Deutsche Geschichte. Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte - Ricarda Huch


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aber mehr plump und breit­ge­sich­tig sind. Doch sind Frie­sen und Sach­sen an der Nord­see so in­ein­an­der über­ge­gan­gen, dass eine ge­naue Schei­dung nicht mög­lich ist. Noch jetzt gibt es in Dith­mar­schen, über­haupt an der Elb­mün­dung jun­ge Men­schen von leuch­ten­der Schön­heit, alte Men­schen voll Tief­sinn und Wür­de, mit fes­ten, mar­kan­ten Zü­gen, so wie man sich ger­ma­ni­schen Adel vor­stellt. Bei ih­nen er­hiel­ten sich alt­ger­ma­ni­sche Sit­ten und Zu­stän­de zum Teil so, wie sie Ta­ci­tus ge­schil­dert hat. Sie ge­hör­ten ur­sprüng­lich zur Graf­schaft Sta­de und mit ihr spä­ter zum Erz­bis­tum Bre­men. Als sie 1227 in der Schlacht von Born­hö­ve­de, durch wel­che die Herr­schaft der Dä­nen in Nie­der­sach­sen ge­bro­chen wur­de, den Aus­schlag zum Sie­ge ga­ben, be­dan­gen sie sich vom Erz­bi­schof aus, dass er ihre Lan­des­frei­heit un­an­ge­tas­tet las­se, so­dass sie sa­gen konn­ten, sie sei­en dem Erz­stift ver­wandt und zu­ge­tan, nicht ihm un­ter­wor­fen. Es war der­sel­be Erz­bi­schof Ger­hard II., der die Ste­din­ger ver­nich­te­te. Die Dith­mar­scher be­hiel­ten ihre Selbst­ver­wal­tung. Die fünf Vög­te, durch die der Erz­bi­schof sei­ne In­ter­es­sen im Lan­de wahr­neh­men ließ, wur­den aus den be­gü­ter­ten Land­be­sit­zern Dith­mar­schens ge­wählt, und die ent­schei­den­de Stim­me hat­te die u­ni­ver­si­tas ter­rae Dith­mar­siae, die Lan­des­ge­mein­de, die sich in Mel­dorf, der ein­zi­gen Stadt, ver­sam­mel­te. Spä­ter kam Lun­den, als zwei­te Stadt, dazu. Ihre Pfar­rer be­stell­ten die Dith­mar­scher selbst; es galt das ger­ma­ni­sche Ei­gen­kir­chen­recht, nicht in dem Sin­ne, dass die Kir­che ih­rem Stif­ter ge­hör­te, son­dern so, dass die Ge­mein­de die kirch­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten selbst ver­wal­te­te. Das gan­ze Land war in Kirch­spie­le ein­ge­teilt, zu­gleich po­li­ti­sche und kirch­li­che Be­zir­ke; dar­un­ter wa­ren Mel­dorf, Bü­sum, Wes­sel­bu­ren.

