aus der Mitwirkung der Arbeit entspringe. Die Saysche Schule, welche diesen Irrtum am feinsten ausgesponnen hat, schafft sich sogar den Begriff eines dem Produktanteil jener verschiedenen Besitzer entsprechenden Produktivdienstes des Bodens, des Kapitals und der Arbeit, um aus solchem Produktivdienst wieder den Produktanteil zu erklären. - Hieran schließt sich endlich drittens sogar die Ungereimtheit, daß, während doch Arbeitslohn und Rententeile aus dem Werte des Produkts abgeleitet werden, doch wieder der Wert des Produkts aus Arbeitslohn und Rententeilen abgeleitet und so wechselseitig das eine auf das andere basiert