Den du nicht siehst - Ein Schweden-Krimi. Mari Jungstedt

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Den du nicht siehst - Ein Schweden-Krimi - Mari  Jungstedt


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und aufgewachsen auf Gotland. Die ganze Familie ist 1986 nach Stockholm umgezogen; damals war Helena zwanzig. Ihr Ferienhaus in Fröjel haben sie behalten, sie waren jedes Jahr mehrere Male da, haben oft ganze Sommer dort verbracht. Helena hat in Stockholm Informatik studiert und arbeitete seit drei Jahren bei einer Computerfirma. Sie hatte viele Freunde. Vor Bergdal scheint sie keine längere Beziehung gehabt zu haben. Sie war niemals verlobt oder verheiratet. Bergdal zufolge hatte sie mal etwas mit diesem Kristian, der auch auf der Party war. Aber das kann pure Einbildung sein. Die anderen Partygäste konnten das nicht bestätigen. Und irgendwer hätte davon doch wissen müssen. Kristian Nordström ist am Tag nach der Party nach Kopenhagen geflogen. Dort leben seine Eltern. Er kommt morgen aufs Präsidium.«

      »War Helena Hillerström vorbestraft?«, erkundigte sich Wittberg.

      »Nein. Die Frage ist, wie wir jetzt weitermachen sollen. Wir werden die Partygäste noch einmal vernehmen. Vor allem will ich mit Kristian Nordström sprechen. Irgendwer muss nach Stockholm fahren und mit Helenas Familie, ihren Arbeitskollegen, Freunden und anderen Personen aus ihrem Umfeld reden. Und das muss so schnell wie möglich geschehen. Wir müssen unvoreingenommen arbeiten – es steht durchaus nicht fest, dass es Bergdal war. Und wenn er es nicht war, dann wissen wir nicht, ob der Mörder von der Insel stammt oder ob er ihr vom Festland her gefolgt ist.«

      »Ich fahre gern nach Stockholm«, sagte Karin. »Ich kann gleich heute Nachmittag aufbrechen.«

      »Das ist gut«, sagte Knutas. »Nimm noch jemanden mit. In Stockholm gibt es viel zu tun. Natürlich wird dir dort das Landeskriminalamt helfen, aber ich finde, ihr solltet zu zweit sein.«

      »Ich kann mitkommen«, sagte Wittberg.

      Karin lächelte ihn dankbar an.

      »Dann ist das geklärt. Außerdem müssen wir feststellen, wie Helenas Bekanntenkreis hier auf der Insel aussah. Mit wem außer ihrer besten Freundin hatte sie zu tun, wenn sie hier war? Wir werden noch einmal mit den Nachbarn sprechen. Und ich unterhalte mich genauer mit Emma Winarve. Was hat Helena an den Tagen vor dem Mord gemacht? Hat sie ihr Mobiltelefon benutzt? Gibt es Kurzmitteilungen? Ihr Lebensgefährte behauptet, dass sie ihre Telefone ausgeschaltet haben, sowie sie von der Fähre kamen. Aber wir müssen trotzdem beide Nummern überprüfen. Wo sollen wir nach ihren Kleidern suchen? Wir erweitern das Suchgebiet rund um den Tatort und führen weitere Befragungen der Anwohner in der Gegend durch. Das halte ich für die beste Vorgehensweise. Was sagt ihr?«, fragte Knutas.

      Niemand hatte Einwände, und sie machten sich an die Arbeit.

      Nach einem späten Mittagessen fuhren Johan und Peter zum Präsidium, um das Interview mit dem Kommissar nachzuholen. Sie wollten eine Bestätigung für die Sache mit dem Hund, ehe sie ihren Beitrag für die Abendnachrichten fertig machten.

      An der Glastür, die zum Morddezernat führte, wäre Johan beinahe mit einer Frau zusammengestoßen. Sie hatte schulterlanges sandfarbenes Haar und schaute ihm mit dunklen Augen ins Gesicht.

      Sie grüßte kurz, lief über den Gang und hängte sich ihre Tasche über die Schulter. Sie war groß und sah gut aus, in ihren verwaschenen Jeans und den Cowboystiefeln.

      »Kommen Sie rein. Was wollen Sie wissen?«, fragte Knutas müde und ließ sich in seinen Schreibtischsessel fallen. »Ich habe sehr viel zu tun.«

      Johan und Peter nahmen auf den Besucherstühlen Platz. Johan beschloss, gleich zur Sache zu kommen.

      »Warum haben Sie den Hund nicht erwähnt?«

      Knutas verzog keine Miene.

      »Welchen Hund?«

      »Den Hund des Opfers. Er wurde verstümmelt nahe ihres Leichnams gefunden.«

      Knutas’ Hals überzog sich mit roten Flecken.

