Deutsche Geschichte. Ricarda Huch

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Deutsche Geschichte - Ricarda Huch


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hat­ten, in einen Zie­gel­ofen wer­fen und ver­bren­nen ließ, wäh­rend die rit­ter­li­chen Ge­fan­ge­nen in der üb­li­chen stan­des­ge­mä­ßen Ge­fan­gen­schaft ge­hal­ten wur­den. Die­se düs­te­ren Fra­gen könn­ten nur durch den Glau­ben an eine über­ir­di­sche Klar­heit, in der Men­sche­nirr­sal mün­det, ge­löst wer­den.

      Am Tage der Un­garschlacht im Jah­re 955 er­ho­ben sich die ver­schie­de­nen Ab­tei­lun­gen des kö­nig­li­chen Hee­res bei Mor­gen­grau­en, alle ga­ben sich ge­gen­sei­tig den Frie­dens­kuss, schwu­ren erst ih­rem Füh­rer, dar­auf ei­ner dem an­de­ren treu­en Bei­stand und zo­gen dann aus dem La­ger dem Feind ent­ge­gen. Als die Va­sal­len des Kö­nigs Het­tel von He­ge­lin­gen sich an­schick­ten, übers Meer nach Ir­land zu fah­ren, um die Toch­ter Ha­gens für ih­ren Her­ren zu frei­en, schwu­ren sie ein­an­der mit ge­stab­ten Ei­den treu­en Bei­stand. Im An­ge­sicht ei­ner großen Ge­fahr pfleg­ten ger­ma­ni­sche Män­ner ihr Zu­sam­men­wir­ken durch einen Schwur zu hei­li­gen und nann­ten das eine Schwur­ge­nos­sen­schaft oder Eid­ge­nos­sen­schaft. Das ta­ten auch ei­ni­ge Män­ner aus den klei­nen Län­dern Schwyz, Uri und Un­ter­wal­den an ei­nem durch die Reuß ge­bil­de­ten See im obe­ren Schwa­ben, als sie ihre Frei­heit be­droht glaub­ten. Es war ein alt­ger­ma­ni­scher Brauch, den sie üb­ten, und mit den al­ten Ger­ma­nen hat­te dies Berg­volk mehr Ver­wandt­schaft als mit den kir­chen­treu­en Chris­ten ih­rer Tage. Es ist bei ih­nen nicht viel die Rede von Ge­bet, von Stif­tung und Hei­lig­tü­mern, und wenn sie sich beu­gen, tun sie es mit dem Vor­be­halt trot­zi­gen und un­ge­stü­men Wi­der­stan­des so­wie die Ge­le­gen­heit es er­mög­licht. Dass spä­te­re Ge­schicht­schrei­ber sie von den Schwe­den oder Sach­sen ab­lei­te­ten, mö­gen sie zum Teil im Ge­fühl für das Nor­disch-Heid­nische ge­tan ha­ben, das die­sen bäu­er­li­chen Hero­en ei­gen war. Söh­ne des Gott­hard wa­ren sie, der selbst wie ein al­ter Gott über Ber­gen und Tä­lern la­gert, das Haupt von Wol­ken und Win­den um­kreist, wohl­tä­ti­ge Strö­me den Men­schen, die ihm die­nen, her­ab­las­send. Wie mit ei­nem Gott müs­sen die, die an sei­nem Fuße woh­nen, mit ihm rin­gen, be­vor er sie seg­net; wenn sie sich ver­we­gen und furcht­los er­wei­sen, sind sie sein Volk und ha­ben teil an sei­nem ele­men­ta­ren We­sen. Sie sind ein Ge­schlecht von Rie­sen, die der La­wi­nen und Blö­cke, die ihr wil­der al­ter Gott ins Tal rollt, nicht ach­tend über za­cki­gen Gra­nit schrei­ten und Fein­de, die sich in ih­ren hei­mi­schen Be­zirk wa­gen, mit ge­schleu­der­ten Fel­sen ver­trei­ben. Aber wenn sie Rie­sen wa­ren, so wa­ren sie doch nicht ein­fäl­ti­gen oder plum­pen Geis­tes; sie konn­ten ihre po­li­ti­sche Lage mit je­dem Vor­teil und Nach­teil be­ur­tei­len und die Um­stän­de des Ge­sche­hens in Nähe und Fer­ne be­rech­nen und be­nüt­zen.