      Es ist im­mer auf­ge­fal­len, dass im frie­sisch-säch­si­schen Recht, in frie­sisch-säch­si­scher Ei­gen­art, im All­ge­mei­nen in der Frei­heits­lie­be und de­mo­kra­tisch-ari­sto­kra­ti­schen Ge­sin­nung Ähn­lich­keit mit den Schwei­zern be­steht, was sich auch dar­aus er­klä­ren lie­ße, dass, wie be­haup­tet wird, so­wohl Frie­sen und Sach­sen wie Ale­man­nen von den Sue­ven ab­stam­men. In­des­sen die Ver­schie­den­heit ist eben­so groß wie die Ähn­lich­keit, wie denn auch das Er­geb­nis der Frei­heits­kämp­fe am Meer und in den Al­pen ein ver­schie­de­nes war. Die Frei­heits­kämp­fe der Meer­frie­sen und Meer­sach­sen ha­ben et­was von der Wild­heit ei­nes Lö­wen, der sich in sei­nem Reich ge­wal­tig ver­tei­digt; wagt sich ei­ner hin­ein, so zer­malmt ihn die kö­nig­li­che Tat­ze, und die Sei­nen müs­sen froh sein, wenn sie den blu­ti­gen Leich­nam heim­tra­gen dür­fen. Da fie­len Kö­nig Wil­helm von Hol­land und vie­le an­de­re hol­län­di­sche Gra­fen, da fie­len Gra­fen von Ol­den­burg, da fiel Her­zog Ger­hard VI. von Schles­wig-Hol­stein und man­cher an­de­re. Sie foch­ten kaum an­de­re als Ver­tei­di­gungs­schlach­ten und die­se mit nai­ver Groß­ar­tig­keit. Sie hat­ten kei­ne ein­zi­ge be­fes­tig­te Stadt; ihre Wäl­le wa­ren die Sümp­fe und Moo­re, die ihr Ge­biet um­ge­ben, die sie etwa durch Ver­schan­zun­gen noch un­durch­dring­li­cher mach­ten. Sie schütz­ten sich auch per­sön­lich nicht durch Har­ni­sche; die Na­tur ih­res Lan­des und ihre furcht­lo­se Tap­fer­keit, ihr Glau­ben an das Recht ih­rer Frei­heit wa­ren die Mit­tel ih­rer Sie­ge. Die von der Na­tur ge­ge­be­ne Grund­la­ge ih­rer Frei­heit aus­zu­bau­en, sich mit Glei­ches er­stre­ben­den Nach­barn zu ver­stän­di­gen, dazu fehl­te es ih­nen an staats­män­ni­scher Ge­sin­nung. Es war ih­nen wich­ti­ger, un­be­hel­ligt zu blei­ben, als sich in ihre Um­welt ein­zu­glie­dern. Sie wa­ren noch im­mer am liebs­ten al­lein auf ih­rem Hof mit dem wie eine Ad­ler­schwin­ge schir­men­den Dach un­ter al­ten Eschen und Er­len. Vi­el­leicht war es ge­ra­de die Ge­schlech­ter­ver­fas­sung, die den ein­zel­nen fest an sein Ge­schlecht band, einen ein­zel­nen ohne Ge­schlecht über­haupt nicht kann­te, die den Ge­mein­sinn, der zur Staa­ten­bil­dung führt, we­ni­ger auf­kom­men ließ. Nie­mals schlos­sen sie Bünd­nis­se mit den großen Han­dels­städ­ten, die an ih­ren Gren­zen la­gen, Ham­burg, Bre­men, ob­wohl sie ge­mein­sa­me In­ter­es­sen im Kamp­fe ge­gen die­sel­ben Fürs­ten nicht sel­ten ge­habt hät­ten. Die Bre­mer sa­hen in den Frie­sen, nicht durch­aus mit Un­recht, See­räu­ber, die Frie­sen ga­ben ih­nen die Ge­ring­schät­zung zu­rück. Zwei frie­si­sche Brü­der, Did­de und Ge­rolt, soll­ten in Bre­men hin­ge­rich­tet wer­den, weil sie eine Burg hat­ten zer­stö­ren wol­len, mit der die Bre­mer frie­si­sche Nach­barn zu be­herr­schen ge­dach­ten. Nach­dem Did­des Haupt ge­fal­len war, er­griff es Ge­rolt und küss­te den to­ten Mund. Als von die­ser Ge­bär­de ge­rührt die Rats­her­ren ihm das Le­ben schen­ken woll­ten, wenn er ein Mäd­chen aus der Stadt hei­ra­te­te, sag­te Ge­rolt: »Ich bin ein ed­ler frei­er Frie­se und will lie­ber ster­ben, als ei­nes Pel­zers oder Schuh­ma­chers Toch­ter zur Frau neh­men«, und ließ sich den Kopf ab­schla­gen. So er­zählt die Über­lie­fe­rung. Die Dith­mar­scher tra­ten zwar vor­über­ge­hend mit Ham­burg, Bre­men und Lü­ne­burg in Ver­bin­dung, än­der­ten auch mit ih­rem Bei­stand im An­fang des 15. Jahr­hun­derts ihre Ver­fas­sung im Sin­ne ei­ner Stär­kung der Zen­tral­ge­walt, aber eine Ei­nung von Dau­er kam nicht zu­stan­de. Der Stadt Ham­burg nah­men es die Dith­mar­scher, de­ren haupt­säch­li­cher Feind ihr Nach­bar, der Graf von Hol­stein war, sehr übel, dass sie es mit Hol­stein ge­gen Dä­ne­mark hielt. Sie zo­gen die Ver­bin­dung mit Dä­ne­mark im­mer ei­ner sol­chen mit dem ge­hass­ten Hol­stein vor, ha­ben ja auch spä­ter zu Dä­ne­mark ge­hört.