      »Ich kann diese Aussage nicht bestätigen. Damit müssen Sie sich zufrieden geben.«

      »Welche Schlüsse ziehen Sie aus der Verstümmelung des Hundes?«

      »Da ich das, was Sie sagen, weder bestätigen noch dementieren kann, werde ich auch keine Schlüsse daraus ziehen.«

      »Wir haben von zwei unterschiedlichen Seiten gehört, dass sie mit einer Axt ermordet worden ist. Das steht mittlerweile in allen Zeitungen. Können Sie es da nicht gleich bestätigen?«

      »Es spielt keine Rolle, wie viele Quellen Sie haben – ich sage dazu nichts. Das müssen Sie akzeptieren«, antwortete Knutas mit kaum verhohlener Ungeduld.

      »Ich mache nur meine Arbeit.«

      »Natürlich, aber ich werde trotzdem nicht mehr sagen. Da die Schuld des Verdächtigen noch keineswegs als erwiesen gilt, ist es durchaus möglich, dass der Mörder weiterhin frei herumläuft, und deshalb dürfen brisante Informationen noch nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Ich hoffe, Sie haben so viel Verstand, dass Sie das alles für sich behalten werden, bis wir mehr wissen«, sagte Knutas und musterte seine Besucher mit ernster Miene.

      Nach diesem für beide Seiten unbefriedigenden Gespräch liefen Johan und Peter zurück in die Redaktion. Sie feilten zwei Stunden lang an drei Beiträgen für die abendlichen Nachrichtensendungen, und ihre Arbeiten fielen unterschiedlich genug aus, um die diversen Redaktionen im Sender zufrieden zu stellen.

      Denn Nachrichtensendungen durften einander ja um Himmels willen nicht zu sehr ähneln.

      In Übereinstimmung mit Grenfors hatten sie beschlossen, über den toten Hund zu berichten und das Gespräch mit Svea Johansson zu senden. Diese Informationen erschienen ihnen wichtig, denn die Verstümmelung des Hundes sagte etwas über den Charakter des Mörders aus. Außerdem fanden die Zuschauer es sicher interessant, die alte Dame von der schaurigen Entdeckung ihres Bruders erzählen zu hören.

      Grenfors freute sich über das Interview mit Svea Johansson, die ohne zu zögern ihre Erlaubnis erteilt hatte, es zu senden. Als Johan sie gewarnt und auf die öffentliche Wirkung des Fernsehens hingewiesen hatte, hatte sie gesagt, so sei es nun eben, und es gebe keinen Grund, den Leuten zu verheimlichen, was passiert war. Die Alte hätte Journalistin werden sollen, dachte Johan.

      Als die Beiträge bearbeitet waren, rief er Knutas an und teilte mit, dass sie das Interview mit Svea Johansson senden und über den Hund berichten würden. Johan wusste, wie wichtig es war, es sich mit der Polizei nicht zu verderben. Das würde es nur erschweren, neue Auskünfte zu erhalten. Knutas wurde nicht wütend, er wirkte eher resigniert. Zum Ausgleich versprach Johan, in seinem Bericht zu erwähnen, dass Hinweise aus der Bevölkerung von der Polizei dankbar entgegengenommen würden.

      Nachdem er aufgelegt hatte, wanderten er und Peter durch den hellen Frühsommerabend in Richtung Hotel. Peter schlug vor, einen Spaziergang zu machen und in einem Straßencafé zu essen, statt gleich ins Hotel zu gehen.

      Johan kannte sich auf Gotland gut aus. Er hatte viele Sommer auf der Insel verbracht. Vor allem mit Radtouren, in den Achtzigerjahren, als das voll im Trend lag und alle Welt im Sommer auf Gotland herumradeln wollte. Familien, Schulklassen, Jugendliche, frisch verliebte Paare. Ob das wohl heute auch noch so war? Die Insel war doch nach wie vor zum Radfahren geeignet, mit ihrer flachen Landschaft, den Wiesen am Wegesrand und den langen Sandstränden.

      Sie gingen durch die Strandgatan, durchquerten ein Tor in der Mauer und erreichten Almedalen, einen großen, offenen Platz mit Parkbänken, Springbrunnen und einer Bühne, auf der während der traditionellen Politikerwoche im Juli die Politiker ihre Reden hielten. Im Sommer wimmelte es hier nur so von sonnenbadenden Feriengästen und Familien mit kleinen Kindern.

      Jetzt war alles menschenleer. Johan und Peter gingen weiter und sahen sich im Hafen um, wo ein frischer Wind vom Meer her wehte. Noch lagen fast keine Boote da. Die meisten Straßencafés und Restaurants waren geschlossen. In zwei oder drei Wochen würden sie jeden Abend bis auf den letzten Platz besetzt sein.

      Die Stadt machte einen vollkommen anderen Eindruck, wenn keine Touristenhorden darin umherzogen. Sie stiegen die Treppe bei der Kirche hoch und erreichten die pittoresken Häuser oben auf Klinten. Visby breitete sich unter ihnen aus, mit einem Wirrwarr aus Häusern, alten Ruinen und schmalen Gassen, die


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