      Die bei­den Län­der Schwyz und Uri wa­ren über­wie­gend von Ad­li­gen und frei­en Leu­ten be­wohnt, die sich nach alt­ger­ma­ni­scher Auf­fas­sung kaum vom Adel un­ter­schie­den. Das Länd­chen Uri war ein Teil der Aus­stat­tung, mit der im Jah­re 853 Kö­nig Lud­wig der Deut­sche sei­ne Toch­ter Hil­de­gard be­schenkt hat­te, als er in der Nähe der kö­nig­li­chen Pfalz auf dem Lin­den­ho­fe beim Orte Zü­rich ein Klos­ter grün­de­te und sie zur Äb­tis­sin des­sel­ben mach­te. Wie für alle Klös­ter wur­de auch für die Ab­tei Frau­müns­ter ein Vogt be­stellt, der die hohe Ge­richts­bar­keit über das klös­ter­li­che Ge­biet führ­te; mit dem Ende des 11. Jahr­hun­derts kam die Schirm­vog­tei an die Her­zö­ge von Zäh­rin­gen. Der Um­stand, dass die durch die Im­mu­ni­tät aus dem Ge­samt­ver­ban­de ge­lös­ten Län­der un­ter der­sel­ben Ge­richts­bar­keit stan­den, dass die Be­woh­ner Mark­ge­nos­sen an der­sel­ben All­men­de wa­ren, das Zu­sam­men­ge­drängt­sein na­ment­lich im sel­ben Tale, das Um­schlos­sen­sein von den­sel­ben Ber­gen nähr­te in den Leu­ten von Uri das Ge­fühl, ein Gan­zes, eine Ge­mein­de aus­zu­ma­chen: im Be­ginn des 13. Jahr­hun­derts nann­ten sie sich die U­ni­ver­si­tas ho­mi­num val­lis Uro­niae. Das Aus­ster­ben der Zäh­rin­ger im Jah­re 1218 be­frei­te die Ge­mein­de Uri von der Ge­fahr, Un­ter­ta­nen die­ses Hau­ses zu wer­den; aber eine neue er­hob sich, als Fried­rich II. die Vog­tei dem Gra­fen Ru­dolf dem Äl­te­ren von Habs­burg ver­pfän­de­te. Wenn schon die Vög­te fast im­mer da­nach trach­te­ten, das Land, dem sie als Rich­ter vor­stan­den, in ih­ren erb­li­chen Be­sitz zu brin­gen, so gab sich die Ge­le­gen­heit zu sol­cher Ver­ge­wal­ti­gung vollends bei Ver­pfän­dun­gen. Die Ur­ner such­ten so­fort sich der Sch­lin­ge zu ent­zie­hen, die ih­rer Frei­heit ge­legt war, und sie hat­ten Glück: Hein­rich VII., des Kai­sers jun­ger Sohn, den er zu sei­nem Stell­ver­tre­ter in Deutsch­land er­nannt hat­te, er­klär­te ih­ren Bo­ten zu Ha­genau im El­saß, dass er die Vog­tei zu­rück­ge­kauft habe und dass er die Män­ner des Ta­les Uri nie­mals dem Reich ent­frem­den wer­de. Mit die­sem Brief des un­glück­li­chen jun­gen Kö­nigs er­hiel­ten die Ur­ner die Be­glau­bi­gung ih­rer Reichs­frei­heit, die ih­nen nie be­strit­ten wur­de. Die Vog­tei wur­de künf­tig von Amt­män­nern aus ih­rer Mit­te aus­ge­übt, die nach ei­ni­ger Zeit Lan­dammän­ner hie­ßen. Seit dem Jah­re 1243 gab das Land sei­ner Selbst­stän­dig­keit da­durch Aus­druck, dass es ein ei­ge­nes Sie­gel führ­te.