      Die Frie­sen hat­ten einen Mit­tel­punkt in der Lan­des­ver­samm­lung am Up­stals­boom in der Nähe von Au­rich, wo die Ab­ge­ord­ne­ten von West- und Ost­fries­land zu­sam­men­ka­men; aber schon im drei­zehn­ten Jahr­hun­dert hör­te das auf. We­gen des feh­len­den Sin­nes für Staa­ten­bil­dung und wohl aus geo­gra­fi­schen Grün­den ist im Mit­tel­al­ter eine nor­di­sche Schweiz nicht ent­stan­den. Un­ver­gäng­lich ist den­noch der Ruhm der großen Frei­heits­schlach­ten, wenn sie auch wie Ko­me­ten, au­ßer­halb der Him­mels­ord­nung, mäch­tig leuch­tend vor­über­gin­gen, der Schlacht bei Ol­den­wöhr­den, der Schlacht an der Ham­me, bei Hem­mings­tedt und man­cher an­de­ren, in de­nen bar­fü­ßi­ge Bau­ern ge­har­nisch­te Rit­ter de­mü­tig­ten.

      Wie die Ge­schich­te des Mit­tel­al­ters vor­wie­gend eine Ge­schich­te des Adels, so wa­ren sei­ne Schlach­ten sol­che des Adels. Sie gli­chen Tur­nie­ren, bei de­nen es ja auch oft Tote gab, und bei de­nen die For­de­run­gen der Ehre eine große Rol­le spiel­ten. Mit dem Vor­wurf der Feig­heit ließ sich al­les durch­set­zen, kei­ne Grün­de ka­men da­ge­gen auf. In der Schlacht bei Haus­ber­gen war die Über­zahl der Straß­bur­ger so groß, dass die bi­schöf­li­chen Rit­ter den un­glück­li­chen Aus­gang vor­aus­sa­hen; da der Bi­schof sie fei­ge schalt, gin­gen sie ohne Wan­ken in den Tod. Die Zahl der Kämp­fen­den war klein; Ru­dolf von Habs­burg soll ge­sagt ha­ben, mit 4000 aus­er­le­se­nen Rei­tern und 40 000 Mann zu Fuß wür­de er von der gan­zen Welt un­be­sieg­bar sein. In der eben an­ge­führ­ten Schlacht bei Haus­ber­gen zwi­schen dem Bi­schof von Straß­burg, Wal­ter von Ge­rold­seck und der Stadt Straß­burg, mit wel­cher sie sich im Jah­re 1262 die Un­ab­hän­gig­keit er­kämpf­te, fie­len auf sei­ten des Bi­schofs 60 Rit­ter und Edel­leu­te, auf sei­ten der Stadt ein ein­zi­ger Bür­ger. Die Sie­ger tru­gen 76 Ge­fan­ge­ne da­von; des Lö­se­gel­des


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