Deutsche Geschichte. Ricarda Huch
Читать онлайн книгу.große Idee in der Geschichte verwirklicht. Darin, dass ihre Bündnisse und Schlachten eine Folge hatten und eine Folge bezweckten, unterschieden sie sich von den heroischen Friesen und Sachsen an der Nordsee; denn die Entstehung der holländischen Republik im 16. Jahrhundert steht mit den mittelalterlichen Unternehmungen der Dithmarscher, Stedinger und Friesen nicht in unmittelbarem Zusammenhange. Gewiss waren die schweizerischen Eidgenossen begünstigt durch die Lage ihres Landes, dessen Berge und Ströme sie zur Einheit zusammendrängen, und an dem die mittelalterlichen Kaiser so lebhaften Anteil nahmen, wie sie ihn sonst wohl für eine noch so tapfere Bauernschaft nicht gehabt hätten; kamen sie doch den entlegenen Friesen bei ihren Freiheitskämpfen nicht zu Hilfe. Man muss aber auch glauben, dass die seltene Vereinigung von elementarer Kraft und besonnener Vernunft eine besondere Gabe des schwäbischen Stammes ist. Mit ihr erwarb er sich früh und lange dauernd eine hohe, sowohl politische wie literarische Kultur.
Der falsche Friedrich
Vor der alten Reichsstadt Wetzlar im Kaisergrunde, unfern von einem alten Wartturm, liegt ein Denkstein mit einer Inschrift, die anzeigt, dass an dieser Stelle Dietrich Holzschuh oder Tile Kolup, der sich für Friedrich II. ausgab, durch König Rudolf I. verbrannt wurde. Es war im Jahre 1284, vierunddreißig Jahre nach dem Tode Friedrichs, der mit 56 Jahren starb, nun also 90 Jahre alt gewesen wäre. Es war nicht unmöglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass er noch lebte. Wie aber hätte es geschehen können, dass ein anderer an Friedrichs Stelle begraben wurde? Und wo war der Kaiser inzwischen gewesen? Und warum hatte er sich so lange verborgen gehalten? Der deutsche Bürger und Bauer, der niemals in Italien, geschweige denn im südlichen Italien gewesen war, der aber von den grimmigen Kämpfen zwischen Papst und Kaiser gehört hatte, von der Reise des Kaisers nach Jerusalem, von seiner Freundschaft mit dem Sultan, von den listigen Sarazenen, mit denen er sich zu umgeben pflegte, mochte es für glaubhaft halten, dass Friedrich, um sich dem nach seinem Blute dürstenden Papst zu entziehen, nach dem Orient gefahren und dort gefangen oder verborgen gehalten war, bis er eines Tages zurückkehrte, um mit Hilfe seiner Deutschen das Reich zurückzugewinnen. Vielleicht berechneten und erwogen sie überhaupt nicht viel, sondern glaubten dem schönen alten Manne, der sich der Treue seines Volkes anvertraute. Er sah zuweilen sehr alt und müde aus, aber es war ein majestätisches Blitzen in seinen Augen, und zuweilen hatte sein Auftreten und entschlossenes Handeln etwas Jugendliches. Hatte jemals ein Kaiser so herzlich zu seinem Volke gesprochen? Man glaubte, was man wünschte.