      Auch Schwyz, das da­mals aus dem Fle­cken Schwyz und dem Dorf Stei­nen be­stand, wur­de haupt­säch­lich von Frei­en be­wohnt; doch gab es da­zwi­schen auch ei­ge­ne Leu­te ver­schie­de­ner Dy­nas­ten und Klös­ter. Die Ge­richts­ho­heit über Schwyz hat­ten als Land­gra­fen vom Zü­rich­gau die Gra­fen von Lenz­burg und, nach­dem die­se aus­ge­stor­ben wa­ren, die Gra­fen von Habs­burg. Von die­ser Fa­mi­lie, die zu ih­rem Ei­gen­be­sitz an der Aare ver­schie­de­ne Gü­ter des Gra­fen von Lenz­burg hin­zu­ge­erbt hat­te, war vor­aus­zu­set­zen, dass sie ver­su­chen wür­de, das land­gräf­li­che Amt in eine Herr­schaft um­zu­wan­deln, die frei­en Schwy­zer zu Un­ter­ta­nen zu ma­chen. Das Bei­spiel von Uri wies den Schwy­zern den Aus­weg aus der sich bil­den­den Klam­mer: ein­zig die Reichs­frei­heit gab Si­cher­heit vor der Un­ter­wer­fung un­ter eine Dy­nas­tie. Aus der an­schwel­len­den Flut der Feu­da­li­tät rag­te der Kai­ser als ein Fels der al­ten Volks­frei­heit, er hand­hab­te sein Zep­ter wie einen Zau­ber­stab, mit dem er die Über­schwem­mung vor de­nen zum Ste­hen brin­gen konn­te, die sich ihm er­ga­ben, und die er an­nahm. Wür­de er die Män­ner von Schwyz be­gna­den, Fried­rich II., der Rät­sel­haf­te, der Schreck­li­che, der eben sei­ne gan­ze Kraft auf­bot, um den Papst zu ver­nich­ten? In die­sem Kampf, der das Abend­land er­schüt­ter­te, er­späh­ten die auf­merk­sam be­ob­ach­ten­den Män­ner von Schwyz einen An­lass. Graf Ru­dolf von Habs­burg-Lau­fen­burg näm­lich, der die Land­graf­schaft in­ne­hat­te, stell­te sich auf die Sei­te des Paps­tes, wur­de so­mit Feind des Kai­sers, der gern dazu bei­tra­gen wür­de, den Ab­trün­ni­gen zu schwä­chen. Man weiß nicht, wie die Män­ner hie­ßen, die den schick­sal­vol­len Weg über das Ge­bir­ge an­tra­ten, um dem Kai­ser ihr An­lie­gen vor­zu­tra­gen. Es ist an­zu­neh­men, dass sie vor­her sich mit de­nen von Uri be­spra­chen; dann stie­gen sie mit fes­ten lan­gen Schrit­ten die Schöl­le­nen hin­auf, an der to­ben­den Reuß ent­lang, über die stie­ben­de Brücke, die seit ei­ner Rei­he von Jah­ren den Fel­sen um­ging, den jetzt das Ur­ner Loch durch­bohrt, und über den wil­den Gott­hard zum Sü­den hin­un­ter. Vor Faen­za fan­den sie den Kai­ser. Stau­nend be­trach­te­ten sie wohl die Mau­ern, die der Ge­wal­ti­ge hat­te auf­rich­ten las­sen, um die tap­fer sich weh­ren­de Stadt ab­zu­sper­ren, die nie ge­se­he­nen


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