Das Erscheinen des wiederkehrenden Friedrich fiel in eine Zeit, wo die Reichsstädte sich zu dem später so beliebten Rudolf feindlich stellten, weil er in dem Bestreben, die Ordnung im Reiche wiederherzustellen, ihre Abgaben, seine einzige sichere und reichliche Einnahme, stark in Anspruch nahm. Dazu kam, dass seine Nachgiebigkeit gegen den Papst ihn zum Pfaffenkönig stempelte und die Pfaffen, die keine Steuern zahlten und zum Teil ein nichtsnutziges Leben führten, in den Städten verhasst waren. Anders als Bürger und Bauern dachten die großen Herren; Erzbischof Siegfried von Köln durchschaute mit kühlem Blick den Betrug und vertrieb den falschen Friedrich aus Köln, wo das Volk ihn mit Jubel aufgenommen hatte. Er begab sich nach der Stadt Neuß, deren Dom Zeuge ihrer einstigen Bedeutung ist, und auch dort fiel ihm die Einwohnerschaft begeistert zu. Es ist wahrscheinlich, dass er deshalb die Menschen an sich glauben machen konnte, weil er selbst an sich glaubte, dass er ein Wahnsinniger war, der sich für Friedrich hielt und abgesehen von seinem Wahn verständig und folgerichtig handelte. Offenbar hatte er einst in der Umgebung des Kaisers gelebt, vielleicht als Knappe, denn er wusste vieles, was nur dem Kaiser Nahestehenden bekannt sein konnte; manches mag auch aus der Tiefe seines Traumes aufgewallt sein und ihn selbst und andere bezaubert haben. In Neuß fühlte er sich so sicher, dass er König Rudolf, der in Wetzlar war, aufforderte, seine Krone niederzulegen und sich ihm, als dem rechtmäßigen König, zu unterwerfen.
Rudolf hatte bisher den Lärm um den falschen Friedrich nicht ernst genommen; wie sollte er auch, da ja 34 Jahre seit dem Tode des Kaisers verflossen waren; aber nun, da der Widerstand der südwestlichen Städte sich damit verbündete, fand er es nötig, einzuschreiten. Er war wohl von vornherein überzeugt, dass der Mann ein Betrüger war, und entschlossen, ihn so zu behandeln; aber er fühlte sich doch verpflichtet, selbst zu sehen und zu urteilen. Nicht ohne seltsame Rührung mag er sich der Vergangenheit erinnert haben, wo er als junger Ritter dem großen König, seinem Paten, folgte, der ihm stets gnädig gewesen war. Wie undenkbar fern hatte ihm damals der Gedanke an die Höhe gelegen, die er jetzt erreicht hatte. Ihn und die um ihn versammelten Fürsten und Herren blendete der seltsame Träumer nicht. Er wurde gefangengenommen und gestand, der Folter unterworfen, dass er Tile Kolup heiße und ein Betrüger sei. Die Marter hatte ihn grausam aus seinem Traume gerissen. Der Kunstgriff, Feinde als Ketzer erscheinen zu lassen, war damals gebräuchlich; auch in diesem Falle folterte man das Geständnis, schwarze Kunst ausgeübt zu haben, aus dem Angeklagten heraus und konnte demgemäß das Urteil sprechen. So verzehrten die Flammen das Gespenst des großen Friedrich.
Unaufgeklärt blieben fast alle die näheren Umstände, die mit diesem Zwischenspiel verbunden waren. War der Fremdling wirklich Tile Kolup? Was hatte ihn zu dem gefährlichen Abenteuer verleitet? Hatte ihn ein Wahn ergriffen, weil er dem Staufer ähnlich sah? Oder war er von den Feinden Rudolfs gedungen, die seinen Wahn oder seinen Ehrgeiz und seine Geldgier benützten? Woher hatte er die Geldmittel, die sein Auftreten ermöglichten?
Wäre er nichts als ein Abenteurer gewesen, brauchte man seiner nicht zu gedenken. Aber er war etwas ganz anderes: er war eine Vision, die aus der Zerrissenheit der kaiserlichen Zeit aufstieg, der Adler, von dessen Schwingen Kaiserblut tropfte. Der Scheiterhaufen, den Rudolf vor Wetzlar anzündete, verzehrte mit dem Leib des alten Träumers das unwiederbringliche Heldenzeitalter des Reiches, er war ein Symbol wenigstens dieses Unterganges.
So war es gewiss nicht, als sei Rudolf ein unwürdiger Nachfolger der Staufer gewesen, als habe er durchaus andere Bahnen eingeschlagen. Rudolf von Habsburg, der persönliche Anhänger Friedrichs II., der auch seinem Sohn und Enkel treugeblieben war, folgte in der Art, das Reich zu verwalten, der Methode, die Friedrich II. in Sizilien angewandt hatte, soweit das im Reich möglich war, das heißt er versuchte die königliche Macht zu verstärken und durch Leute in beamtenähnlicher Stellung zu verwalten. Er leistete in dieser Hinsicht eine überaus mühevolle und verdienstvolle